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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Berlin und sein Hof im Jahre i^(>9ü

halte sie dafür; als ich nur den Ur recht besah, bemerkte ich, daß bei dem
Anblick der Umstehenden ihm die Augen zu funkeln begannen.

An den Häusern hierzulande sieht man weder Dachrinnen noch Dach-
ziegel, sondern statt deren runde oder dreieckige Platten, die oben einen Knauf
tragen, der dazu dient, sie an den Sparren festzuhalten, auf die kein Pflaster
gelegt ist, wie es bei uns sin Italiens Brauch ist; jene Platten allein dienen
als Dachziegel und Rinnen, daher sind die Dächer sehr leicht, und weil sie
nach deutscher Art eine starke Neigung haben, hält sich weder Wasser noch
Schnee lange Zeit ans ihnen.

Die Lnndfraucu pflegen im Sommer Stroh hüte mit breiter und herunter¬
hängender Krempe zu trage". Diese Hüte sind sehr zweckmäßig, weil die
Sonnenstrahlen nicht in die Augen fallen können. Außerdem tragen sowohl
Männer als auch Frauen wegen des Sandes, der im Lande liegt, und wegen
der ihn aufwirbelnden Winde, zu Fuße wie zu Wagen. Taschentücher vor dem
Munde. Der Adel spricht ein gutes Deutsch, das niedere Volk jedoch ein
sehr unrichtiges und mit schlechter Betonung; die am Hofe gebräuchlichste
Sprache ist die französische.

In Berlin leben viele italienische und zwar größtenteils mailäudische Kauf¬
leute; nußer diesen einige Maler, so Giovanni Battista Baugi, der Bruder
des Antonio genannt to Spadarinv, ein Miniaturmaler aus Rom, und Domenico
Cadorati aus Como, ein trefflicher Freskenmaler. Bon Italienern traf ich
ferner an den Sänger Signor Ferdinand" Chiaravalle, einen Kastraten und
Günstling der Kurfürstin. Ihm wird die Stelle etwa viertausend Thaler
einbringen, ungerechnet den Gewinn in Hannover und Venedig, wenn er dort
singt, was ihm weitere tausend Thaler abwerfen mag. Er ist aus Todi gebürtig;
seiue Mutter stammt aus dem Hause Signoriui aus Sietta. Er hat zwei,
Brüder und bei Capalbio Besitzungen. Das Haus Chiaravalle zählt zum
Adel und zur Bürgerschaft Sienas und ist eins der ältesten Todis, ebenso wie
das der Signori Degu Atti. Wegen solcher Vorzüge wird Signor Ferdinand"
zum Vorzimmer zugelassen. Er ist ein sehr höflicher und gewandter junger
Manu und erzeigte mir viele Gefälligkeiten. Er wohnte bei der Madame
Eyder.

Es hält sich ferner hier auf Signora Torelli, eine Sängerin aus Bologna;
sie ist verheiratet, ist sehr häßlich, hat aber eine gute Stimme und bezieht
einen Monatsgehalt von 15)0 Thaler und 10V Thalern Wohnungsgeld, nebst
der Genehmigung, in Hannover zu singen. Dann lebt hier noch der Lauten¬
spieler Neggieri aus Mantua, dessen Gehalt 400 Thaler jährlich beträgt.

Das kurfürstliche Schloß ist groß und in antikem Stil; die Seite, die
ans die Spree hinnnsgeht, und der Hof sind im gothischen gehalten. Auf
einer stufenlvsen Wendeltreppe steigt mau, wie in der Peterskirche zu Rom,
sanft empor. Der Hof ist sehr schön und geschmackvoll; in der Mitte stehen


Berlin und sein Hof im Jahre i^(>9ü

halte sie dafür; als ich nur den Ur recht besah, bemerkte ich, daß bei dem
Anblick der Umstehenden ihm die Augen zu funkeln begannen.

An den Häusern hierzulande sieht man weder Dachrinnen noch Dach-
ziegel, sondern statt deren runde oder dreieckige Platten, die oben einen Knauf
tragen, der dazu dient, sie an den Sparren festzuhalten, auf die kein Pflaster
gelegt ist, wie es bei uns sin Italiens Brauch ist; jene Platten allein dienen
als Dachziegel und Rinnen, daher sind die Dächer sehr leicht, und weil sie
nach deutscher Art eine starke Neigung haben, hält sich weder Wasser noch
Schnee lange Zeit ans ihnen.

Die Lnndfraucu pflegen im Sommer Stroh hüte mit breiter und herunter¬
hängender Krempe zu trage». Diese Hüte sind sehr zweckmäßig, weil die
Sonnenstrahlen nicht in die Augen fallen können. Außerdem tragen sowohl
Männer als auch Frauen wegen des Sandes, der im Lande liegt, und wegen
der ihn aufwirbelnden Winde, zu Fuße wie zu Wagen. Taschentücher vor dem
Munde. Der Adel spricht ein gutes Deutsch, das niedere Volk jedoch ein
sehr unrichtiges und mit schlechter Betonung; die am Hofe gebräuchlichste
Sprache ist die französische.

