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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Sprachverein und die deutsche Schule

wenn nun, selbst von Anhängern dieser Methode hört, es sei "eine schwere,
trockne, so viel Ärger verursachende Arbeit" (Overschelde), so wird man den
Witz des englischen Feuilletonisten der ^cincta verstehen, der meint, die
Anregung zur Abschaffung der "obligatorischen Erlernung des Griechischen"
setze voraus, daß es etwas wie eine "freiwillige Erlernung des Griechischen"
gebe; das sei in der That ein guter Spaß. Wenn nun endlich die lenden¬
lahmen Übersetzungen gar zu schriftlichen Aufgaben "verwertet" werden, wie
es vielfach gewünscht wird, dann werden diese an "Klarheit, Einfachheit nud
Volkstümlichkeit" sehr viel zu wünschen übrig lassen und "leere Redensarten"
dem Schüler als Lückenbüßer stets willkommen sein.

Das Übersetzen fremder "Meister" hat aber noch ernstere Nachteile. Der
seinem Alter gemäß entwickelte Knabe hat noch eine so geringe sittliche Er¬
fahrung, seine spätere Gestaltung ist erst im Werden; er kann daher einer
Frage des Lebens gegenüber, wobei starke Gefühle zu edler oder böser That
treiben, kein Verhältnis gewinnen. Kann und darf man nun da verlangen,
daß ein Jüngling von achtzehn Jahren mit Verständnis und Mitgefühl in die
Untiefen von Shhlocks Haß oder die mörderischen Motive von Macbeths ner¬
vösem Ehrgeiz eindringe in der fremden Sprache und sie ausdrücke in der
eignen? Hat Shakespeare sür Knaben geschrieben, sür deutsche Knaben, damit
sie an seinen Werken ihre Muttersprache erlernen? Dennoch werden sie ge¬
zwungen, Worte zu machen; dennoch werden sie in diese Mysterien eingeführt.
Eine solche deutsche Schülerilbersetzung kann doch nnr ein abstoßendes, wider¬
wärtiges Zerrbild sein. Man hat viel von "Überbürdung" der Schuljugend
gesprochen. Damit hat man hauptsächlich die geistige Überanstrengung gemeint;
aber es giebt mich eine sittliche Überbürdung, wenn man halbflüggen Knaben
Mitgefühl mit ethischen Kraftleistungen zumutet.

Nicht viel besseres läßt sich über die Übersetzungen ans der Muttersprache
in die fremde sagen. Da man schon längst eingesehen hat, daß es dem deutsche"
Knaben unmöglich ist, eine" unverfälschten wirklich deutschen Text in eine fremde
Sprache zu übertragen, so hat man die sogenannten muttersprachlichen Texte
i" U8NIN "lölpliini zu einem hinkenden französischen oder englischen Deutsch her¬
gerichtet. Die Sätze solcher llbersetzuugsbücher spreche" jedem deutschen Sprach¬
gefühl Hohn. Ma" müßte die Kraft des jugendlichen Gedächtnisses und der
Gewöhnung sehr Nuterschätzen, wenn man den schädlichen Einfluß dieses
Sprachsutters auf daS Sprachgefühl und Sprachgewissen leugnen und uicht in
seiner ganzen Gefährlichkeit verkennen wollte. Die Bemühungen und Erfolge des
deutschen Sprachnnterrichts werden durch solche Nbersetzuugspfuscherei wieder
aufgehoben.^)



Mit großer Freude sehen wir, daß endlich einmal jemand auf diesen Mißstand den
Finger setzt! In der That liegt in dem Schand- und Jammerdeutsch, da? alle unsre Über-
setznngSbücher (ohne Ansunhme!) biete", die gar uicht deutsch, sondern immer schon halb
Der deutsche Sprachverein und die deutsche Schule

wenn nun, selbst von Anhängern dieser Methode hört, es sei „eine schwere,
trockne, so viel Ärger verursachende Arbeit" (Overschelde), so wird man den
Witz des englischen Feuilletonisten der ^cincta verstehen, der meint, die
Anregung zur Abschaffung der „obligatorischen Erlernung des Griechischen"
setze voraus, daß es etwas wie eine „freiwillige Erlernung des Griechischen"
gebe; das sei in der That ein guter Spaß. Wenn nun endlich die lenden¬
lahmen Übersetzungen gar zu schriftlichen Aufgaben „verwertet" werden, wie
es vielfach gewünscht wird, dann werden diese an „Klarheit, Einfachheit nud
Volkstümlichkeit" sehr viel zu wünschen übrig lassen und „leere Redensarten"
dem Schüler als Lückenbüßer stets willkommen sein.

Das Übersetzen fremder „Meister" hat aber noch ernstere Nachteile. Der
seinem Alter gemäß entwickelte Knabe hat noch eine so geringe sittliche Er¬
fahrung, seine spätere Gestaltung ist erst im Werden; er kann daher einer
Frage des Lebens gegenüber, wobei starke Gefühle zu edler oder böser That
treiben, kein Verhältnis gewinnen. Kann und darf man nun da verlangen,
daß ein Jüngling von achtzehn Jahren mit Verständnis und Mitgefühl in die
Untiefen von Shhlocks Haß oder die mörderischen Motive von Macbeths ner¬
vösem Ehrgeiz eindringe in der fremden Sprache und sie ausdrücke in der
eignen? Hat Shakespeare sür Knaben geschrieben, sür deutsche Knaben, damit
sie an seinen Werken ihre Muttersprache erlernen? Dennoch werden sie ge¬
zwungen, Worte zu machen; dennoch werden sie in diese Mysterien eingeführt.
Eine solche deutsche Schülerilbersetzung kann doch nnr ein abstoßendes, wider¬
wärtiges Zerrbild sein. Man hat viel von „Überbürdung" der Schuljugend
gesprochen. Damit hat man hauptsächlich die geistige Überanstrengung gemeint;
aber es giebt mich eine sittliche Überbürdung, wenn man halbflüggen Knaben
Mitgefühl mit ethischen Kraftleistungen zumutet.

