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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Liicheit

besten Werke diesmal nach Berlin zu schicken, veranlaßt werden möchten. Und
was folgte an der Jsar auf die bekannten Vorgänge in Paris, ans die Be¬
schimpfung unsers Kaiserhauses und die schmachvolle Unterwerfung der Pariser
Maler unter die Schreier der Gasse? Vielleicht, wie ein deutsches Herz ver¬
muten möchte, die einer stolzen Regung beleidigten Volksgefühls entsprungene
Bitte an die Herren von der Seine, nun auch München gütigst mit ihrer An¬
wesenheit zu verschonen? O nein -- ein wahnsinniger, kaum nach außen
schicklich unterdrückter Jubel, daß Berlin eine Schlappe erlitten habe und die
höhere Bedeutung der Münchner Ausstellung gerettet sei. Nun, wir können
den Münchnern die Franzosen gönnen. Schon seit Jahren schwindet im
Münchner Kunstleben mehr und mehr deutsches Wesen, deutsche Eigenart, um
einer immer blödem Nachüffung des Auslandes Platz zu machen. Seitdem
in Paris die geniale Entdeckung gemacht worden ist, daß in der freien Natur
eigentlich gar keine frischen Farben vorkommen, daß das uiufluteude Sonnen-
licht über alle Gegenstünde eine graue Tünche breitet, sahen auch die Münchner
Maler plötzlich ihre Bäume, Häuser und Menschen wie unter einer dicken
Staubschicht verborgen, und als man in Paris als würdigste Aufgaben des
Pinsels den stumpfsinnigen Proletarier und das öde Blachfeld erkannte, trabten
die hiesigen Künstler gehorsam hinterdrein. Die jährliche Überschwemmung der
Ausstellungen mit Pariser Ware wird die deutschen Maler bei ihrer unglück¬
seligen Aufnahme- und Aneignungsfähigkeit alles Fremden bald um den letzten
Rest eines selbständigen Kunstempfindens gebracht haben. Das scheinen die
Wirklichgrvßen uuter den hiesigen Meistern, die Lenbach, Kaulbach, Grützner,
Defregger n. f. w. auch richtig zu fühlen. Denn schon im vorigen Sommer
fehlten ihre Werke fast gänzlich an den Wänden des Glaspalastes. Eine Folge
der Franzosendienerei war es auch, daß vor drei Jahren das herrliche Gemälde
Ferdinand Kellers, die Apotheose Kaiser Wilhelms, bei der Preisverteilung
hinter einem welschen ?1an-air zurückstehen mußte, worauf Keller allerdings
durch Verzicht auf den zuerkannten zweiten Preis die einzig richtige Ant¬
wort gab.

Vor Frankreich liegt man auch sonst hier -- wie ein hochstehender Münchner
sich neulich nicht gerade zart, aber treffend äußerte -- auf dem Bauche. Es
giebt noch Damen der Gesellschaft, die es für unfein halten, auf der Straße
deutsch zu sprechen -- freilich ist auch ihr Deutsch darnach! Andre müssen
wenigstens zeigen, daß sie Französisch verstehen, und spicken ihre Rede mit den
fadesten Brocken Pariser Boulevardjargons. Aber selbst im Volke kennt
man für einzelne Begriffe, wie I^voir, onidrölle, or-in^o, ong-routier, überhaupt
keine deutschen Namen. In den Fenstern der Buch- und Kunstlüdcn prangen
die jüngsten Erscheinungen der französischen Litteratur, die Vervielfältigungen
der Werke Meisfoniers, Bongereaus und Bastian-Lepages, die Bildnisse fran¬
zösischer Tagesgrvßen. Selbst Sarah Bernhardt, die in Deutscheuhaß reisende


Die deutsche Liicheit

besten Werke diesmal nach Berlin zu schicken, veranlaßt werden möchten. Und
was folgte an der Jsar auf die bekannten Vorgänge in Paris, ans die Be¬
schimpfung unsers Kaiserhauses und die schmachvolle Unterwerfung der Pariser
Maler unter die Schreier der Gasse? Vielleicht, wie ein deutsches Herz ver¬
muten möchte, die einer stolzen Regung beleidigten Volksgefühls entsprungene
Bitte an die Herren von der Seine, nun auch München gütigst mit ihrer An¬
wesenheit zu verschonen? O nein — ein wahnsinniger, kaum nach außen
schicklich unterdrückter Jubel, daß Berlin eine Schlappe erlitten habe und die
höhere Bedeutung der Münchner Ausstellung gerettet sei. Nun, wir können
den Münchnern die Franzosen gönnen. Schon seit Jahren schwindet im
Münchner Kunstleben mehr und mehr deutsches Wesen, deutsche Eigenart, um
einer immer blödem Nachüffung des Auslandes Platz zu machen. Seitdem
in Paris die geniale Entdeckung gemacht worden ist, daß in der freien Natur
eigentlich gar keine frischen Farben vorkommen, daß das uiufluteude Sonnen-
licht über alle Gegenstünde eine graue Tünche breitet, sahen auch die Münchner
Maler plötzlich ihre Bäume, Häuser und Menschen wie unter einer dicken
Staubschicht verborgen, und als man in Paris als würdigste Aufgaben des
Pinsels den stumpfsinnigen Proletarier und das öde Blachfeld erkannte, trabten
die hiesigen Künstler gehorsam hinterdrein. Die jährliche Überschwemmung der
Ausstellungen mit Pariser Ware wird die deutschen Maler bei ihrer unglück¬
seligen Aufnahme- und Aneignungsfähigkeit alles Fremden bald um den letzten
Rest eines selbständigen Kunstempfindens gebracht haben. Das scheinen die
Wirklichgrvßen uuter den hiesigen Meistern, die Lenbach, Kaulbach, Grützner,
Defregger n. f. w. auch richtig zu fühlen. Denn schon im vorigen Sommer
fehlten ihre Werke fast gänzlich an den Wänden des Glaspalastes. Eine Folge
der Franzosendienerei war es auch, daß vor drei Jahren das herrliche Gemälde
Ferdinand Kellers, die Apotheose Kaiser Wilhelms, bei der Preisverteilung
hinter einem welschen ?1an-air zurückstehen mußte, worauf Keller allerdings
durch Verzicht auf den zuerkannten zweiten Preis die einzig richtige Ant¬
wort gab.

