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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Staat ihm eiuen Lorbeerkranz aufs Haupt setzt; denn derartige Krönungen
aus der Zeit des Mittelalters pflegen neben den erwähnten Verdächtigungen
anch noch die nnbenbsichtigte Folge zu haben, daß sie ans die schöpferische
Kraft, das uneigennützige Streben und den thätigen Willen des Künstlers oft
lähmender einwirken als lantes Mißfallen und öffentliche Verurteilung.

Die Engländer haben in dieser Beziehung mit ihren ruft^s lnnroM
wenig günstige Erfahrungen gemacht, denn die beiden vor Alfred Tennyson
gekrönten Dichter Robert Southey und William Wordsworth haben sich zwar
im Genuß ihres Staatsgehaltes und ihrer Ehrenbezeigungen sehr wohl be¬
funden, den Lorbeer auf ihren Häuptern aber ziemlich stark vertrocknen lassen.
Diesen Vorwurf der Ermattung nach dein Erfolge kauu mau in demselben
Maße gegen Lord Tennyson nicht erheben, obwohl er nnn schon mehr als
vierzig Jahre das Amt eines ?opt I^auroats am englischen Hofe bekleidet.
Und doch glauben selbst seine Verehrer, daß bei diesem Dichter manche schlum¬
mernde Anlagen nicht geweckt und manche dichterischen Kräfte nicht entwickelt
worden seien, die sich in ihm durch Kampf und Widerstand gegen äußere Ver¬
hältnisse entfaltet hätten. Die thatsächlichen Niederlagen, die Tennyson mit
seinen Dramen Huesn Ng.r^, IlarolÄ und Lvolsöt nach einander erlitten hat,
haben auch feine begeisterten Anhänger stutzig gemacht und den Gegnern noch
mehr Grund gegeben, sein Genie sogar aus dem Gebiete der Lyrik anzuzweifeln.

Tennyson ist, wie nie ein englischer Dichter, durch ein glückliches Ge¬
schick in seiner Laufbahn begünstigt worden, ihm sind die Erfolge spielend zu¬
gefallen; was wunder, wenn es seinem Genie an jener herben Gewalt und
jener gärenden Tiefe gebricht, über die der dramatische Dichter verfügen muß,
um den Konflikt der Leidenschaften in einer mächtigen Sprache wiederzugeben.
Es geht ein mnrlloser, träumerischer, weiblicher Zug durch alle seine Dich¬
tungen; selbst das vielgepriesene Idyll Knooli ^r"le.u, das nun als ein unnach¬
ahmliches Meisterwerk zu bezeichne" pflegt, leidet an diesen: Fehler und wird
von einem natürlich empfindenden Leser, sobald er die ewig gleichbleibenden
Kunstgriffe in der Beschreibung und Charakteristik, in der rhythmischen Gliede¬
rung der Verse und in der musikalischen Anordnung der Worte einmal erkannt
hat, kaum das zweitemal mit Genuß gelesen werden.

Lord Tennyson steht thatsächlich seit einer Reihe von Jahren schon außer¬
halb seiner Zeit; sein litterarischer Einfluß schwindet immer mehr. Eine so
unabsehbare Menge von Gemeinden, wie sie Browning hinterlassen hat, und
soviel Anhänger und Jünger, wie Swiueburue um sich zu scharen versteht,
kann Tennyson uicht mehr ausweisen. Viele Kritiker haben ihn daher schon
seit einiger Zeit zu deu Toten gelegt. So sagt z. B. Bleibtreu in seiner
Geschichte der englischen Litteratur im neunzehnten Jahrhundert: ,,Tennysons
Arbeit ist gethan. Er war ein großer Künstler, der mit sinnigem Fleiß deu
Stil aller Architekturen, der griechischen Tempel wie der gothischen Dome,


Staat ihm eiuen Lorbeerkranz aufs Haupt setzt; denn derartige Krönungen
aus der Zeit des Mittelalters pflegen neben den erwähnten Verdächtigungen
anch noch die nnbenbsichtigte Folge zu haben, daß sie ans die schöpferische
Kraft, das uneigennützige Streben und den thätigen Willen des Künstlers oft
lähmender einwirken als lantes Mißfallen und öffentliche Verurteilung.

Die Engländer haben in dieser Beziehung mit ihren ruft^s lnnroM
wenig günstige Erfahrungen gemacht, denn die beiden vor Alfred Tennyson
gekrönten Dichter Robert Southey und William Wordsworth haben sich zwar
im Genuß ihres Staatsgehaltes und ihrer Ehrenbezeigungen sehr wohl be¬
funden, den Lorbeer auf ihren Häuptern aber ziemlich stark vertrocknen lassen.
Diesen Vorwurf der Ermattung nach dein Erfolge kauu mau in demselben
Maße gegen Lord Tennyson nicht erheben, obwohl er nnn schon mehr als
vierzig Jahre das Amt eines ?opt I^auroats am englischen Hofe bekleidet.
Und doch glauben selbst seine Verehrer, daß bei diesem Dichter manche schlum¬
mernde Anlagen nicht geweckt und manche dichterischen Kräfte nicht entwickelt
worden seien, die sich in ihm durch Kampf und Widerstand gegen äußere Ver¬
hältnisse entfaltet hätten. Die thatsächlichen Niederlagen, die Tennyson mit
seinen Dramen Huesn Ng.r^, IlarolÄ und Lvolsöt nach einander erlitten hat,
haben auch feine begeisterten Anhänger stutzig gemacht und den Gegnern noch
mehr Grund gegeben, sein Genie sogar aus dem Gebiete der Lyrik anzuzweifeln.

