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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

recht, Fischerei- und Jagdrecht, Deich- und Sielrecht, Ban- und Nachbarrecht,
Enteignungsrecht, Gesinderecht) hatte die Vorkommissivn zu erwägen gegeben,
"ob nicht die privatrechtlichen Grundprinzipien dieser Institute sich zur ge¬
meinschaftlichen Regelung im Gesetzbuch eignen." Der Bundesrat hatte diesen
Bericht der Vorkommission in der Art zum Beschluß erhoben, daß er der zu
berufenden Hanptkommission überließ, ,,die darin enthaltenen Vorschläge als
Anhaltepunkte zu benutzen." Die Kommission hatte hiernach völlig freie Hand,
auf welche Gegenstände sie ihr Werk ausdehnen wollte. Sie hat diese Freiheit
in der Art benutzt, daß sie alle jene von der Vorkommissivn benannten Gegen¬
stände hat fallen lassen. Aber die Auslassungen des Entwurfes reichen noch
weit über diese Gegenstände hinaus in Gebiete hinein, bezüglich deren gar kein
Zweifel sein kann, daß sie in einem bürgerlichen Gesetzbuche zu ordnen gewesen
wären. In Deutschland bestehen tausende von Vereinen, und täglich werden
neue gegründet. Diese Vereine leben doch auch uuter dem Rechte. Aber für
sie ist das Recht im Entwürfe ungeordnet geblieben, wobei auch vielleicht eine
gewisse politische Ängstlichkeit mitgewirkt haben mag. Alltäglich werden in
Deutschland tausende vou Schuldscheine" und Quittungen ausgestellt. Was
aber ein Schuldschein und eine Quittung sei, das -- sagen die Motive -
könne man nicht wissen, und deshalb werde besser gar nicht davon geredet.
In unzähligen Füllen verwirklicht sich das Recht nur dadurch, daß der eine
Teil dem andern zur Rechnungsstellung verpflichtet ist. Das Institut der
Rechnungsstellung zu verstehen, finden aber die Motive zu schwierig, und
deshalb steht im EntWurfe nichts davon. Noch eine Menge andrer kleinerer
praktischer Fragen, über die die Theorie nichts enthält, und bezüglich deren
deshalb eine Vorschrift durch ^ das Gesetzbuch die Praxis so nötig hätte wie
das liebe Brot, hat gleichwohl der Entwurf unbeantwortet gelassen. Es ist,
als ob das praktische Recht dein EntWurfe ganz fern gelegen hätte. Sicherlich
sind alle diese Weglassungeu nicht ans Mangel an Fleiß zurückzuführen, sondern
es haben andre Gründe dafür vorgelegen. Und wenn zu diesen Gründen anch
die innern Schwierigkeiten der Kommission gehört haben sollten, so würde das
nnr von neuem ein Beweis sein, wie wenig sich eine Kommission zu einem
derartigen Werke eignet.

Noch schmerzlicher aber als diese nieder berührt in den positiven
Schöpfungen des Entwurfes der vielfach sich kundgebende Mangel an gesundem
Rechtssinn und an juristischer Gestaltungskraft. Es ist ja außerordentlich
schwer, diesen Mangel in einer Weise darzustellen, daß auch für den Nicht-
christen die Sache anschaulich wird. Gleichwohl soll es hier durch einige
Beispiele versucht werden.

A ist mit N, der an einem andern Orte, Z, wohnt, in Unterhandlung
wegen eines Hauskanfes. A giebt seinem Freunde B, der eine Reise macht
und dabei Z berührt, Vollmacht zum Abschluß des Kaufes. Nach der Abreise


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

recht, Fischerei- und Jagdrecht, Deich- und Sielrecht, Ban- und Nachbarrecht,
Enteignungsrecht, Gesinderecht) hatte die Vorkommissivn zu erwägen gegeben,
„ob nicht die privatrechtlichen Grundprinzipien dieser Institute sich zur ge¬
meinschaftlichen Regelung im Gesetzbuch eignen." Der Bundesrat hatte diesen
Bericht der Vorkommission in der Art zum Beschluß erhoben, daß er der zu
berufenden Hanptkommission überließ, ,,die darin enthaltenen Vorschläge als
Anhaltepunkte zu benutzen." Die Kommission hatte hiernach völlig freie Hand,
auf welche Gegenstände sie ihr Werk ausdehnen wollte. Sie hat diese Freiheit
in der Art benutzt, daß sie alle jene von der Vorkommissivn benannten Gegen¬
stände hat fallen lassen. Aber die Auslassungen des Entwurfes reichen noch
weit über diese Gegenstände hinaus in Gebiete hinein, bezüglich deren gar kein
Zweifel sein kann, daß sie in einem bürgerlichen Gesetzbuche zu ordnen gewesen
wären. In Deutschland bestehen tausende von Vereinen, und täglich werden
neue gegründet. Diese Vereine leben doch auch uuter dem Rechte. Aber für
sie ist das Recht im Entwürfe ungeordnet geblieben, wobei auch vielleicht eine
gewisse politische Ängstlichkeit mitgewirkt haben mag. Alltäglich werden in
Deutschland tausende vou Schuldscheine» und Quittungen ausgestellt. Was
aber ein Schuldschein und eine Quittung sei, das — sagen die Motive -
könne man nicht wissen, und deshalb werde besser gar nicht davon geredet.
In unzähligen Füllen verwirklicht sich das Recht nur dadurch, daß der eine
Teil dem andern zur Rechnungsstellung verpflichtet ist. Das Institut der
Rechnungsstellung zu verstehen, finden aber die Motive zu schwierig, und
deshalb steht im EntWurfe nichts davon. Noch eine Menge andrer kleinerer
praktischer Fragen, über die die Theorie nichts enthält, und bezüglich deren
deshalb eine Vorschrift durch ^ das Gesetzbuch die Praxis so nötig hätte wie
das liebe Brot, hat gleichwohl der Entwurf unbeantwortet gelassen. Es ist,
als ob das praktische Recht dein EntWurfe ganz fern gelegen hätte. Sicherlich
sind alle diese Weglassungeu nicht ans Mangel an Fleiß zurückzuführen, sondern
es haben andre Gründe dafür vorgelegen. Und wenn zu diesen Gründen anch
die innern Schwierigkeiten der Kommission gehört haben sollten, so würde das
nnr von neuem ein Beweis sein, wie wenig sich eine Kommission zu einem
derartigen Werke eignet.

