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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Nekrologe

die konventionelle Zeichnung vorführt. Dazu kommt, daß es Windthorst
liebte, von Mund zu Mund zu verhandeln, und die ungeschriebenen Verein¬
barungen, an denen er mit unbedingter Zuverlässigkeit festhielt, mögen als
Schlüssel für sein Verhalten eine Aufklärung bieten, die wir in den Akten
nie finden werden. Da aber, wenn nicht alle Anzeichen trügen, die Ereignisse
der letzten Jahre zum Entstehen einer Memoirenlitteratur führen werden, so
bringt vielleicht die Zukunft ein heute uoch fehlendes Licht.

Wie aus dem Vnuersohn ein Advokat, aus diesem ein Minister wurde,
der, bald gestürzt, sich doch wieder erhob, um zur Zeit der großen Katastrophe,
die das Haus Hannover beseitigte, die letzten abschließenden Verhandlungen
zu fuhren, wie sich dann aus dem Welsen der katholische Oppositionsmann
herausschälte, der es verstand, die Partei des Zentrums gewissermaßen aus
dein Boden zu stampfen, wie er als einziger unter allen deutschen Parlamen¬
tariern dem Fürsten Bismarck einen Widerstand entgegensetzte, den dieser nicht
zu brechen vermochte, daS alles ist in der politischen Geschichte der letzten
Jahrzehnte entscheidend gewesen. Wir haben keinen Anlaß, uns seiner Wirk¬
samkeit zu freuen. In einer Zeit, die die Gewissensfreiheit auf ihre Fahne
geschrieben hat, ist er bemüht gewesen, die Schärfe und Unduldsamkeit kon¬
fessioneller Gegensätze zu erhalten. Dem erstarkenden Neichsgedanken hat er
eine partikularistische Gegenströmung in den Weg geworfen, und wenn er hie
und da in den Augenblicken großer Entscheidungen sich und seine Partei der
Regierung zu Diensten stellte, ohne einen greifbaren Lohn hat er es nie gethan,
und nie ist er auch mir um Fußesbreite von dem einmal gewonnenen Boden
zurückgetreten. Die größte seiner Leistungen bleibt, daß er fast ein volles
Menschenalter hindurch die aus den verschiedenartigsten Bestandteilen zusammen¬
gewürfelte Partei zusammenzuhalten verstand, und daß er es thatsächlich durch¬
setzte, daß eine parlamentarische Laufbahn für einen Katholiken außerhalb des
Zentrums so gut wie undenkbar wurde. Nun scheint allerdings der Welfe
und Partiknlarist in Windhorst allmählich an Schürfe verloren zu haben; er
wußte sich gelegentlich in den letzten Jahren mit seiner deutscheu und reichs¬
treuen Gesinnung auf einen Sockel zu stellen, der ihn über die Tendenz seiner
Alltagspvlitik erhob: so, als er die Mittel für eine verstärkte Ausrüstung der
Neichswehrkraft schließlich bewilligte, oder als er für die Kolonialpolitik ein¬
trat. Aber nicht mit Unrecht hat ein freisinniges Blatt ans ihn das Wort
angewandt, das in Wallensteins Lager der Volksmund von dem großen Feld¬
herrn des dreißigjährigen Krieges braucht: Weiß doch uiemnnd, an wen der
glaubt! Pathos lag seinem Wesen fern; er liebte es, Gefühlserregungen
durch ein Witzwort zu brechen; und wenn er in frühern Jahren eine der
Reden zu bekämpfen hatte, durch die der große Kanzler dem Reichstage seine
Zustimmung abzuzwingen Pflegte, dann war seine Waffe meist jene spöttische
und witzelnde Ironie, durch die er die Stimmuugsatmosphäre zu verändern


Zwei Nekrologe

die konventionelle Zeichnung vorführt. Dazu kommt, daß es Windthorst
liebte, von Mund zu Mund zu verhandeln, und die ungeschriebenen Verein¬
barungen, an denen er mit unbedingter Zuverlässigkeit festhielt, mögen als
Schlüssel für sein Verhalten eine Aufklärung bieten, die wir in den Akten
nie finden werden. Da aber, wenn nicht alle Anzeichen trügen, die Ereignisse
der letzten Jahre zum Entstehen einer Memoirenlitteratur führen werden, so
bringt vielleicht die Zukunft ein heute uoch fehlendes Licht.

Wie aus dem Vnuersohn ein Advokat, aus diesem ein Minister wurde,
der, bald gestürzt, sich doch wieder erhob, um zur Zeit der großen Katastrophe,
die das Haus Hannover beseitigte, die letzten abschließenden Verhandlungen
zu fuhren, wie sich dann aus dem Welsen der katholische Oppositionsmann
herausschälte, der es verstand, die Partei des Zentrums gewissermaßen aus
dein Boden zu stampfen, wie er als einziger unter allen deutschen Parlamen¬
tariern dem Fürsten Bismarck einen Widerstand entgegensetzte, den dieser nicht
zu brechen vermochte, daS alles ist in der politischen Geschichte der letzten
Jahrzehnte entscheidend gewesen. Wir haben keinen Anlaß, uns seiner Wirk¬
samkeit zu freuen. In einer Zeit, die die Gewissensfreiheit auf ihre Fahne
geschrieben hat, ist er bemüht gewesen, die Schärfe und Unduldsamkeit kon¬
fessioneller Gegensätze zu erhalten. Dem erstarkenden Neichsgedanken hat er
eine partikularistische Gegenströmung in den Weg geworfen, und wenn er hie
und da in den Augenblicken großer Entscheidungen sich und seine Partei der
Regierung zu Diensten stellte, ohne einen greifbaren Lohn hat er es nie gethan,
und nie ist er auch mir um Fußesbreite von dem einmal gewonnenen Boden
zurückgetreten. Die größte seiner Leistungen bleibt, daß er fast ein volles
Menschenalter hindurch die aus den verschiedenartigsten Bestandteilen zusammen¬
gewürfelte Partei zusammenzuhalten verstand, und daß er es thatsächlich durch¬
setzte, daß eine parlamentarische Laufbahn für einen Katholiken außerhalb des
Zentrums so gut wie undenkbar wurde. Nun scheint allerdings der Welfe
und Partiknlarist in Windhorst allmählich an Schürfe verloren zu haben; er
wußte sich gelegentlich in den letzten Jahren mit seiner deutscheu und reichs¬
treuen Gesinnung auf einen Sockel zu stellen, der ihn über die Tendenz seiner
Alltagspvlitik erhob: so, als er die Mittel für eine verstärkte Ausrüstung der
Neichswehrkraft schließlich bewilligte, oder als er für die Kolonialpolitik ein¬
trat. Aber nicht mit Unrecht hat ein freisinniges Blatt ans ihn das Wort
angewandt, das in Wallensteins Lager der Volksmund von dem großen Feld¬
herrn des dreißigjährigen Krieges braucht: Weiß doch uiemnnd, an wen der
glaubt! Pathos lag seinem Wesen fern; er liebte es, Gefühlserregungen
durch ein Witzwort zu brechen; und wenn er in frühern Jahren eine der
Reden zu bekämpfen hatte, durch die der große Kanzler dem Reichstage seine
Zustimmung abzuzwingen Pflegte, dann war seine Waffe meist jene spöttische
und witzelnde Ironie, durch die er die Stimmuugsatmosphäre zu verändern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/582>, abgerufen am 03.07.2024.