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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Nekrologe

machte sich Ideen und Anschauungen, die von müßen an ihn herantraten, so
zu eigen, als wäre es sein eigenstes Arbeitsfeld, von dem er Rechenschaft ab¬
zulegen hätte. Er wußte ihnen stets die Richtung ans das Allgemeine z"
geben und einen patriotisch-nationale" Schwung hineinzulegen, der Zeugnis
davon gab, daß der Funke jugendlicher Begeisterungsfähigkeit in ihm lebendig
geblieben war, auch als das Haupt ergraute. Kaiser Wilhelm hat ihn noch in
diesem Jahre als einen der hervorragendsten Kultusminister Preußens gefeiert.
Gewiß mit Recht. Die zehnjährige Thätigkeit Gvßlers wird in der Geschichte
unsers Bildungsganges unvergessen bleiben, und sein Nnchfvlger wird gut
thun, weiter zu bauen auf den Grundlagen, die er vorfindet. Denn die un¬
geheure Mehrzahl aller Gebildeten in Preußen wußte sich mit dem Minister
eins in seinen letzten Zielen, und nur wo er, dem Druck weichend, der von
außen an ihn Herautrat, auf die schiefe Ebne der halben und ganzen Zugeständ¬
nisse geriet, wandte sie sich von ihm ab.

Es fragt sich, wie stark die Tradition des Ministeriums Goßler
sein wird. Minister und Unterslaatssekretär sind als lioininos novi in
das Ressort getreten -- die Räte bleiben. Wir irren aber wohl nicht, wenn
wir behaupten, daß die letzten entscheidenden Maßnahmen, die Herrn von
Goßler erst ins Wanken und dann zu Falle brachten, im Gegensatz zu
den Ratschlägen jener Männer erfolgt sind. Graf Zedlitz wird zunächst an
der Schulfrage zu beweisen haben, daß er ein eignes Programm mitbringt,
und die Zukunft wird lehre", wie weit er imstande ist, es zu praktischer
Geltung zu bringen.

Ein eignes Mißgeschick hat es gewollt, daß die Teilnahme und das
Aufsehen, das der Rücktritt Gvßlers hervorrief, durch ein andres Ereignis
verdrängt wurde, dessen politische Bedeutung allerdings von weit größerer
Tragweite ist. Ludwig Windthorst ist gestorben, und damit ist der Manu
geschieden, der seit einem Vierteljahrhundert auf das innere politische Leben
Preußens und Deutschlands den nachhaltigsten und tiefgreifendsten Einfluß
geübt hat. Er ist der erste Parlamentarier großen Stils gewesen, den
das deutsche Reich gehabt hat, der einzige, der seiner Partei eine Stellung
zu schaffen wußte, die unabhängig von den wechselnden Strömungen der
leitenden Kreise festhielt an ihrem oder vielmehr an seinem Programm.

Für eine Biographie Windthorsts ist der Augenblick noch nicht gekommen.
Die von den Zeitungen veröffentlichten Skizzen bieten nicht mehr als die
gröbsten Umrisse eines Bildes, das einer sorgfältigen Einzelausführung bedarf.
War doch eine der größten Eigenschaften Windthorsts seine unverbrüchliche
Diskretion. Was von seiner Wirksamkeit an die Öffentlichkeit getreten P,
erschien den Wissenden stets als das Ergebnis mannigfaltigster Erwägungen
und Verhandlungen. Die Geschichte Windthorsts und des Zentrums, wie sie
sich hinter den Coulissen abspielte, dürfte eine ganz andre sein, als sie uns


Zwei Nekrologe

machte sich Ideen und Anschauungen, die von müßen an ihn herantraten, so
zu eigen, als wäre es sein eigenstes Arbeitsfeld, von dem er Rechenschaft ab¬
zulegen hätte. Er wußte ihnen stets die Richtung ans das Allgemeine z»
geben und einen patriotisch-nationale» Schwung hineinzulegen, der Zeugnis
davon gab, daß der Funke jugendlicher Begeisterungsfähigkeit in ihm lebendig
geblieben war, auch als das Haupt ergraute. Kaiser Wilhelm hat ihn noch in
diesem Jahre als einen der hervorragendsten Kultusminister Preußens gefeiert.
Gewiß mit Recht. Die zehnjährige Thätigkeit Gvßlers wird in der Geschichte
unsers Bildungsganges unvergessen bleiben, und sein Nnchfvlger wird gut
thun, weiter zu bauen auf den Grundlagen, die er vorfindet. Denn die un¬
geheure Mehrzahl aller Gebildeten in Preußen wußte sich mit dem Minister
eins in seinen letzten Zielen, und nur wo er, dem Druck weichend, der von
außen an ihn Herautrat, auf die schiefe Ebne der halben und ganzen Zugeständ¬
nisse geriet, wandte sie sich von ihm ab.

Es fragt sich, wie stark die Tradition des Ministeriums Goßler
sein wird. Minister und Unterslaatssekretär sind als lioininos novi in
das Ressort getreten — die Räte bleiben. Wir irren aber wohl nicht, wenn
wir behaupten, daß die letzten entscheidenden Maßnahmen, die Herrn von
Goßler erst ins Wanken und dann zu Falle brachten, im Gegensatz zu
den Ratschlägen jener Männer erfolgt sind. Graf Zedlitz wird zunächst an
der Schulfrage zu beweisen haben, daß er ein eignes Programm mitbringt,
und die Zukunft wird lehre», wie weit er imstande ist, es zu praktischer
Geltung zu bringen.

