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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Notwendigkeit einer Erbschaftsantretung festhält. Stellt man dagegen den Satz
auf: "Der Tote erbt den Lebendigen," so bekommen in dem obigen Falle die
Verwandten des N die Erbschaft, gänzlich dem natürlichen Rechtsgefühl zu¬
wider. Durch dieses wird also der gedachte Satz verworfen. Man sieht
aber hieraus, welcher Umwege es bedarf, um das natürliche Rechtsgefühl des
Laien spielen zu lassen. Soll es bei der Gesetzgebung verwertet werden, so
müßten dem Laien stets erst die Folgen der Rechtssätze völlig klar gemacht
werden, was nur Vonseiten der Juristen geschehen konnte. Diese werden aber
öfters keine Neigung dazu haben, zum Teil aus dem sehr triftigen Grunde,
weil sie sich selbst über die Folgen der Rechtssätze, die sie im Munde führen,
nicht immer klar sind. Es bedarf ausführlichen Studiums oder Nachdenkens,
um diese Klarheit zu gewinnen. Der Laie wird also in solchen Fragen blind¬
lings seine Stimme abgeben, so, wie er sich ungefähr die Sache denkt. Oder
er wird sich in das Schlepptau irgend eines Juristen begeben, der sich ihm
als Autorität aufzuspielen versteht. Demagogie wird nicht allein in Volks¬
versammlungen, sondern mitunter auch in den Parlamenten und Kommissionen
betrieben. Jedenfalls wird durch die Mitwirkung von Laien in einer Kom¬
mission für ein Werk nach Art des bürgerlichen Gesetzbuches die ganze Sache
noch mehr als sonst dem Zufall preisgegeben.

Das soeben von mir etwas ausführlicher behandelte Beispiel giebt zugleich
den nichtjuristischeu Lesern dieser Zeitschrift ein Bild davon ab, was für Fragen
bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuches vorkommen. Solcher Fragen giebt
es tausende.

Ans dein Dargestellten ziehe ich folgendes Ergebnis. Es war ein Fehler,
daß man im Jahre 1874 zu der Schaffung einer bürgerliche!, Gesetzgebung
eine Kommission von elf Mitgliedern und zahlreichen Hilfsarbeitern berief,
wenn nicht etwa nnter den Mitgliedern dieser Kommission ein Mann war, der
als Schöpfer des Ganzen die Sache in die Hand nehmen konnte. Ein solcher
Mann scheint in der .Kommission nicht vorhanden gewesen zu fein, oder wenn
er vorhanden war, so ist er jedenfalls nicht der richtige Mann für die Sache
gewesen. Die nächste Folge dieser Sachbehandlung war die, daß die Kom¬
mission dreizehn Jahre und vier Monate laug zusammensaß, ohne ein Lebens¬
zeichen von sich zu geben. Als dann endlich nach strengster Geheimhaltung
aller Arbeiten der Entwurf des Gesetzbuches zu Tage trat, war er ^ ein mi߬
lungenes Werk. Daß der Entwurf nicht gelungen ist, darüber siud so gut wie
alle einig. Meinungsverschiedenheit besteht nur über das Maß des Miß-
lingens.

Wir wollen nun sehen, in welchem Maße sich die verschiednen Grund¬
lagen, die wir oben sür ein Werk der fraglichen Art als notwendig bezeichneten,
bei Schaffung des Entwurfes als vorhanden bewährt haben. Es kommt dabei
noch in Betracht, daß der Entwurf nicht für sich allein steht, daß er vielmehr


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Notwendigkeit einer Erbschaftsantretung festhält. Stellt man dagegen den Satz
auf: „Der Tote erbt den Lebendigen," so bekommen in dem obigen Falle die
Verwandten des N die Erbschaft, gänzlich dem natürlichen Rechtsgefühl zu¬
wider. Durch dieses wird also der gedachte Satz verworfen. Man sieht
aber hieraus, welcher Umwege es bedarf, um das natürliche Rechtsgefühl des
Laien spielen zu lassen. Soll es bei der Gesetzgebung verwertet werden, so
müßten dem Laien stets erst die Folgen der Rechtssätze völlig klar gemacht
werden, was nur Vonseiten der Juristen geschehen konnte. Diese werden aber
öfters keine Neigung dazu haben, zum Teil aus dem sehr triftigen Grunde,
weil sie sich selbst über die Folgen der Rechtssätze, die sie im Munde führen,
nicht immer klar sind. Es bedarf ausführlichen Studiums oder Nachdenkens,
um diese Klarheit zu gewinnen. Der Laie wird also in solchen Fragen blind¬
lings seine Stimme abgeben, so, wie er sich ungefähr die Sache denkt. Oder
er wird sich in das Schlepptau irgend eines Juristen begeben, der sich ihm
als Autorität aufzuspielen versteht. Demagogie wird nicht allein in Volks¬
versammlungen, sondern mitunter auch in den Parlamenten und Kommissionen
betrieben. Jedenfalls wird durch die Mitwirkung von Laien in einer Kom¬
mission für ein Werk nach Art des bürgerlichen Gesetzbuches die ganze Sache
noch mehr als sonst dem Zufall preisgegeben.