Nicht viel besseres läßt sich über die Übersetzungen ans der Muttersprache
in die fremde sagen. Da man schon längst eingesehen hat, daß es dem deutsche»
Knaben unmöglich ist, eine» unverfälschten wirklich deutschen Text in eine fremde
Sprache zu übertragen, so hat man die sogenannten muttersprachlichen Texte
i» U8NIN «lölpliini zu einem hinkenden französischen oder englischen Deutsch her¬
gerichtet. Die Sätze solcher llbersetzuugsbücher spreche» jedem deutschen Sprach¬
gefühl Hohn. Ma» müßte die Kraft des jugendlichen Gedächtnisses und der
Gewöhnung sehr Nuterschätzen, wenn man den schädlichen Einfluß dieses
Sprachsutters auf daS Sprachgefühl und Sprachgewissen leugnen und uicht in
seiner ganzen Gefährlichkeit verkennen wollte. Die Bemühungen und Erfolge des
deutschen Sprachnnterrichts werden durch solche Nbersetzuugspfuscherei wieder
aufgehoben.^)



Mit großer Freude sehen wir, daß endlich einmal jemand auf diesen Mißstand den
Finger setzt! In der That liegt in dem Schand- und Jammerdeutsch, da? alle unsre Über-
setznngSbücher (ohne Ansunhme!) biete», die gar uicht deutsch, sondern immer schon halb
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[0498] Der deutsche Sprachverein und die deutsche Schule wenn nun, selbst von Anhängern dieser Methode hört, es sei „eine schwere, trockne, so viel Ärger verursachende Arbeit" (Overschelde), so wird man den Witz des englischen Feuilletonisten der ^cincta verstehen, der meint, die Anregung zur Abschaffung der „obligatorischen Erlernung des Griechischen" setze voraus, daß es etwas wie eine „freiwillige Erlernung des Griechischen" gebe; das sei in der That ein guter Spaß. Wenn nun endlich die lenden¬ lahmen Übersetzungen gar zu schriftlichen Aufgaben „verwertet" werden, wie es vielfach gewünscht wird, dann werden diese an „Klarheit, Einfachheit nud Volkstümlichkeit" sehr viel zu wünschen übrig lassen und „leere Redensarten" dem Schüler als Lückenbüßer stets willkommen sein. Das Übersetzen fremder „Meister" hat aber noch ernstere Nachteile. Der seinem Alter gemäß entwickelte Knabe hat noch eine so geringe sittliche Er¬ fahrung, seine spätere Gestaltung ist erst im Werden; er kann daher einer Frage des Lebens gegenüber, wobei starke Gefühle zu edler oder böser That treiben, kein Verhältnis gewinnen. Kann und darf man nun da verlangen, daß ein Jüngling von achtzehn Jahren mit Verständnis und Mitgefühl in die Untiefen von Shhlocks Haß oder die mörderischen Motive von Macbeths ner¬ vösem Ehrgeiz eindringe in der fremden Sprache und sie ausdrücke in der eignen? Hat Shakespeare sür Knaben geschrieben, sür deutsche Knaben, damit sie an seinen Werken ihre Muttersprache erlernen? Dennoch werden sie ge¬ zwungen, Worte zu machen; dennoch werden sie in diese Mysterien eingeführt. Eine solche deutsche Schülerilbersetzung kann doch nnr ein abstoßendes, wider¬ wärtiges Zerrbild sein. Man hat viel von „Überbürdung" der Schuljugend gesprochen. Damit hat man hauptsächlich die geistige Überanstrengung gemeint; aber es giebt mich eine sittliche Überbürdung, wenn man halbflüggen Knaben Mitgefühl mit ethischen Kraftleistungen zumutet. Nicht viel besseres läßt sich über die Übersetzungen ans der Muttersprache in die fremde sagen. Da man schon längst eingesehen hat, daß es dem deutsche» Knaben unmöglich ist, eine» unverfälschten wirklich deutschen Text in eine fremde Sprache zu übertragen, so hat man die sogenannten muttersprachlichen Texte i» U8NIN «lölpliini zu einem hinkenden französischen oder englischen Deutsch her¬ gerichtet. Die Sätze solcher llbersetzuugsbücher spreche» jedem deutschen Sprach¬ gefühl Hohn. Ma» müßte die Kraft des jugendlichen Gedächtnisses und der Gewöhnung sehr Nuterschätzen, wenn man den schädlichen Einfluß dieses Sprachsutters auf daS Sprachgefühl und Sprachgewissen leugnen und uicht in seiner ganzen Gefährlichkeit verkennen wollte. Die Bemühungen und Erfolge des deutschen Sprachnnterrichts werden durch solche Nbersetzuugspfuscherei wieder aufgehoben.^) Mit großer Freude sehen wir, daß endlich einmal jemand auf diesen Mißstand den Finger setzt! In der That liegt in dem Schand- und Jammerdeutsch, da? alle unsre Über- setznngSbücher (ohne Ansunhme!) biete», die gar uicht deutsch, sondern immer schon halb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/498>, abgerufen am 23.07.2024.