Noch schmerzlicher aber als diese nieder berührt in den positiven
Schöpfungen des Entwurfes der vielfach sich kundgebende Mangel an gesundem
Rechtssinn und an juristischer Gestaltungskraft. Es ist ja außerordentlich
schwer, diesen Mangel in einer Weise darzustellen, daß auch für den Nicht-
christen die Sache anschaulich wird. Gleichwohl soll es hier durch einige
Beispiele versucht werden.

A ist mit N, der an einem andern Orte, Z, wohnt, in Unterhandlung
wegen eines Hauskanfes. A giebt seinem Freunde B, der eine Reise macht
und dabei Z berührt, Vollmacht zum Abschluß des Kaufes. Nach der Abreise


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[0310] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches recht, Fischerei- und Jagdrecht, Deich- und Sielrecht, Ban- und Nachbarrecht, Enteignungsrecht, Gesinderecht) hatte die Vorkommissivn zu erwägen gegeben, „ob nicht die privatrechtlichen Grundprinzipien dieser Institute sich zur ge¬ meinschaftlichen Regelung im Gesetzbuch eignen." Der Bundesrat hatte diesen Bericht der Vorkommission in der Art zum Beschluß erhoben, daß er der zu berufenden Hanptkommission überließ, ,,die darin enthaltenen Vorschläge als Anhaltepunkte zu benutzen." Die Kommission hatte hiernach völlig freie Hand, auf welche Gegenstände sie ihr Werk ausdehnen wollte. Sie hat diese Freiheit in der Art benutzt, daß sie alle jene von der Vorkommissivn benannten Gegen¬ stände hat fallen lassen. Aber die Auslassungen des Entwurfes reichen noch weit über diese Gegenstände hinaus in Gebiete hinein, bezüglich deren gar kein Zweifel sein kann, daß sie in einem bürgerlichen Gesetzbuche zu ordnen gewesen wären. In Deutschland bestehen tausende von Vereinen, und täglich werden neue gegründet. Diese Vereine leben doch auch uuter dem Rechte. Aber für sie ist das Recht im Entwürfe ungeordnet geblieben, wobei auch vielleicht eine gewisse politische Ängstlichkeit mitgewirkt haben mag. Alltäglich werden in Deutschland tausende vou Schuldscheine» und Quittungen ausgestellt. Was aber ein Schuldschein und eine Quittung sei, das — sagen die Motive - könne man nicht wissen, und deshalb werde besser gar nicht davon geredet. In unzähligen Füllen verwirklicht sich das Recht nur dadurch, daß der eine Teil dem andern zur Rechnungsstellung verpflichtet ist. Das Institut der Rechnungsstellung zu verstehen, finden aber die Motive zu schwierig, und deshalb steht im EntWurfe nichts davon. Noch eine Menge andrer kleinerer praktischer Fragen, über die die Theorie nichts enthält, und bezüglich deren deshalb eine Vorschrift durch ^ das Gesetzbuch die Praxis so nötig hätte wie das liebe Brot, hat gleichwohl der Entwurf unbeantwortet gelassen. Es ist, als ob das praktische Recht dein EntWurfe ganz fern gelegen hätte. Sicherlich sind alle diese Weglassungeu nicht ans Mangel an Fleiß zurückzuführen, sondern es haben andre Gründe dafür vorgelegen. Und wenn zu diesen Gründen anch die innern Schwierigkeiten der Kommission gehört haben sollten, so würde das nnr von neuem ein Beweis sein, wie wenig sich eine Kommission zu einem derartigen Werke eignet. Noch schmerzlicher aber als diese nieder berührt in den positiven Schöpfungen des Entwurfes der vielfach sich kundgebende Mangel an gesundem Rechtssinn und an juristischer Gestaltungskraft. Es ist ja außerordentlich schwer, diesen Mangel in einer Weise darzustellen, daß auch für den Nicht- christen die Sache anschaulich wird. Gleichwohl soll es hier durch einige Beispiele versucht werden. A ist mit N, der an einem andern Orte, Z, wohnt, in Unterhandlung wegen eines Hauskanfes. A giebt seinem Freunde B, der eine Reise macht und dabei Z berührt, Vollmacht zum Abschluß des Kaufes. Nach der Abreise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/310>, abgerufen am 23.07.2024.