In Berlin leben viele italienische und zwar größtenteils mailäudische Kauf¬
leute; nußer diesen einige Maler, so Giovanni Battista Baugi, der Bruder
des Antonio genannt to Spadarinv, ein Miniaturmaler aus Rom, und Domenico
Cadorati aus Como, ein trefflicher Freskenmaler. Bon Italienern traf ich
ferner an den Sänger Signor Ferdinand» Chiaravalle, einen Kastraten und
Günstling der Kurfürstin. Ihm wird die Stelle etwa viertausend Thaler
einbringen, ungerechnet den Gewinn in Hannover und Venedig, wenn er dort
singt, was ihm weitere tausend Thaler abwerfen mag. Er ist aus Todi gebürtig;
seiue Mutter stammt aus dem Hause Signoriui aus Sietta. Er hat zwei,
Brüder und bei Capalbio Besitzungen. Das Haus Chiaravalle zählt zum
Adel und zur Bürgerschaft Sienas und ist eins der ältesten Todis, ebenso wie
das der Signori Degu Atti. Wegen solcher Vorzüge wird Signor Ferdinand»
zum Vorzimmer zugelassen. Er ist ein sehr höflicher und gewandter junger
Manu und erzeigte mir viele Gefälligkeiten. Er wohnte bei der Madame
Eyder.

Es hält sich ferner hier auf Signora Torelli, eine Sängerin aus Bologna;
sie ist verheiratet, ist sehr häßlich, hat aber eine gute Stimme und bezieht
einen Monatsgehalt von 15)0 Thaler und 10V Thalern Wohnungsgeld, nebst
der Genehmigung, in Hannover zu singen. Dann lebt hier noch der Lauten¬
spieler Neggieri aus Mantua, dessen Gehalt 400 Thaler jährlich beträgt.

Das kurfürstliche Schloß ist groß und in antikem Stil; die Seite, die
ans die Spree hinnnsgeht, und der Hof sind im gothischen gehalten. Auf
einer stufenlvsen Wendeltreppe steigt mau, wie in der Peterskirche zu Rom,
sanft empor. Der Hof ist sehr schön und geschmackvoll; in der Mitte stehen


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[0034] Berlin und sein Hof im Jahre i^(>9ü halte sie dafür; als ich nur den Ur recht besah, bemerkte ich, daß bei dem Anblick der Umstehenden ihm die Augen zu funkeln begannen. An den Häusern hierzulande sieht man weder Dachrinnen noch Dach- ziegel, sondern statt deren runde oder dreieckige Platten, die oben einen Knauf tragen, der dazu dient, sie an den Sparren festzuhalten, auf die kein Pflaster gelegt ist, wie es bei uns sin Italiens Brauch ist; jene Platten allein dienen als Dachziegel und Rinnen, daher sind die Dächer sehr leicht, und weil sie nach deutscher Art eine starke Neigung haben, hält sich weder Wasser noch Schnee lange Zeit ans ihnen. Die Lnndfraucu pflegen im Sommer Stroh hüte mit breiter und herunter¬ hängender Krempe zu trage». Diese Hüte sind sehr zweckmäßig, weil die Sonnenstrahlen nicht in die Augen fallen können. Außerdem tragen sowohl Männer als auch Frauen wegen des Sandes, der im Lande liegt, und wegen der ihn aufwirbelnden Winde, zu Fuße wie zu Wagen. Taschentücher vor dem Munde. Der Adel spricht ein gutes Deutsch, das niedere Volk jedoch ein sehr unrichtiges und mit schlechter Betonung; die am Hofe gebräuchlichste Sprache ist die französische. In Berlin leben viele italienische und zwar größtenteils mailäudische Kauf¬ leute; nußer diesen einige Maler, so Giovanni Battista Baugi, der Bruder des Antonio genannt to Spadarinv, ein Miniaturmaler aus Rom, und Domenico Cadorati aus Como, ein trefflicher Freskenmaler. Bon Italienern traf ich ferner an den Sänger Signor Ferdinand» Chiaravalle, einen Kastraten und Günstling der Kurfürstin. Ihm wird die Stelle etwa viertausend Thaler einbringen, ungerechnet den Gewinn in Hannover und Venedig, wenn er dort singt, was ihm weitere tausend Thaler abwerfen mag. Er ist aus Todi gebürtig; seiue Mutter stammt aus dem Hause Signoriui aus Sietta. Er hat zwei, Brüder und bei Capalbio Besitzungen. Das Haus Chiaravalle zählt zum Adel und zur Bürgerschaft Sienas und ist eins der ältesten Todis, ebenso wie das der Signori Degu Atti. Wegen solcher Vorzüge wird Signor Ferdinand» zum Vorzimmer zugelassen. Er ist ein sehr höflicher und gewandter junger Manu und erzeigte mir viele Gefälligkeiten. Er wohnte bei der Madame Eyder. Es hält sich ferner hier auf Signora Torelli, eine Sängerin aus Bologna; sie ist verheiratet, ist sehr häßlich, hat aber eine gute Stimme und bezieht einen Monatsgehalt von 15)0 Thaler und 10V Thalern Wohnungsgeld, nebst der Genehmigung, in Hannover zu singen. Dann lebt hier noch der Lauten¬ spieler Neggieri aus Mantua, dessen Gehalt 400 Thaler jährlich beträgt. Das kurfürstliche Schloß ist groß und in antikem Stil; die Seite, die ans die Spree hinnnsgeht, und der Hof sind im gothischen gehalten. Auf einer stufenlvsen Wendeltreppe steigt mau, wie in der Peterskirche zu Rom, sanft empor. Der Hof ist sehr schön und geschmackvoll; in der Mitte stehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/34>, abgerufen am 01.07.2024.