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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Veto Ludwig in Leipzig

für den Tag anerkannten Roman- und Novellenschriftstelleru gesellten sich
zahlreiche "Litteraten" zur Zeit noch unbestimmten Gepräges, aber bereit, von
unreifer und unergiebiger Lyrik sei es zur Übersetzerfron, sei es zur rein
politischen Journalistik, die mit den "Sächsischen Vaterlandsblättern," dem
"Wandelstern," mit K. Biedermanns Zeitschriften eben aufzuleben begann,
überzugehen. Die kräftige Demagvgengestalt Robert Blums, der trotz seiner
Stellung als Theatersekretär und gelegentlicher Gastrollen bei der Belletristik
nur in der künftigen Revolution lebte und selbst Schillers gefeierten Dichter¬
namen vortrefflich für deren Vorbereitung auszunutzen wußte, drängte mehr
als einen der Unentschieden in die Zeitungsschreiberlaufbahu hinüber. Mitten
zwischen dem Gedränge politischer Bestrebungen und halbpolitischer "zeit¬
genössischer" Litteratur versuchte ein kleines Häuflein gesunder, aber leider
wenig bedeutender lyrischer Dichter, Adolf Böttger, Julius Hammer,
Theodor Apel u. a., die nicht tendenziöse Poesie, die sie meist von der
formellen Seite auffaßten, zu Pflegen und zu hüten. Die Zahl der in Leipzig
heimischen Schriftsteller wurde unaufhörlich durch deu Zuzug vorübergehender
fremder Gäste und den Nachwuchs aus studentischen Kreisen verstärkt. Die
litterarische Bedeutung Leipzigs aber, die schon durch diese Fülle von wirklichem
und scheinbarem Leben wesentlich gesteigert war, erhöhte sich durch seine
Stellung als großer Verlagsort. So wurde das hervorragendste kritische Blatt
jener Gährungsperiode, Ruges und Echtermeyers "Hallische Jahrbücher," zwar
in Halle redigirt, aber in Leipzig verlegt, so erschien mehr als die Hälfte der
damals Aussehen erregenden Bücher bei Leipziger Firmen.

Nicht minder bewegt, eigentümlich, vielseitig und vielverheißeno, dabei
meist erfreulicher und zu längerer Nachwirkung bestimmt, zeigte sich um die
Wende der dreißiger und vierziger Jahre das musikalische Leben Leipzigs, das
dein Eisfelder Ankömmling trotz seiner poetischen Neigungen und litterarischen
Versuche zunächst näher liegen mußte, als das Treiben der Litteratur. Reicher
und für musikalische Naturen anziehender, als es seit Bachs Tagen der Fall
gewesen war, zeigte sich die Musikstadt an allen Enden. Zwar die Oper
entsprach unter der knappen und vorsichtigen Verwaltung des städtischen
Theaterpächters Ringelhardt nur mäßigen Ansprüchen, immerhin erwuchs in
jenen Jahren und aus ihrer Mitte ein so natürliches und in gutem Sinne
volkstümliches Talent wie das Albert Lortzings. Doch der musikalische Glanz
Leipzigs strahlte nicht von der Opernbühne, sondern vom Saale des Gewand¬
hauses aus. An der Spitze des großen Konzerts, der glücklichsten im stillen
gediehenen und gereiften Kunstanstalt der Stadt, stand seit dem Herbst 1835
der junge Meister, der rascher als einer seiner Zeitgenossen die Herzen der
Leipziger musikalischen Kreise im Sturme erobert hatte, dessen schöpferisches
und Dirigententalent durch eine gewinnende und für die besondern Verhält¬
nisse, in denen er wirkte, wie geschaffene Persönlichkeit unterstützt wurde, sodaß


Veto Ludwig in Leipzig

für den Tag anerkannten Roman- und Novellenschriftstelleru gesellten sich
zahlreiche „Litteraten" zur Zeit noch unbestimmten Gepräges, aber bereit, von
unreifer und unergiebiger Lyrik sei es zur Übersetzerfron, sei es zur rein
politischen Journalistik, die mit den „Sächsischen Vaterlandsblättern," dem
„Wandelstern," mit K. Biedermanns Zeitschriften eben aufzuleben begann,
überzugehen. Die kräftige Demagvgengestalt Robert Blums, der trotz seiner
Stellung als Theatersekretär und gelegentlicher Gastrollen bei der Belletristik
nur in der künftigen Revolution lebte und selbst Schillers gefeierten Dichter¬
namen vortrefflich für deren Vorbereitung auszunutzen wußte, drängte mehr
als einen der Unentschieden in die Zeitungsschreiberlaufbahu hinüber. Mitten
zwischen dem Gedränge politischer Bestrebungen und halbpolitischer „zeit¬
genössischer" Litteratur versuchte ein kleines Häuflein gesunder, aber leider
wenig bedeutender lyrischer Dichter, Adolf Böttger, Julius Hammer,
Theodor Apel u. a., die nicht tendenziöse Poesie, die sie meist von der
formellen Seite auffaßten, zu Pflegen und zu hüten. Die Zahl der in Leipzig
heimischen Schriftsteller wurde unaufhörlich durch deu Zuzug vorübergehender
fremder Gäste und den Nachwuchs aus studentischen Kreisen verstärkt. Die
litterarische Bedeutung Leipzigs aber, die schon durch diese Fülle von wirklichem
und scheinbarem Leben wesentlich gesteigert war, erhöhte sich durch seine
Stellung als großer Verlagsort. So wurde das hervorragendste kritische Blatt
jener Gährungsperiode, Ruges und Echtermeyers „Hallische Jahrbücher," zwar
in Halle redigirt, aber in Leipzig verlegt, so erschien mehr als die Hälfte der
damals Aussehen erregenden Bücher bei Leipziger Firmen.

