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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Nekrologe

werter als den Wunsch des Ministers. Das Hoc volo, sie ^judvo war damals von
einer Stelle cinsgegangen, der der Minister seine Überzeugung zu opfern nicht
geneigt war, Fügsamkeit wäre hier der Schmach eines kandinischen Joches
gleich zu achten gewesen, und so reichte er seinen Abschied ein.

Eine andre Frage freilich ist die, weshalb er ihn erhalten hat, und da
giebt es nur die eine Antwort, daß die Stellung des Ministers bereits vorher
unhaltbar geworden war. Sein letzter großer Triumph, die Begeisterung,
mit der die Entdeckung Kochs aufgenommen worden war, hatte sich ihm durch
eigne Schuld -- die allerdings in ihrer psychologischen Begründung dem Mi¬
nister nur zur Ehre gereicht -- in eine halbe Niederlage verwandelt, dann
folgten zwei weitere vollständige Niederlagen. Der aus3 nslÄstus, an dem er
sich die Sperrgeldervorlage zu eigen machte, während alles die Empfindung
hatte, ihm sei Gewalt angethan worden, ließ sich kaum verwinden, als zweites
trat die Schulrefvrmkommission hinzu, die eine Lebensfrage seines Ressorts in
voller Unabhängigkeit von ihm zur endgiltigen Entscheidung vorbereiten sollte.
Der schneidende Berliner Witz legte ihm damals das Wort in deu Mund:
Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann aber auch anders! Nun, die Grenze
des Anderskönnens fand sich doch, für unser politisches Gefühl zu spät, zu
spät auch, um dem Politiker Goßler den Ruf eines politischen Charakters zu
retten, und doch vielleicht zu früh.

Daß sich Herr von Goßler in der Reihe der preußischen Kultus¬
minister für immer einen ehrenvollen Namen erworben hat, kann von keiner
Seite bestritten werden. Immer hat er sachlich zu denken gewußt und
immer ein warm und richtig empfindendes Herz für die höchsten geistigen
Aufgaben und Ideale der Nation gehabt. Kunst und Wissenschaft hatten an ihm
einen einsichtigen Mäcen, die Kirche einen auf positiven! Boden stehenden mächtigen
Freund, der nationale Gedanke einen Förderer, die Schule -- nun, sie hat
ihm ganz besonders am Herzen gelegen, und wenn er einer mächtigen Strömung
Widerstand entgegensetzte, so soll ihn darum kein Borwurf treffen. Die Vor¬
züge und Schwächen seiner Natur lassen sich vielleicht dahin zusammenfasse",
daß er eine ideal angelegte Natur war von erstaunlicher Nezeptivnsfähigkeit,
die eigentlich schöpferischen (produktiven) Gaben ihm jedoch fehlten. Ob sein
Nachfolger eine günstigere Verbindung von Eigenschaften des Herzens, der
Begabung und des Charakters besitzt, wird die Zeit lehren, an alle
drei Seiten stellt gerade das Amt des Knltnsministers besonders hohe An¬
forderungen.

Herr von Goßler hat im vorigen Jahre eine Ausgabe seiner Reden
veranstaltet. Die Durchsicht der stattlichen Snmmlnng giebt ein im wahren
Sinne des Wortes redendes Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner Interessen und
von dem staunenswerten Fleiß, womit er die verschiedenartigsten Stoffe zu bewäl¬
tigen verstand. Auch hier zeigt sich die reeeptive Begabung des Ministers. Er


Zwei Nekrologe

werter als den Wunsch des Ministers. Das Hoc volo, sie ^judvo war damals von
einer Stelle cinsgegangen, der der Minister seine Überzeugung zu opfern nicht
geneigt war, Fügsamkeit wäre hier der Schmach eines kandinischen Joches
gleich zu achten gewesen, und so reichte er seinen Abschied ein.

Eine andre Frage freilich ist die, weshalb er ihn erhalten hat, und da
giebt es nur die eine Antwort, daß die Stellung des Ministers bereits vorher
unhaltbar geworden war. Sein letzter großer Triumph, die Begeisterung,
mit der die Entdeckung Kochs aufgenommen worden war, hatte sich ihm durch
eigne Schuld — die allerdings in ihrer psychologischen Begründung dem Mi¬
nister nur zur Ehre gereicht — in eine halbe Niederlage verwandelt, dann
folgten zwei weitere vollständige Niederlagen. Der aus3 nslÄstus, an dem er
sich die Sperrgeldervorlage zu eigen machte, während alles die Empfindung
hatte, ihm sei Gewalt angethan worden, ließ sich kaum verwinden, als zweites
trat die Schulrefvrmkommission hinzu, die eine Lebensfrage seines Ressorts in
voller Unabhängigkeit von ihm zur endgiltigen Entscheidung vorbereiten sollte.
Der schneidende Berliner Witz legte ihm damals das Wort in deu Mund:
Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann aber auch anders! Nun, die Grenze
des Anderskönnens fand sich doch, für unser politisches Gefühl zu spät, zu
spät auch, um dem Politiker Goßler den Ruf eines politischen Charakters zu
retten, und doch vielleicht zu früh.