Vor Frankreich liegt man auch sonst hier — wie ein hochstehender Münchner
sich neulich nicht gerade zart, aber treffend äußerte — auf dem Bauche. Es
giebt noch Damen der Gesellschaft, die es für unfein halten, auf der Straße
deutsch zu sprechen — freilich ist auch ihr Deutsch darnach! Andre müssen
wenigstens zeigen, daß sie Französisch verstehen, und spicken ihre Rede mit den
fadesten Brocken Pariser Boulevardjargons. Aber selbst im Volke kennt
man für einzelne Begriffe, wie I^voir, onidrölle, or-in^o, ong-routier, überhaupt
keine deutschen Namen. In den Fenstern der Buch- und Kunstlüdcn prangen
die jüngsten Erscheinungen der französischen Litteratur, die Vervielfältigungen
der Werke Meisfoniers, Bongereaus und Bastian-Lepages, die Bildnisse fran¬
zösischer Tagesgrvßen. Selbst Sarah Bernhardt, die in Deutscheuhaß reisende


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[0587] Die deutsche Liicheit besten Werke diesmal nach Berlin zu schicken, veranlaßt werden möchten. Und was folgte an der Jsar auf die bekannten Vorgänge in Paris, ans die Be¬ schimpfung unsers Kaiserhauses und die schmachvolle Unterwerfung der Pariser Maler unter die Schreier der Gasse? Vielleicht, wie ein deutsches Herz ver¬ muten möchte, die einer stolzen Regung beleidigten Volksgefühls entsprungene Bitte an die Herren von der Seine, nun auch München gütigst mit ihrer An¬ wesenheit zu verschonen? O nein — ein wahnsinniger, kaum nach außen schicklich unterdrückter Jubel, daß Berlin eine Schlappe erlitten habe und die höhere Bedeutung der Münchner Ausstellung gerettet sei. Nun, wir können den Münchnern die Franzosen gönnen. Schon seit Jahren schwindet im Münchner Kunstleben mehr und mehr deutsches Wesen, deutsche Eigenart, um einer immer blödem Nachüffung des Auslandes Platz zu machen. Seitdem in Paris die geniale Entdeckung gemacht worden ist, daß in der freien Natur eigentlich gar keine frischen Farben vorkommen, daß das uiufluteude Sonnen- licht über alle Gegenstünde eine graue Tünche breitet, sahen auch die Münchner Maler plötzlich ihre Bäume, Häuser und Menschen wie unter einer dicken Staubschicht verborgen, und als man in Paris als würdigste Aufgaben des Pinsels den stumpfsinnigen Proletarier und das öde Blachfeld erkannte, trabten die hiesigen Künstler gehorsam hinterdrein. Die jährliche Überschwemmung der Ausstellungen mit Pariser Ware wird die deutschen Maler bei ihrer unglück¬ seligen Aufnahme- und Aneignungsfähigkeit alles Fremden bald um den letzten Rest eines selbständigen Kunstempfindens gebracht haben. Das scheinen die Wirklichgrvßen uuter den hiesigen Meistern, die Lenbach, Kaulbach, Grützner, Defregger n. f. w. auch richtig zu fühlen. Denn schon im vorigen Sommer fehlten ihre Werke fast gänzlich an den Wänden des Glaspalastes. Eine Folge der Franzosendienerei war es auch, daß vor drei Jahren das herrliche Gemälde Ferdinand Kellers, die Apotheose Kaiser Wilhelms, bei der Preisverteilung hinter einem welschen ?1an-air zurückstehen mußte, worauf Keller allerdings durch Verzicht auf den zuerkannten zweiten Preis die einzig richtige Ant¬ wort gab. Vor Frankreich liegt man auch sonst hier — wie ein hochstehender Münchner sich neulich nicht gerade zart, aber treffend äußerte — auf dem Bauche. Es giebt noch Damen der Gesellschaft, die es für unfein halten, auf der Straße deutsch zu sprechen — freilich ist auch ihr Deutsch darnach! Andre müssen wenigstens zeigen, daß sie Französisch verstehen, und spicken ihre Rede mit den fadesten Brocken Pariser Boulevardjargons. Aber selbst im Volke kennt man für einzelne Begriffe, wie I^voir, onidrölle, or-in^o, ong-routier, überhaupt keine deutschen Namen. In den Fenstern der Buch- und Kunstlüdcn prangen die jüngsten Erscheinungen der französischen Litteratur, die Vervielfältigungen der Werke Meisfoniers, Bongereaus und Bastian-Lepages, die Bildnisse fran¬ zösischer Tagesgrvßen. Selbst Sarah Bernhardt, die in Deutscheuhaß reisende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/587>, abgerufen am 23.07.2024.