Das soeben von mir etwas ausführlicher behandelte Beispiel giebt zugleich
den nichtjuristischeu Lesern dieser Zeitschrift ein Bild davon ab, was für Fragen
bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuches vorkommen. Solcher Fragen giebt
es tausende.

Ans dein Dargestellten ziehe ich folgendes Ergebnis. Es war ein Fehler,
daß man im Jahre 1874 zu der Schaffung einer bürgerliche!, Gesetzgebung
eine Kommission von elf Mitgliedern und zahlreichen Hilfsarbeitern berief,
wenn nicht etwa nnter den Mitgliedern dieser Kommission ein Mann war, der
als Schöpfer des Ganzen die Sache in die Hand nehmen konnte. Ein solcher
Mann scheint in der .Kommission nicht vorhanden gewesen zu fein, oder wenn
er vorhanden war, so ist er jedenfalls nicht der richtige Mann für die Sache
gewesen. Die nächste Folge dieser Sachbehandlung war die, daß die Kom¬
mission dreizehn Jahre und vier Monate laug zusammensaß, ohne ein Lebens¬
zeichen von sich zu geben. Als dann endlich nach strengster Geheimhaltung
aller Arbeiten der Entwurf des Gesetzbuches zu Tage trat, war er ^ ein mi߬
lungenes Werk. Daß der Entwurf nicht gelungen ist, darüber siud so gut wie
alle einig. Meinungsverschiedenheit besteht nur über das Maß des Miß-
lingens.

Wir wollen nun sehen, in welchem Maße sich die verschiednen Grund¬
lagen, die wir oben sür ein Werk der fraglichen Art als notwendig bezeichneten,
bei Schaffung des Entwurfes als vorhanden bewährt haben. Es kommt dabei
noch in Betracht, daß der Entwurf nicht für sich allein steht, daß er vielmehr


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[0308] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches Notwendigkeit einer Erbschaftsantretung festhält. Stellt man dagegen den Satz auf: „Der Tote erbt den Lebendigen," so bekommen in dem obigen Falle die Verwandten des N die Erbschaft, gänzlich dem natürlichen Rechtsgefühl zu¬ wider. Durch dieses wird also der gedachte Satz verworfen. Man sieht aber hieraus, welcher Umwege es bedarf, um das natürliche Rechtsgefühl des Laien spielen zu lassen. Soll es bei der Gesetzgebung verwertet werden, so müßten dem Laien stets erst die Folgen der Rechtssätze völlig klar gemacht werden, was nur Vonseiten der Juristen geschehen konnte. Diese werden aber öfters keine Neigung dazu haben, zum Teil aus dem sehr triftigen Grunde, weil sie sich selbst über die Folgen der Rechtssätze, die sie im Munde führen, nicht immer klar sind. Es bedarf ausführlichen Studiums oder Nachdenkens, um diese Klarheit zu gewinnen. Der Laie wird also in solchen Fragen blind¬ lings seine Stimme abgeben, so, wie er sich ungefähr die Sache denkt. Oder er wird sich in das Schlepptau irgend eines Juristen begeben, der sich ihm als Autorität aufzuspielen versteht. Demagogie wird nicht allein in Volks¬ versammlungen, sondern mitunter auch in den Parlamenten und Kommissionen betrieben. Jedenfalls wird durch die Mitwirkung von Laien in einer Kom¬ mission für ein Werk nach Art des bürgerlichen Gesetzbuches die ganze Sache noch mehr als sonst dem Zufall preisgegeben. Das soeben von mir etwas ausführlicher behandelte Beispiel giebt zugleich den nichtjuristischeu Lesern dieser Zeitschrift ein Bild davon ab, was für Fragen bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuches vorkommen. Solcher Fragen giebt es tausende. Ans dein Dargestellten ziehe ich folgendes Ergebnis. Es war ein Fehler, daß man im Jahre 1874 zu der Schaffung einer bürgerliche!, Gesetzgebung eine Kommission von elf Mitgliedern und zahlreichen Hilfsarbeitern berief, wenn nicht etwa nnter den Mitgliedern dieser Kommission ein Mann war, der als Schöpfer des Ganzen die Sache in die Hand nehmen konnte. Ein solcher Mann scheint in der .Kommission nicht vorhanden gewesen zu fein, oder wenn er vorhanden war, so ist er jedenfalls nicht der richtige Mann für die Sache gewesen. Die nächste Folge dieser Sachbehandlung war die, daß die Kom¬ mission dreizehn Jahre und vier Monate laug zusammensaß, ohne ein Lebens¬ zeichen von sich zu geben. Als dann endlich nach strengster Geheimhaltung aller Arbeiten der Entwurf des Gesetzbuches zu Tage trat, war er ^ ein mi߬ lungenes Werk. Daß der Entwurf nicht gelungen ist, darüber siud so gut wie alle einig. Meinungsverschiedenheit besteht nur über das Maß des Miß- lingens. Wir wollen nun sehen, in welchem Maße sich die verschiednen Grund¬ lagen, die wir oben sür ein Werk der fraglichen Art als notwendig bezeichneten, bei Schaffung des Entwurfes als vorhanden bewährt haben. Es kommt dabei noch in Betracht, daß der Entwurf nicht für sich allein steht, daß er vielmehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/308>, abgerufen am 23.07.2024.