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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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der Nenaisfaneeschlösser wie der modernen Cottages zu beherrschen wußte. Er
war ein freundlicher Weltbnmmler durch alle Blumenbeete des Lebens; seine
Rosen hatten keine Dornen, aber oft waren sie duftlos, wie die farbenprächtigen
Rosen Vengalens und wie reizende symmetrische- Papiergewächse. Ein Dichter
in: höhern und höchsten Sinn war er nicht."

Tennyson ist in allen seinen Dichtungen arm an eignen Ideen, an origi¬
nellen Einfällen; niemals wirkt er überraschend, packend, aufregend. Sein
Mangel an nenschnffender Phantasie ist so gering, daß er selbst die einfachstell
Stoffe wie die zu ^/ultor's Miooll .Vrilim. Dorir und zu den meisten
Ick^is andern Erzählern entlehut hat. Auch bei seineu neuesten Gedichten werden
wir diesen Mangel erkennen. Sobald Tennyson aus dem Gebiete der Land¬
schaftsmalerei, des Stimmungsbildes und der beschaulichen Lyrik hinaustritt,
verliert er den festen Boden uuter den Füßen und wird zu einem langatmigen
Rhetvriker. Stedman hat daher Recht, wenn er in seinem Buche Vivtoriiur
l^osts von ihm sagt: "Mit wenigen Ausnahmen sind seine am feinsten ge¬
schilderten Männer- und Frauengestalten nicht wirkliche Wesen, sondern schöne
Schatten, die sich wie die Bilder eines Stereoptikons auflösen^ sobald man sie
zu lange und zu nahe betrachtet." In seiner ganzen dichterischen Persönlichkeit
ist Tennyson geradezu das Gegenteil von Byron. Hier ein unruhiges Meer
voll ungestümer wilder Regungen, dort ein kann bewegter See inmitten einer
künstlich angelegten, romantischen Landschaft; hier innere Gärung, leidenschaft¬
liches Feuer und oft rohe Zügellosigkeit, dort ängstliche Zurückhaltung, Ruhe
und Wohlanstündigteit; bei Byron ein natürlicher Strom wuchtiger, sich über¬
stürzender Gedanken und tobender Gefühlsausbrüche, ein müheloses Darbieten
genialer Wendungen und überraschender lichtvoller Perspektiven, bei Tennyson
alles maßvoll, oft mühsam erarbeitet, gefeilt, ziselirt; Byron ein Meister in
gewaltigen Entwürfen, im packenden Ausdruck aller menschlichen Leidenschaften
und in der feurigen Darstellung großartiger Probleme, Tennyson ein Meister
i" der idyllischen Kleinmalerei, des träumerischen Helldunkels, der beschreibenden
Mosaikarbeit, der poetischen Technik. Und wenn man noch gegenwärtig von
einer ^re-sobvvl spricht, die sich an Tennyson anlehnt, und zu der man Dichter
wie Robert Lytton und Meredith zu rechnen Pflegt, so truü mau bei dieser
Schule irgend welchen geistigen Einfluß des I^vel l.!i.nroiü,0 schwer nachweise,,;
seine Anhänger suchen lediglich seine Fvrmgewandtheit zu erreichen, seine Vers¬
technik, seine melodische Sprache, seine wirkungsvollen Rhythmen und Reime.

Um eine wirkliche Schule zu bilden, muß man eine selbständige, in sich
abgeschlossene Persönlichkeit sein, und man kann nicht behaupte", daß Tennyson
dieses Bild biete. Er ist von Anfang an Eklektiker gewesen und hat die Kunst
verstanden, ans allen litterarischen Richtungen der Zeit das, was dem großen
Publikum um meisten zusagt, herauszugreifen und sich anzueignen. So hat
er z. B. in seinen Gedichten 'I'do ^ni/ ot' Zlmlott und 'I'tlo I^vos-^aturL die


der Nenaisfaneeschlösser wie der modernen Cottages zu beherrschen wußte. Er
war ein freundlicher Weltbnmmler durch alle Blumenbeete des Lebens; seine
Rosen hatten keine Dornen, aber oft waren sie duftlos, wie die farbenprächtigen
Rosen Vengalens und wie reizende symmetrische- Papiergewächse. Ein Dichter
in: höhern und höchsten Sinn war er nicht."

Tennyson ist in allen seinen Dichtungen arm an eignen Ideen, an origi¬
nellen Einfällen; niemals wirkt er überraschend, packend, aufregend. Sein
Mangel an nenschnffender Phantasie ist so gering, daß er selbst die einfachstell
Stoffe wie die zu ^/ultor's Miooll .Vrilim. Dorir und zu den meisten
Ick^is andern Erzählern entlehut hat. Auch bei seineu neuesten Gedichten werden
wir diesen Mangel erkennen. Sobald Tennyson aus dem Gebiete der Land¬
schaftsmalerei, des Stimmungsbildes und der beschaulichen Lyrik hinaustritt,
verliert er den festen Boden uuter den Füßen und wird zu einem langatmigen
Rhetvriker. Stedman hat daher Recht, wenn er in seinem Buche Vivtoriiur
l^osts von ihm sagt: „Mit wenigen Ausnahmen sind seine am feinsten ge¬
schilderten Männer- und Frauengestalten nicht wirkliche Wesen, sondern schöne
Schatten, die sich wie die Bilder eines Stereoptikons auflösen^ sobald man sie
zu lange und zu nahe betrachtet." In seiner ganzen dichterischen Persönlichkeit
ist Tennyson geradezu das Gegenteil von Byron. Hier ein unruhiges Meer
voll ungestümer wilder Regungen, dort ein kann bewegter See inmitten einer
künstlich angelegten, romantischen Landschaft; hier innere Gärung, leidenschaft¬
liches Feuer und oft rohe Zügellosigkeit, dort ängstliche Zurückhaltung, Ruhe
und Wohlanstündigteit; bei Byron ein natürlicher Strom wuchtiger, sich über¬
stürzender Gedanken und tobender Gefühlsausbrüche, ein müheloses Darbieten
genialer Wendungen und überraschender lichtvoller Perspektiven, bei Tennyson
alles maßvoll, oft mühsam erarbeitet, gefeilt, ziselirt; Byron ein Meister in
gewaltigen Entwürfen, im packenden Ausdruck aller menschlichen Leidenschaften
und in der feurigen Darstellung großartiger Probleme, Tennyson ein Meister
i» der idyllischen Kleinmalerei, des träumerischen Helldunkels, der beschreibenden
Mosaikarbeit, der poetischen Technik. Und wenn man noch gegenwärtig von
einer ^re-sobvvl spricht, die sich an Tennyson anlehnt, und zu der man Dichter
wie Robert Lytton und Meredith zu rechnen Pflegt, so truü mau bei dieser
Schule irgend welchen geistigen Einfluß des I^vel l.!i.nroiü,0 schwer nachweise,,;
seine Anhänger suchen lediglich seine Fvrmgewandtheit zu erreichen, seine Vers¬
technik, seine melodische Sprache, seine wirkungsvollen Rhythmen und Reime.