Daß sich Herr von Goßler in der Reihe der preußischen Kultus¬
minister für immer einen ehrenvollen Namen erworben hat, kann von keiner
Seite bestritten werden. Immer hat er sachlich zu denken gewußt und
immer ein warm und richtig empfindendes Herz für die höchsten geistigen
Aufgaben und Ideale der Nation gehabt. Kunst und Wissenschaft hatten an ihm
einen einsichtigen Mäcen, die Kirche einen auf positiven! Boden stehenden mächtigen
Freund, der nationale Gedanke einen Förderer, die Schule — nun, sie hat
ihm ganz besonders am Herzen gelegen, und wenn er einer mächtigen Strömung
Widerstand entgegensetzte, so soll ihn darum kein Borwurf treffen. Die Vor¬
züge und Schwächen seiner Natur lassen sich vielleicht dahin zusammenfasse»,
daß er eine ideal angelegte Natur war von erstaunlicher Nezeptivnsfähigkeit,
die eigentlich schöpferischen (produktiven) Gaben ihm jedoch fehlten. Ob sein
Nachfolger eine günstigere Verbindung von Eigenschaften des Herzens, der
Begabung und des Charakters besitzt, wird die Zeit lehren, an alle
drei Seiten stellt gerade das Amt des Knltnsministers besonders hohe An¬
forderungen.

Herr von Goßler hat im vorigen Jahre eine Ausgabe seiner Reden
veranstaltet. Die Durchsicht der stattlichen Snmmlnng giebt ein im wahren
Sinne des Wortes redendes Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner Interessen und
von dem staunenswerten Fleiß, womit er die verschiedenartigsten Stoffe zu bewäl¬
tigen verstand. Auch hier zeigt sich die reeeptive Begabung des Ministers. Er


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[0580] Zwei Nekrologe werter als den Wunsch des Ministers. Das Hoc volo, sie ^judvo war damals von einer Stelle cinsgegangen, der der Minister seine Überzeugung zu opfern nicht geneigt war, Fügsamkeit wäre hier der Schmach eines kandinischen Joches gleich zu achten gewesen, und so reichte er seinen Abschied ein. Eine andre Frage freilich ist die, weshalb er ihn erhalten hat, und da giebt es nur die eine Antwort, daß die Stellung des Ministers bereits vorher unhaltbar geworden war. Sein letzter großer Triumph, die Begeisterung, mit der die Entdeckung Kochs aufgenommen worden war, hatte sich ihm durch eigne Schuld — die allerdings in ihrer psychologischen Begründung dem Mi¬ nister nur zur Ehre gereicht — in eine halbe Niederlage verwandelt, dann folgten zwei weitere vollständige Niederlagen. Der aus3 nslÄstus, an dem er sich die Sperrgeldervorlage zu eigen machte, während alles die Empfindung hatte, ihm sei Gewalt angethan worden, ließ sich kaum verwinden, als zweites trat die Schulrefvrmkommission hinzu, die eine Lebensfrage seines Ressorts in voller Unabhängigkeit von ihm zur endgiltigen Entscheidung vorbereiten sollte. Der schneidende Berliner Witz legte ihm damals das Wort in deu Mund: Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann aber auch anders! Nun, die Grenze des Anderskönnens fand sich doch, für unser politisches Gefühl zu spät, zu spät auch, um dem Politiker Goßler den Ruf eines politischen Charakters zu retten, und doch vielleicht zu früh. Daß sich Herr von Goßler in der Reihe der preußischen Kultus¬ minister für immer einen ehrenvollen Namen erworben hat, kann von keiner Seite bestritten werden. Immer hat er sachlich zu denken gewußt und immer ein warm und richtig empfindendes Herz für die höchsten geistigen Aufgaben und Ideale der Nation gehabt. Kunst und Wissenschaft hatten an ihm einen einsichtigen Mäcen, die Kirche einen auf positiven! Boden stehenden mächtigen Freund, der nationale Gedanke einen Förderer, die Schule — nun, sie hat ihm ganz besonders am Herzen gelegen, und wenn er einer mächtigen Strömung Widerstand entgegensetzte, so soll ihn darum kein Borwurf treffen. Die Vor¬ züge und Schwächen seiner Natur lassen sich vielleicht dahin zusammenfasse», daß er eine ideal angelegte Natur war von erstaunlicher Nezeptivnsfähigkeit, die eigentlich schöpferischen (produktiven) Gaben ihm jedoch fehlten. Ob sein Nachfolger eine günstigere Verbindung von Eigenschaften des Herzens, der Begabung und des Charakters besitzt, wird die Zeit lehren, an alle drei Seiten stellt gerade das Amt des Knltnsministers besonders hohe An¬ forderungen. Herr von Goßler hat im vorigen Jahre eine Ausgabe seiner Reden veranstaltet. Die Durchsicht der stattlichen Snmmlnng giebt ein im wahren Sinne des Wortes redendes Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner Interessen und von dem staunenswerten Fleiß, womit er die verschiedenartigsten Stoffe zu bewäl¬ tigen verstand. Auch hier zeigt sich die reeeptive Begabung des Ministers. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/580>, abgerufen am 23.07.2024.