Nicht minder bewegt, eigentümlich, vielseitig und vielverheißeno, dabei
meist erfreulicher und zu längerer Nachwirkung bestimmt, zeigte sich um die
Wende der dreißiger und vierziger Jahre das musikalische Leben Leipzigs, das
dein Eisfelder Ankömmling trotz seiner poetischen Neigungen und litterarischen
Versuche zunächst näher liegen mußte, als das Treiben der Litteratur. Reicher
und für musikalische Naturen anziehender, als es seit Bachs Tagen der Fall
gewesen war, zeigte sich die Musikstadt an allen Enden. Zwar die Oper
entsprach unter der knappen und vorsichtigen Verwaltung des städtischen
Theaterpächters Ringelhardt nur mäßigen Ansprüchen, immerhin erwuchs in
jenen Jahren und aus ihrer Mitte ein so natürliches und in gutem Sinne
volkstümliches Talent wie das Albert Lortzings. Doch der musikalische Glanz
Leipzigs strahlte nicht von der Opernbühne, sondern vom Saale des Gewand¬
hauses aus. An der Spitze des großen Konzerts, der glücklichsten im stillen
gediehenen und gereiften Kunstanstalt der Stadt, stand seit dem Herbst 1835
der junge Meister, der rascher als einer seiner Zeitgenossen die Herzen der
Leipziger musikalischen Kreise im Sturme erobert hatte, dessen schöpferisches
und Dirigententalent durch eine gewinnende und für die besondern Verhält¬
nisse, in denen er wirkte, wie geschaffene Persönlichkeit unterstützt wurde, sodaß


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[0042] Veto Ludwig in Leipzig für den Tag anerkannten Roman- und Novellenschriftstelleru gesellten sich zahlreiche „Litteraten" zur Zeit noch unbestimmten Gepräges, aber bereit, von unreifer und unergiebiger Lyrik sei es zur Übersetzerfron, sei es zur rein politischen Journalistik, die mit den „Sächsischen Vaterlandsblättern," dem „Wandelstern," mit K. Biedermanns Zeitschriften eben aufzuleben begann, überzugehen. Die kräftige Demagvgengestalt Robert Blums, der trotz seiner Stellung als Theatersekretär und gelegentlicher Gastrollen bei der Belletristik nur in der künftigen Revolution lebte und selbst Schillers gefeierten Dichter¬ namen vortrefflich für deren Vorbereitung auszunutzen wußte, drängte mehr als einen der Unentschieden in die Zeitungsschreiberlaufbahu hinüber. Mitten zwischen dem Gedränge politischer Bestrebungen und halbpolitischer „zeit¬ genössischer" Litteratur versuchte ein kleines Häuflein gesunder, aber leider wenig bedeutender lyrischer Dichter, Adolf Böttger, Julius Hammer, Theodor Apel u. a., die nicht tendenziöse Poesie, die sie meist von der formellen Seite auffaßten, zu Pflegen und zu hüten. Die Zahl der in Leipzig heimischen Schriftsteller wurde unaufhörlich durch deu Zuzug vorübergehender fremder Gäste und den Nachwuchs aus studentischen Kreisen verstärkt. Die litterarische Bedeutung Leipzigs aber, die schon durch diese Fülle von wirklichem und scheinbarem Leben wesentlich gesteigert war, erhöhte sich durch seine Stellung als großer Verlagsort. So wurde das hervorragendste kritische Blatt jener Gährungsperiode, Ruges und Echtermeyers „Hallische Jahrbücher," zwar in Halle redigirt, aber in Leipzig verlegt, so erschien mehr als die Hälfte der damals Aussehen erregenden Bücher bei Leipziger Firmen. Nicht minder bewegt, eigentümlich, vielseitig und vielverheißeno, dabei meist erfreulicher und zu längerer Nachwirkung bestimmt, zeigte sich um die Wende der dreißiger und vierziger Jahre das musikalische Leben Leipzigs, das dein Eisfelder Ankömmling trotz seiner poetischen Neigungen und litterarischen Versuche zunächst näher liegen mußte, als das Treiben der Litteratur. Reicher und für musikalische Naturen anziehender, als es seit Bachs Tagen der Fall gewesen war, zeigte sich die Musikstadt an allen Enden. Zwar die Oper entsprach unter der knappen und vorsichtigen Verwaltung des städtischen Theaterpächters Ringelhardt nur mäßigen Ansprüchen, immerhin erwuchs in jenen Jahren und aus ihrer Mitte ein so natürliches und in gutem Sinne volkstümliches Talent wie das Albert Lortzings. Doch der musikalische Glanz Leipzigs strahlte nicht von der Opernbühne, sondern vom Saale des Gewand¬ hauses aus. An der Spitze des großen Konzerts, der glücklichsten im stillen gediehenen und gereiften Kunstanstalt der Stadt, stand seit dem Herbst 1835 der junge Meister, der rascher als einer seiner Zeitgenossen die Herzen der Leipziger musikalischen Kreise im Sturme erobert hatte, dessen schöpferisches und Dirigententalent durch eine gewinnende und für die besondern Verhält¬ nisse, in denen er wirkte, wie geschaffene Persönlichkeit unterstützt wurde, sodaß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/42>, abgerufen am 23.07.2024.