Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.wechselnde" Beleuchtung, seinen Stürmen und seinen Wellen, "die meeresschwarz Der Roman ist eigentlich mit Unrecht nach ihr genannt, denn sie greift Mit großer Weitschweifigkeit und pathetischen Gedanlenflügen, die zu der wechselnde» Beleuchtung, seinen Stürmen und seinen Wellen, „die meeresschwarz Der Roman ist eigentlich mit Unrecht nach ihr genannt, denn sie greift Mit großer Weitschweifigkeit und pathetischen Gedanlenflügen, die zu der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0559" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209792"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1565" prev="#ID_1564"> wechselnde» Beleuchtung, seinen Stürmen und seinen Wellen, „die meeresschwarz<lb/> und weißköpfig in das Land rollen wie sagenhafte Meeresungeheucr," von den<lb/> verwetterten und gefürchteten Felsen, die wie tausend Fenerherde aus dem<lb/> Meere emporsteigen, trotz der klaren Seeluft und der frischen, reinen Vergluft,<lb/> die der Dichter nicht müde wird zu preisen, wird man doch in dem ganzen Roman<lb/> das Gefühl nicht los, als sei man von grauem, dunstigen Seenebel umgeben,<lb/> oder als befinde man sich in einer müssiger, kaum gelüfteten Schul- oder<lb/> Bauernstube, als wehe einem thranigcr Fischgeruch und kalter Tabaksanalm<lb/> um die Nase. Kalt und thranig sind auch die Menschen, die uns Björnson<lb/> in „Nagni" vorführt. Um uns ganz für seine psychologischen Entwicklungen<lb/> gefangen zu nehmen, pflegt er seinen Personen leine körperlichen Reize zu ver¬<lb/> leihen; im Gegenteil er scheint seinen Helden absichtlich soviel wie möglich<lb/> äußere Mängel oder Unschönheiten anzudichtein rote Haare, Sommersprossen<lb/> auf Gesicht und Händen, blinzelnde Augen, abfallende Schultern u. f. w.;<lb/> so ähnlich sieht Thomas Nendalen aus, so ähnlich auch Nagni.</p><lb/> <p xml:id="ID_1566"> Der Roman ist eigentlich mit Unrecht nach ihr genannt, denn sie greift<lb/> erst später mittelbar in die Handlung ein und spricht im ganzen Buch kaum<lb/> hundert Worte. Die Hauptpersonen sind Eduard Kaltem, ein Kaufmannssohn,<lb/> und Ole Tust, ein Bauernsohn. „Ole Tust war der Sohn eines wohlhabenden<lb/> Bauern, draußen vom Strande, das einzige Kind. Sein Vater, der vor si. seitj<lb/> einem Jahr gestorben war, war der angesehenste Laieuprediger im Westlande<lb/> gewesen und hatte seinen Sohn schon von früh auf zum Pfarrer bestimmt,<lb/> weshalb dieser jetzt die Lateinschule besuchte. Ole war begabt und fleißig und<lb/> seinen Lehrern gegenüber so ehrfurchtsvoll, daß er ihr erklärter Liebling wurde."</p><lb/> <p xml:id="ID_1567" next="#ID_1568"> Mit großer Weitschweifigkeit und pathetischen Gedanlenflügen, die zu der<lb/> alltäglichen Handlung und zu den spießbürgerlichen Menschen in keinem Ver¬<lb/> hältnis stehen, und mit geheimnisvollen Andeutungen schildert der Dichter die<lb/> Tugend beider Knaben, ihre Schuljahre, ihre dummen Streiche und ihre Lebens-<lb/> Plüne. Auf Ole Tust ist der bäurische pietistische Geist seiner Familie über¬<lb/> gegangen. Schon als Knabe pflegt er ein durch Trunksucht heruntergekom¬<lb/> menes Weib, um sich in solcher Dienstbarkeit für den Missionarberuf vorzu¬<lb/> bereiten; er liest die religiösen Traktate der Laienprediger mit derselben Be¬<lb/> geisterung wie der wilde aber gutherzige Eduard Kaltem die „Drei Musketiere."<lb/> In „Thomas Nendalen" hat uns Björnson eine allerdings oft ans Läppische<lb/> streifende Schilderung von dem Leben und Treiben in einer Mädchenschule<lb/> gegeben und die vier Backfische: die blonde Mitla, die branne Thora, die breite<lb/> Tinla und die schmale Nora mit Humor gezeichnet mit ihren Albernheiten,<lb/> ihren Emanzipationsbestrebungen und ihrem heiligen, leider bald gebrochnen<lb/> Eide, nur einem keuschen Manne dereinst die Hand zu reichen. In „Nagni"<lb/> läßt uns der Dichter einen flüchtigen Blick in eine norwegische Knabenschule<lb/> thun, und in Erziehungsfragen verraten seine Bemerkungen oft eine feine Ve-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0559]
