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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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tenter geworden. Die Zahl der in Leipzig arbeitenden Pressen und Noten-
stechereien übertraf wohl schon in den dreißiger Jahren die in drei oder vier
der größten deutschen Städte zusammengenommen vorhandene Zahl, und von
dieser eigenartigen Betriebsamkeit ging unzweifelhaft eine gewisse Wirkung auf
die gesamte Bevölkerung aus. Die Anfänge auch jener Vuchindnstrie, die für
das litterarische Bedürfnis der Massen weniger zu sorgen, als dieses Bedürfnis
vielmehr erst zu erwecken und hervorzurufen sucht, waren mit dem Brock¬
hausischen Konversationslexikon, dem "Pfennigmagazin" und ähnlichen Unter¬
nehmungen bereits ins Leben getreten. Sie hatten die Berechtigung aller
Anfänge und halfen die Zahl der Menschen, die eine wenigstens äußere
Beziehung zur Litteratur hatten, unglaublich steigern. Aber auch hiervon noch
abgesehen, zog das litterarische Leben Leipzigs in dieser Zeit wieder die Angen
weiter Kreise auf sich.

Während zum Teil bis in die dreißiger Jahre hinein die Gruppe der ältern
namhaften Schriftsteller Leipzigs: Friedrich Rochlitz, Wilhelm Gerhard, Heinrich
Blllmner, C. A. Clodius (derjüngre), AmadeusWendt noch der klassischen Periode
der deutschen Litteratur mit schwachem Nachklang angehört hatten, während in
den Tagen der Romantik das litterarische Leipzig so unbeteiligt geblieben war,
daß August Apels "Gespeusterbuch" und "Wunderbuch" beinahe die einzigen
nennenswerten auf Leipziger Boden erwachsenen Beiträge zur deutschen roman¬
tischen Litteratur wurden, hatte die jungdeutsche Bewegung, die mehr oder
weniger entschiedne Wendung der Litteratur zur Politik in der Lindenstadt
einen natürlichen und breiten Boden gefunden. Einige der lautesten lind
rührigsten Wortführer der "jungdeutschen" Litteratur: Heinrich Laube, Gustav
Ktthue, Hermann Marggraff hatten sich in Leipzig niedergelassen und ent¬
wickelten in den von ihnen redigirten Zeitschriften (unter denen die "Zeitung
für die elegante Welt," abwechselnd unter Landes und Kühnes Redaktion die
namhafteste war), wie in ihren eignen erzählenden und dramatischen Arbeiten
die wunderliche Mischung von poetischen und publizistischen Elementen, die
man für ein Bcrjüngnugsbad, eine Neubelebung der alt gewordenen deutschen
Dichtung hielt. Die Vorläufer der politischen Poesie, Julius Mosen, Karl
Beck, Ernst Ortlepp, lebten während der dreißiger Jahre sämtlich längere Zeit
in Leipzig und wurden wenig später von einem jüngern Geschlechte politischer
Sänger und (meist österreichischer) Zensurflüchtlinge abgelöst. Die harm¬
loseren, aber einflußreichen Belletristen des Leipziger Parnasses: der Böhme
Karl Herlvßsvhu, der die Zeitschrift "Der Komet," die Lausitzer Robert Heller,
der die Zeitschrift "Rosen," und Ernst Willkomm, der die "Jahrbücher für Drama,
Dramaturgie und Theater," der Dresdner Ferdinand Stolle, der die "Eilpost
für Moden" redigirte, suchten sich selbst, so gut es angehen wollte, mit der
Gährung der Zeit zu durchdringen und bescheidne, aber fleißige Erzählungskunst
mit der Teilnahme an der Sache des Liberalismus zu verbinden. Zu diesen


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tenter geworden. Die Zahl der in Leipzig arbeitenden Pressen und Noten-
stechereien übertraf wohl schon in den dreißiger Jahren die in drei oder vier
der größten deutschen Städte zusammengenommen vorhandene Zahl, und von
dieser eigenartigen Betriebsamkeit ging unzweifelhaft eine gewisse Wirkung auf
die gesamte Bevölkerung aus. Die Anfänge auch jener Vuchindnstrie, die für
das litterarische Bedürfnis der Massen weniger zu sorgen, als dieses Bedürfnis
vielmehr erst zu erwecken und hervorzurufen sucht, waren mit dem Brock¬
hausischen Konversationslexikon, dem „Pfennigmagazin" und ähnlichen Unter¬
nehmungen bereits ins Leben getreten. Sie hatten die Berechtigung aller
Anfänge und halfen die Zahl der Menschen, die eine wenigstens äußere
Beziehung zur Litteratur hatten, unglaublich steigern. Aber auch hiervon noch
abgesehen, zog das litterarische Leben Leipzigs in dieser Zeit wieder die Angen
weiter Kreise auf sich.

Während zum Teil bis in die dreißiger Jahre hinein die Gruppe der ältern
namhaften Schriftsteller Leipzigs: Friedrich Rochlitz, Wilhelm Gerhard, Heinrich
Blllmner, C. A. Clodius (derjüngre), AmadeusWendt noch der klassischen Periode
der deutschen Litteratur mit schwachem Nachklang angehört hatten, während in
den Tagen der Romantik das litterarische Leipzig so unbeteiligt geblieben war,
daß August Apels „Gespeusterbuch" und „Wunderbuch" beinahe die einzigen
nennenswerten auf Leipziger Boden erwachsenen Beiträge zur deutschen roman¬
tischen Litteratur wurden, hatte die jungdeutsche Bewegung, die mehr oder
weniger entschiedne Wendung der Litteratur zur Politik in der Lindenstadt
einen natürlichen und breiten Boden gefunden. Einige der lautesten lind
rührigsten Wortführer der „jungdeutschen" Litteratur: Heinrich Laube, Gustav
Ktthue, Hermann Marggraff hatten sich in Leipzig niedergelassen und ent¬
wickelten in den von ihnen redigirten Zeitschriften (unter denen die „Zeitung
für die elegante Welt," abwechselnd unter Landes und Kühnes Redaktion die
namhafteste war), wie in ihren eignen erzählenden und dramatischen Arbeiten
die wunderliche Mischung von poetischen und publizistischen Elementen, die
man für ein Bcrjüngnugsbad, eine Neubelebung der alt gewordenen deutschen
Dichtung hielt. Die Vorläufer der politischen Poesie, Julius Mosen, Karl
Beck, Ernst Ortlepp, lebten während der dreißiger Jahre sämtlich längere Zeit
in Leipzig und wurden wenig später von einem jüngern Geschlechte politischer
Sänger und (meist österreichischer) Zensurflüchtlinge abgelöst. Die harm¬
loseren, aber einflußreichen Belletristen des Leipziger Parnasses: der Böhme
Karl Herlvßsvhu, der die Zeitschrift „Der Komet," die Lausitzer Robert Heller,
der die Zeitschrift „Rosen," und Ernst Willkomm, der die „Jahrbücher für Drama,
Dramaturgie und Theater," der Dresdner Ferdinand Stolle, der die „Eilpost
für Moden" redigirte, suchten sich selbst, so gut es angehen wollte, mit der
Gährung der Zeit zu durchdringen und bescheidne, aber fleißige Erzählungskunst
mit der Teilnahme an der Sache des Liberalismus zu verbinden. Zu diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/41>, abgerufen am 23.07.2024.