Um eine wirkliche Schule zu bilden, muß man eine selbständige, in sich
abgeschlossene Persönlichkeit sein, und man kann nicht behaupte», daß Tennyson
dieses Bild biete. Er ist von Anfang an Eklektiker gewesen und hat die Kunst
verstanden, ans allen litterarischen Richtungen der Zeit das, was dem großen
Publikum um meisten zusagt, herauszugreifen und sich anzueignen. So hat
er z. B. in seinen Gedichten 'I'do ^ni/ ot' Zlmlott und 'I'tlo I^vos-^aturL die


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[0427] der Nenaisfaneeschlösser wie der modernen Cottages zu beherrschen wußte. Er war ein freundlicher Weltbnmmler durch alle Blumenbeete des Lebens; seine Rosen hatten keine Dornen, aber oft waren sie duftlos, wie die farbenprächtigen Rosen Vengalens und wie reizende symmetrische- Papiergewächse. Ein Dichter in: höhern und höchsten Sinn war er nicht." Tennyson ist in allen seinen Dichtungen arm an eignen Ideen, an origi¬ nellen Einfällen; niemals wirkt er überraschend, packend, aufregend. Sein Mangel an nenschnffender Phantasie ist so gering, daß er selbst die einfachstell Stoffe wie die zu ^/ultor's Miooll .Vrilim. Dorir und zu den meisten Ick^is andern Erzählern entlehut hat. Auch bei seineu neuesten Gedichten werden wir diesen Mangel erkennen. Sobald Tennyson aus dem Gebiete der Land¬ schaftsmalerei, des Stimmungsbildes und der beschaulichen Lyrik hinaustritt, verliert er den festen Boden uuter den Füßen und wird zu einem langatmigen Rhetvriker. Stedman hat daher Recht, wenn er in seinem Buche Vivtoriiur l^osts von ihm sagt: „Mit wenigen Ausnahmen sind seine am feinsten ge¬ schilderten Männer- und Frauengestalten nicht wirkliche Wesen, sondern schöne Schatten, die sich wie die Bilder eines Stereoptikons auflösen^ sobald man sie zu lange und zu nahe betrachtet." In seiner ganzen dichterischen Persönlichkeit ist Tennyson geradezu das Gegenteil von Byron. Hier ein unruhiges Meer voll ungestümer wilder Regungen, dort ein kann bewegter See inmitten einer künstlich angelegten, romantischen Landschaft; hier innere Gärung, leidenschaft¬ liches Feuer und oft rohe Zügellosigkeit, dort ängstliche Zurückhaltung, Ruhe und Wohlanstündigteit; bei Byron ein natürlicher Strom wuchtiger, sich über¬ stürzender Gedanken und tobender Gefühlsausbrüche, ein müheloses Darbieten genialer Wendungen und überraschender lichtvoller Perspektiven, bei Tennyson alles maßvoll, oft mühsam erarbeitet, gefeilt, ziselirt; Byron ein Meister in gewaltigen Entwürfen, im packenden Ausdruck aller menschlichen Leidenschaften und in der feurigen Darstellung großartiger Probleme, Tennyson ein Meister i» der idyllischen Kleinmalerei, des träumerischen Helldunkels, der beschreibenden Mosaikarbeit, der poetischen Technik. Und wenn man noch gegenwärtig von einer ^re-sobvvl spricht, die sich an Tennyson anlehnt, und zu der man Dichter wie Robert Lytton und Meredith zu rechnen Pflegt, so truü mau bei dieser Schule irgend welchen geistigen Einfluß des I^vel l.!i.nroiü,0 schwer nachweise,,; seine Anhänger suchen lediglich seine Fvrmgewandtheit zu erreichen, seine Vers¬ technik, seine melodische Sprache, seine wirkungsvollen Rhythmen und Reime. Um eine wirkliche Schule zu bilden, muß man eine selbständige, in sich abgeschlossene Persönlichkeit sein, und man kann nicht behaupte», daß Tennyson dieses Bild biete. Er ist von Anfang an Eklektiker gewesen und hat die Kunst verstanden, ans allen litterarischen Richtungen der Zeit das, was dem großen Publikum um meisten zusagt, herauszugreifen und sich anzueignen. So hat er z. B. in seinen Gedichten 'I'do ^ni/ ot' Zlmlott und 'I'tlo I^vos-^aturL die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/427>, abgerufen am 23.07.2024.