Ein eignes Mißgeschick hat es gewollt, daß die Teilnahme und das
Aufsehen, das der Rücktritt Gvßlers hervorrief, durch ein andres Ereignis
verdrängt wurde, dessen politische Bedeutung allerdings von weit größerer
Tragweite ist. Ludwig Windthorst ist gestorben, und damit ist der Manu
geschieden, der seit einem Vierteljahrhundert auf das innere politische Leben
Preußens und Deutschlands den nachhaltigsten und tiefgreifendsten Einfluß
geübt hat. Er ist der erste Parlamentarier großen Stils gewesen, den
das deutsche Reich gehabt hat, der einzige, der seiner Partei eine Stellung
zu schaffen wußte, die unabhängig von den wechselnden Strömungen der
leitenden Kreise festhielt an ihrem oder vielmehr an seinem Programm.

Für eine Biographie Windthorsts ist der Augenblick noch nicht gekommen.
Die von den Zeitungen veröffentlichten Skizzen bieten nicht mehr als die
gröbsten Umrisse eines Bildes, das einer sorgfältigen Einzelausführung bedarf.
War doch eine der größten Eigenschaften Windthorsts seine unverbrüchliche
Diskretion. Was von seiner Wirksamkeit an die Öffentlichkeit getreten P,
erschien den Wissenden stets als das Ergebnis mannigfaltigster Erwägungen
und Verhandlungen. Die Geschichte Windthorsts und des Zentrums, wie sie
sich hinter den Coulissen abspielte, dürfte eine ganz andre sein, als sie uns


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[0581] Zwei Nekrologe machte sich Ideen und Anschauungen, die von müßen an ihn herantraten, so zu eigen, als wäre es sein eigenstes Arbeitsfeld, von dem er Rechenschaft ab¬ zulegen hätte. Er wußte ihnen stets die Richtung ans das Allgemeine z» geben und einen patriotisch-nationale» Schwung hineinzulegen, der Zeugnis davon gab, daß der Funke jugendlicher Begeisterungsfähigkeit in ihm lebendig geblieben war, auch als das Haupt ergraute. Kaiser Wilhelm hat ihn noch in diesem Jahre als einen der hervorragendsten Kultusminister Preußens gefeiert. Gewiß mit Recht. Die zehnjährige Thätigkeit Gvßlers wird in der Geschichte unsers Bildungsganges unvergessen bleiben, und sein Nnchfvlger wird gut thun, weiter zu bauen auf den Grundlagen, die er vorfindet. Denn die un¬ geheure Mehrzahl aller Gebildeten in Preußen wußte sich mit dem Minister eins in seinen letzten Zielen, und nur wo er, dem Druck weichend, der von außen an ihn Herautrat, auf die schiefe Ebne der halben und ganzen Zugeständ¬ nisse geriet, wandte sie sich von ihm ab. Es fragt sich, wie stark die Tradition des Ministeriums Goßler sein wird. Minister und Unterslaatssekretär sind als lioininos novi in das Ressort getreten — die Räte bleiben. Wir irren aber wohl nicht, wenn wir behaupten, daß die letzten entscheidenden Maßnahmen, die Herrn von Goßler erst ins Wanken und dann zu Falle brachten, im Gegensatz zu den Ratschlägen jener Männer erfolgt sind. Graf Zedlitz wird zunächst an der Schulfrage zu beweisen haben, daß er ein eignes Programm mitbringt, und die Zukunft wird lehre», wie weit er imstande ist, es zu praktischer Geltung zu bringen. Ein eignes Mißgeschick hat es gewollt, daß die Teilnahme und das Aufsehen, das der Rücktritt Gvßlers hervorrief, durch ein andres Ereignis verdrängt wurde, dessen politische Bedeutung allerdings von weit größerer Tragweite ist. Ludwig Windthorst ist gestorben, und damit ist der Manu geschieden, der seit einem Vierteljahrhundert auf das innere politische Leben Preußens und Deutschlands den nachhaltigsten und tiefgreifendsten Einfluß geübt hat. Er ist der erste Parlamentarier großen Stils gewesen, den das deutsche Reich gehabt hat, der einzige, der seiner Partei eine Stellung zu schaffen wußte, die unabhängig von den wechselnden Strömungen der leitenden Kreise festhielt an ihrem oder vielmehr an seinem Programm. Für eine Biographie Windthorsts ist der Augenblick noch nicht gekommen. Die von den Zeitungen veröffentlichten Skizzen bieten nicht mehr als die gröbsten Umrisse eines Bildes, das einer sorgfältigen Einzelausführung bedarf. War doch eine der größten Eigenschaften Windthorsts seine unverbrüchliche Diskretion. Was von seiner Wirksamkeit an die Öffentlichkeit getreten P, erschien den Wissenden stets als das Ergebnis mannigfaltigster Erwägungen und Verhandlungen. Die Geschichte Windthorsts und des Zentrums, wie sie sich hinter den Coulissen abspielte, dürfte eine ganz andre sein, als sie uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/581>, abgerufen am 23.07.2024.