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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

des V reut aber A die Sache, und da er nicht weiß, wo B sich im Augen¬
blick aufhält, telegraphirt er an N, daß er die dem B erteilte Vollmacht zurück¬
nehme. Wie B mich Z kommt, verschweigt ihm aber N das Telegramm, und
B schließt nun in dem Glauben, bevollmächtigt zu sei", den HauSlnuf ab.
Ist nun für A dieser Abschluß bindend? Jeder mit natürlichem Rechtsgefühl
begabte wird sagen: ,,Gott bewahre! N wußte ja, daß B den Kauf nicht
abschließen sollte. Aus seinem bezüglichen Handeln kann doch N keine Rechte
ableiten." Der Entwurf aber findet, daß der Kauf für A gelten müsse.
Denn die Uugiltigerllärung würde ,,eine Durchbrechung der Annahme des Fort¬
bestandes der Vollmacht sein, für welche es an zureichenden Gründen gebricht."
So sagen die Motive I. S. 236.

Ein andrer Rechtsfall. A ist von B unvorsichtigerweise ans der Jagd
erschossen worden. A hat seinen Freund C zum Erben eingesetzt. Nach
zwanzig Jahren stirbt D, ein Oheim des A. Wäre A nicht erschossen worden,
so würde er nach seiner mutmaßlichen Lebensdauer bei dem Tode seines Oheims
noch gelebt und diesen beerbt haben. Daraus gestützt, klagt nun C gegen B
auf Ersatz dieser Erbschaft. Das Gesetzbuch (ZU 704 und 722) spricht ihm
diesen Ersatz zu. Dein? durch den Tod des A ist für diesen der Erlverb der
Erbschaft mutmaßlich gehindert worden. Folglich hat der Thäter den Erben
zu entschädigen. Das ist im Sinne des Entwurfes juristische Konsequenz.
Daß hundert Ereignisse hätten eintreten können, die, wenn A fortgelebt hätte,
doch dem C die Erbschaft des D nicht hätten zu teil werden lassen, kommt
für den Entwurf nicht in Betracht.

Solche Entscheidungen praktischer Fälle können nicht als bloß vereinzelte
Fehlgriffe betrachtet werden (es lassen sich noch eine Menge ähnlicher Fälle
ans dem Entwürfe Heranslesen), sie sind vielmehr bezeichnend für die ganze
Bedeutung des Werkes. Wer solche Entscheidungen fällen kann, der hat nicht
von Gottes Gnaden den Beruf, Deutschlands Recht für alle Zeit festzu¬
stellen.

Charakteristisch ist übrigens für den Entwurf, daß er sich so viel wie möglich
hütet, auf konkrete Entscheidungen einzugehen. Auch in den Motiven, wo
man doch zum Verständnis der oft so dunkeln Sätze des Entwurfes dringend
"ach erläuternden Beispielen sucht, finden sich solche nur selten. Die Motive
ergehen sich meistens in allgemeinen Reden, dnrch die man nicht klüger wird,
als aus dem Entwürfe selbst. Das Lebenselement praktischer Jurisprudenz,
konkrete Anschauung, scheint bei dem Entwürfe nnr eine geringe Rolle gespielt
zu haben.

Die Mängel des Entwurfes an juristischer Gestaltungskraft in gemein¬
verständlicher Weise darzulegen, ist so schwierig, daß es hier nicht versucht
werden soll. Aber eine einzelne Seite der Sache muß doch hier erwähnt
werden. Bekanntlich betrachtet es die ärztliche Wissenschaft heute als eine


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

des V reut aber A die Sache, und da er nicht weiß, wo B sich im Augen¬
blick aufhält, telegraphirt er an N, daß er die dem B erteilte Vollmacht zurück¬
nehme. Wie B mich Z kommt, verschweigt ihm aber N das Telegramm, und
B schließt nun in dem Glauben, bevollmächtigt zu sei», den HauSlnuf ab.
Ist nun für A dieser Abschluß bindend? Jeder mit natürlichem Rechtsgefühl
begabte wird sagen: ,,Gott bewahre! N wußte ja, daß B den Kauf nicht
abschließen sollte. Aus seinem bezüglichen Handeln kann doch N keine Rechte
ableiten." Der Entwurf aber findet, daß der Kauf für A gelten müsse.
Denn die Uugiltigerllärung würde ,,eine Durchbrechung der Annahme des Fort¬
bestandes der Vollmacht sein, für welche es an zureichenden Gründen gebricht."
So sagen die Motive I. S. 236.

Ein andrer Rechtsfall. A ist von B unvorsichtigerweise ans der Jagd
erschossen worden. A hat seinen Freund C zum Erben eingesetzt. Nach
zwanzig Jahren stirbt D, ein Oheim des A. Wäre A nicht erschossen worden,
so würde er nach seiner mutmaßlichen Lebensdauer bei dem Tode seines Oheims
noch gelebt und diesen beerbt haben. Daraus gestützt, klagt nun C gegen B
auf Ersatz dieser Erbschaft. Das Gesetzbuch (ZU 704 und 722) spricht ihm
diesen Ersatz zu. Dein? durch den Tod des A ist für diesen der Erlverb der
Erbschaft mutmaßlich gehindert worden. Folglich hat der Thäter den Erben
zu entschädigen. Das ist im Sinne des Entwurfes juristische Konsequenz.
Daß hundert Ereignisse hätten eintreten können, die, wenn A fortgelebt hätte,
doch dem C die Erbschaft des D nicht hätten zu teil werden lassen, kommt
für den Entwurf nicht in Betracht.