wechselnde» Beleuchtung, seinen Stürmen und seinen Wellen, „die meeresschwarz
und weißköpfig in das Land rollen wie sagenhafte Meeresungeheucr," von den
verwetterten und gefürchteten Felsen, die wie tausend Fenerherde aus dem
Meere emporsteigen, trotz der klaren Seeluft und der frischen, reinen Vergluft,
die der Dichter nicht müde wird zu preisen, wird man doch in dem ganzen Roman
das Gefühl nicht los, als sei man von grauem, dunstigen Seenebel umgeben,
oder als befinde man sich in einer müssiger, kaum gelüfteten Schul- oder
Bauernstube, als wehe einem thranigcr Fischgeruch und kalter Tabaksanalm
um die Nase. Kalt und thranig sind auch die Menschen, die uns Björnson
in „Nagni" vorführt. Um uns ganz für seine psychologischen Entwicklungen
gefangen zu nehmen, pflegt er seinen Personen leine körperlichen Reize zu ver¬
leihen; im Gegenteil er scheint seinen Helden absichtlich soviel wie möglich
äußere Mängel oder Unschönheiten anzudichtein rote Haare, Sommersprossen
auf Gesicht und Händen, blinzelnde Augen, abfallende Schultern u. f. w.;
so ähnlich sieht Thomas Nendalen aus, so ähnlich auch Nagni.
Der Roman ist eigentlich mit Unrecht nach ihr genannt, denn sie greift
erst später mittelbar in die Handlung ein und spricht im ganzen Buch kaum
hundert Worte. Die Hauptpersonen sind Eduard Kaltem, ein Kaufmannssohn,
und Ole Tust, ein Bauernsohn. „Ole Tust war der Sohn eines wohlhabenden
Bauern, draußen vom Strande, das einzige Kind. Sein Vater, der vor si. seitj
einem Jahr gestorben war, war der angesehenste Laieuprediger im Westlande
gewesen und hatte seinen Sohn schon von früh auf zum Pfarrer bestimmt,
weshalb dieser jetzt die Lateinschule besuchte. Ole war begabt und fleißig und
seinen Lehrern gegenüber so ehrfurchtsvoll, daß er ihr erklärter Liebling wurde."
Mit großer Weitschweifigkeit und pathetischen Gedanlenflügen, die zu der
alltäglichen Handlung und zu den spießbürgerlichen Menschen in keinem Ver¬
hältnis stehen, und mit geheimnisvollen Andeutungen schildert der Dichter die
Tugend beider Knaben, ihre Schuljahre, ihre dummen Streiche und ihre Lebens-
Plüne. Auf Ole Tust ist der bäurische pietistische Geist seiner Familie über¬
gegangen. Schon als Knabe pflegt er ein durch Trunksucht heruntergekom¬
menes Weib, um sich in solcher Dienstbarkeit für den Missionarberuf vorzu¬
bereiten; er liest die religiösen Traktate der Laienprediger mit derselben Be¬
geisterung wie der wilde aber gutherzige Eduard Kaltem die „Drei Musketiere."
In „Thomas Nendalen" hat uns Björnson eine allerdings oft ans Läppische
streifende Schilderung von dem Leben und Treiben in einer Mädchenschule
gegeben und die vier Backfische: die blonde Mitla, die branne Thora, die breite
Tinla und die schmale Nora mit Humor gezeichnet mit ihren Albernheiten,
ihren Emanzipationsbestrebungen und ihrem heiligen, leider bald gebrochnen
Eide, nur einem keuschen Manne dereinst die Hand zu reichen. In „Nagni"
läßt uns der Dichter einen flüchtigen Blick in eine norwegische Knabenschule
thun, und in Erziehungsfragen verraten seine Bemerkungen oft eine feine Ve-
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