Tennyson ist, wie nie ein englischer Dichter, durch ein glückliches Ge¬
schick in seiner Laufbahn begünstigt worden, ihm sind die Erfolge spielend zu¬
gefallen; was wunder, wenn es seinem Genie an jener herben Gewalt und
jener gärenden Tiefe gebricht, über die der dramatische Dichter verfügen muß,
um den Konflikt der Leidenschaften in einer mächtigen Sprache wiederzugeben.
Es geht ein mnrlloser, träumerischer, weiblicher Zug durch alle seine Dich¬
tungen; selbst das vielgepriesene Idyll Knooli ^r«le.u, das nun als ein unnach¬
ahmliches Meisterwerk zu bezeichne» pflegt, leidet an diesen: Fehler und wird
von einem natürlich empfindenden Leser, sobald er die ewig gleichbleibenden
Kunstgriffe in der Beschreibung und Charakteristik, in der rhythmischen Gliede¬
rung der Verse und in der musikalischen Anordnung der Worte einmal erkannt
hat, kaum das zweitemal mit Genuß gelesen werden.

Lord Tennyson steht thatsächlich seit einer Reihe von Jahren schon außer¬
halb seiner Zeit; sein litterarischer Einfluß schwindet immer mehr. Eine so
unabsehbare Menge von Gemeinden, wie sie Browning hinterlassen hat, und
soviel Anhänger und Jünger, wie Swiueburue um sich zu scharen versteht,
kann Tennyson uicht mehr ausweisen. Viele Kritiker haben ihn daher schon
seit einiger Zeit zu deu Toten gelegt. So sagt z. B. Bleibtreu in seiner
Geschichte der englischen Litteratur im neunzehnten Jahrhundert: ,,Tennysons
Arbeit ist gethan. Er war ein großer Künstler, der mit sinnigem Fleiß deu
Stil aller Architekturen, der griechischen Tempel wie der gothischen Dome,


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[0426] Staat ihm eiuen Lorbeerkranz aufs Haupt setzt; denn derartige Krönungen aus der Zeit des Mittelalters pflegen neben den erwähnten Verdächtigungen anch noch die nnbenbsichtigte Folge zu haben, daß sie ans die schöpferische Kraft, das uneigennützige Streben und den thätigen Willen des Künstlers oft lähmender einwirken als lantes Mißfallen und öffentliche Verurteilung. Die Engländer haben in dieser Beziehung mit ihren ruft^s lnnroM wenig günstige Erfahrungen gemacht, denn die beiden vor Alfred Tennyson gekrönten Dichter Robert Southey und William Wordsworth haben sich zwar im Genuß ihres Staatsgehaltes und ihrer Ehrenbezeigungen sehr wohl be¬ funden, den Lorbeer auf ihren Häuptern aber ziemlich stark vertrocknen lassen. Diesen Vorwurf der Ermattung nach dein Erfolge kauu mau in demselben Maße gegen Lord Tennyson nicht erheben, obwohl er nnn schon mehr als vierzig Jahre das Amt eines ?opt I^auroats am englischen Hofe bekleidet. Und doch glauben selbst seine Verehrer, daß bei diesem Dichter manche schlum¬ mernde Anlagen nicht geweckt und manche dichterischen Kräfte nicht entwickelt worden seien, die sich in ihm durch Kampf und Widerstand gegen äußere Ver¬ hältnisse entfaltet hätten. Die thatsächlichen Niederlagen, die Tennyson mit seinen Dramen Huesn Ng.r^, IlarolÄ und Lvolsöt nach einander erlitten hat, haben auch feine begeisterten Anhänger stutzig gemacht und den Gegnern noch mehr Grund gegeben, sein Genie sogar aus dem Gebiete der Lyrik anzuzweifeln. Tennyson ist, wie nie ein englischer Dichter, durch ein glückliches Ge¬ schick in seiner Laufbahn begünstigt worden, ihm sind die Erfolge spielend zu¬ gefallen; was wunder, wenn es seinem Genie an jener herben Gewalt und jener gärenden Tiefe gebricht, über die der dramatische Dichter verfügen muß, um den Konflikt der Leidenschaften in einer mächtigen Sprache wiederzugeben. Es geht ein mnrlloser, träumerischer, weiblicher Zug durch alle seine Dich¬ tungen; selbst das vielgepriesene Idyll Knooli ^r«le.u, das nun als ein unnach¬ ahmliches Meisterwerk zu bezeichne» pflegt, leidet an diesen: Fehler und wird von einem natürlich empfindenden Leser, sobald er die ewig gleichbleibenden Kunstgriffe in der Beschreibung und Charakteristik, in der rhythmischen Gliede¬ rung der Verse und in der musikalischen Anordnung der Worte einmal erkannt hat, kaum das zweitemal mit Genuß gelesen werden. Lord Tennyson steht thatsächlich seit einer Reihe von Jahren schon außer¬ halb seiner Zeit; sein litterarischer Einfluß schwindet immer mehr. Eine so unabsehbare Menge von Gemeinden, wie sie Browning hinterlassen hat, und soviel Anhänger und Jünger, wie Swiueburue um sich zu scharen versteht, kann Tennyson uicht mehr ausweisen. Viele Kritiker haben ihn daher schon seit einiger Zeit zu deu Toten gelegt. So sagt z. B. Bleibtreu in seiner Geschichte der englischen Litteratur im neunzehnten Jahrhundert: ,,Tennysons Arbeit ist gethan. Er war ein großer Künstler, der mit sinnigem Fleiß deu Stil aller Architekturen, der griechischen Tempel wie der gothischen Dome,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/426>, abgerufen am 23.07.2024.