Solche Entscheidungen praktischer Fälle können nicht als bloß vereinzelte
Fehlgriffe betrachtet werden (es lassen sich noch eine Menge ähnlicher Fälle
ans dem Entwürfe Heranslesen), sie sind vielmehr bezeichnend für die ganze
Bedeutung des Werkes. Wer solche Entscheidungen fällen kann, der hat nicht
von Gottes Gnaden den Beruf, Deutschlands Recht für alle Zeit festzu¬
stellen.

Charakteristisch ist übrigens für den Entwurf, daß er sich so viel wie möglich
hütet, auf konkrete Entscheidungen einzugehen. Auch in den Motiven, wo
man doch zum Verständnis der oft so dunkeln Sätze des Entwurfes dringend
»ach erläuternden Beispielen sucht, finden sich solche nur selten. Die Motive
ergehen sich meistens in allgemeinen Reden, dnrch die man nicht klüger wird,
als aus dem Entwürfe selbst. Das Lebenselement praktischer Jurisprudenz,
konkrete Anschauung, scheint bei dem Entwürfe nnr eine geringe Rolle gespielt
zu haben.

Die Mängel des Entwurfes an juristischer Gestaltungskraft in gemein¬
verständlicher Weise darzulegen, ist so schwierig, daß es hier nicht versucht
werden soll. Aber eine einzelne Seite der Sache muß doch hier erwähnt
werden. Bekanntlich betrachtet es die ärztliche Wissenschaft heute als eine


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[0311] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches des V reut aber A die Sache, und da er nicht weiß, wo B sich im Augen¬ blick aufhält, telegraphirt er an N, daß er die dem B erteilte Vollmacht zurück¬ nehme. Wie B mich Z kommt, verschweigt ihm aber N das Telegramm, und B schließt nun in dem Glauben, bevollmächtigt zu sei», den HauSlnuf ab. Ist nun für A dieser Abschluß bindend? Jeder mit natürlichem Rechtsgefühl begabte wird sagen: ,,Gott bewahre! N wußte ja, daß B den Kauf nicht abschließen sollte. Aus seinem bezüglichen Handeln kann doch N keine Rechte ableiten." Der Entwurf aber findet, daß der Kauf für A gelten müsse. Denn die Uugiltigerllärung würde ,,eine Durchbrechung der Annahme des Fort¬ bestandes der Vollmacht sein, für welche es an zureichenden Gründen gebricht." So sagen die Motive I. S. 236. Ein andrer Rechtsfall. A ist von B unvorsichtigerweise ans der Jagd erschossen worden. A hat seinen Freund C zum Erben eingesetzt. Nach zwanzig Jahren stirbt D, ein Oheim des A. Wäre A nicht erschossen worden, so würde er nach seiner mutmaßlichen Lebensdauer bei dem Tode seines Oheims noch gelebt und diesen beerbt haben. Daraus gestützt, klagt nun C gegen B auf Ersatz dieser Erbschaft. Das Gesetzbuch (ZU 704 und 722) spricht ihm diesen Ersatz zu. Dein? durch den Tod des A ist für diesen der Erlverb der Erbschaft mutmaßlich gehindert worden. Folglich hat der Thäter den Erben zu entschädigen. Das ist im Sinne des Entwurfes juristische Konsequenz. Daß hundert Ereignisse hätten eintreten können, die, wenn A fortgelebt hätte, doch dem C die Erbschaft des D nicht hätten zu teil werden lassen, kommt für den Entwurf nicht in Betracht. Solche Entscheidungen praktischer Fälle können nicht als bloß vereinzelte Fehlgriffe betrachtet werden (es lassen sich noch eine Menge ähnlicher Fälle ans dem Entwürfe Heranslesen), sie sind vielmehr bezeichnend für die ganze Bedeutung des Werkes. Wer solche Entscheidungen fällen kann, der hat nicht von Gottes Gnaden den Beruf, Deutschlands Recht für alle Zeit festzu¬ stellen. Charakteristisch ist übrigens für den Entwurf, daß er sich so viel wie möglich hütet, auf konkrete Entscheidungen einzugehen. Auch in den Motiven, wo man doch zum Verständnis der oft so dunkeln Sätze des Entwurfes dringend »ach erläuternden Beispielen sucht, finden sich solche nur selten. Die Motive ergehen sich meistens in allgemeinen Reden, dnrch die man nicht klüger wird, als aus dem Entwürfe selbst. Das Lebenselement praktischer Jurisprudenz, konkrete Anschauung, scheint bei dem Entwürfe nnr eine geringe Rolle gespielt zu haben. Die Mängel des Entwurfes an juristischer Gestaltungskraft in gemein¬ verständlicher Weise darzulegen, ist so schwierig, daß es hier nicht versucht werden soll. Aber eine einzelne Seite der Sache muß doch hier erwähnt werden. Bekanntlich betrachtet es die ärztliche Wissenschaft heute als eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/311>, abgerufen am 23.07.2024.