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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

danken treffen im höchsten Maße zu bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetz¬
buches. Eine große Menge von Fragen, die dabei vorkommen, liegen so tief
und sind so überaus schwierig, daß nnr ein gründliches Studium zu einem
klaren Einblick führen kann. Vielfach stehen auch die Fragen in einem weiten,
schwer zu überblickenden Zusammenhange. Hier paßt so recht der Vergleich
mit einem Webermcisterstück:


Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.

Nicht leicht werden nun in einer zahlreich besetzten Kommission alle Mitglieder
solchen Fragen gewachsen sein. Sie werden also abstimmen, wie ihnen im
Augenblicke die Sache scheint, und so entsteht dann das Gesetzbuch -- ein Spiel
des Zufalls.

Es möge hier gleich ein Wort einfließen über den Wert einer Mitwirkung
von Laien bei einer solchen Beratung. Daß bei Laien mitunter ein sehr ge¬
sundes Rechtsgefühl zu finden ist, habe ich bereits oben bemerkt, und soweit
dieses in Betracht kommt, könnten Laien bei einem Gesetzbuch sehr nützlich mit¬
wirken. Dagegen fehlen ihnen alle andern Fähigkeiten, die zur Schaffung eines
bürgerlichen Gesetzbuches erforderlich sind, und schon dadurch wird der Wert
ihrer Mitwirkung wesentlich abgeschwächt werden. Es kommt aber noch hinzu,
daß auch das natürliche Rechtsgefühl der Laien sich immer nur dann mit
Sicherheit wird äußern können, wenn ihnen die Rechtsfragen in völlig kon¬
kreter Erscheinung vorgelegt werden. Ans abstrakte Sätze reagirt das Rechts¬
gefühl nicht. Ein Beispiel wird die Sache klar machen. Was würde wohl
ein Laie sagen, wenn man ihm die Frage vorlegt: Soll der Satz "Der Tote
erbt den Lebendigen" in dem Gesetzbuch eingeführt werden? Er würde gar
nicht wissen, was das bedeutet. Aber auch wenn man ihm den Satz dahin
erlnnterte: Soll der Erbe zum Erwerb der Erbschaft einer Erbschaftsantretuug
bedürfen oder nicht? so würde er noch immer ratlos dastehen. Denn die
Folgen dieser Doppelfrage würde er sich ganz und gar nicht klar zu macheu
vermöge". Gesetzt nun aber, es legte ihm jemand folgenden Rechtsfall vor:
A hat in seinem Testamente zunächst seinen Freund M, wenn aber dieser nicht
Erbe würde, seinen Freund N zum Erben eingesetzt. A ist gestorben. Kurz
vorher ist M verschwunden. Es ist wahrscheinlich, daß er tot ist; aber man
hat seine Leiche nicht gefunden. Nach Ablauf einiger Zeit kann er für tot
erklärt werden. Als Erben hinterläßt er fernstehende Verwandte. Wer be¬
kommt nun die Erbschaft des A, der Freund N oder die Verwandten des M
als dessen Erben? Ein mit gesundem Rechtsgefühl begabter Laie wird ohne
Zweifel sagen: Natürlich der Freund N! Denn den Verwandten des M hat
ja der Erblasser nichts zuwende" wollen, und der M selbst hat ja die Erbschaft
"och gar nicht bekommen. Dieses Ergebnis wird erreicht, wenn man an der


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

danken treffen im höchsten Maße zu bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetz¬
buches. Eine große Menge von Fragen, die dabei vorkommen, liegen so tief
und sind so überaus schwierig, daß nnr ein gründliches Studium zu einem
klaren Einblick führen kann. Vielfach stehen auch die Fragen in einem weiten,
schwer zu überblickenden Zusammenhange. Hier paßt so recht der Vergleich
mit einem Webermcisterstück:


Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.

Nicht leicht werden nun in einer zahlreich besetzten Kommission alle Mitglieder
solchen Fragen gewachsen sein. Sie werden also abstimmen, wie ihnen im
Augenblicke die Sache scheint, und so entsteht dann das Gesetzbuch — ein Spiel
des Zufalls.

Es möge hier gleich ein Wort einfließen über den Wert einer Mitwirkung
von Laien bei einer solchen Beratung. Daß bei Laien mitunter ein sehr ge¬
sundes Rechtsgefühl zu finden ist, habe ich bereits oben bemerkt, und soweit
dieses in Betracht kommt, könnten Laien bei einem Gesetzbuch sehr nützlich mit¬
wirken. Dagegen fehlen ihnen alle andern Fähigkeiten, die zur Schaffung eines
bürgerlichen Gesetzbuches erforderlich sind, und schon dadurch wird der Wert
ihrer Mitwirkung wesentlich abgeschwächt werden. Es kommt aber noch hinzu,
daß auch das natürliche Rechtsgefühl der Laien sich immer nur dann mit
Sicherheit wird äußern können, wenn ihnen die Rechtsfragen in völlig kon¬
kreter Erscheinung vorgelegt werden. Ans abstrakte Sätze reagirt das Rechts¬
gefühl nicht. Ein Beispiel wird die Sache klar machen. Was würde wohl
ein Laie sagen, wenn man ihm die Frage vorlegt: Soll der Satz „Der Tote
erbt den Lebendigen" in dem Gesetzbuch eingeführt werden? Er würde gar
nicht wissen, was das bedeutet. Aber auch wenn man ihm den Satz dahin
erlnnterte: Soll der Erbe zum Erwerb der Erbschaft einer Erbschaftsantretuug
bedürfen oder nicht? so würde er noch immer ratlos dastehen. Denn die
Folgen dieser Doppelfrage würde er sich ganz und gar nicht klar zu macheu
vermöge». Gesetzt nun aber, es legte ihm jemand folgenden Rechtsfall vor:
A hat in seinem Testamente zunächst seinen Freund M, wenn aber dieser nicht
Erbe würde, seinen Freund N zum Erben eingesetzt. A ist gestorben. Kurz
vorher ist M verschwunden. Es ist wahrscheinlich, daß er tot ist; aber man
hat seine Leiche nicht gefunden. Nach Ablauf einiger Zeit kann er für tot
erklärt werden. Als Erben hinterläßt er fernstehende Verwandte. Wer be¬
kommt nun die Erbschaft des A, der Freund N oder die Verwandten des M
als dessen Erben? Ein mit gesundem Rechtsgefühl begabter Laie wird ohne
Zweifel sagen: Natürlich der Freund N! Denn den Verwandten des M hat
ja der Erblasser nichts zuwende« wollen, und der M selbst hat ja die Erbschaft
»och gar nicht bekommen. Dieses Ergebnis wird erreicht, wenn man an der


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[0307] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches danken treffen im höchsten Maße zu bei Schaffung eines bürgerlichen Gesetz¬ buches. Eine große Menge von Fragen, die dabei vorkommen, liegen so tief und sind so überaus schwierig, daß nnr ein gründliches Studium zu einem klaren Einblick führen kann. Vielfach stehen auch die Fragen in einem weiten, schwer zu überblickenden Zusammenhange. Hier paßt so recht der Vergleich mit einem Webermcisterstück: Wo ein Tritt tausend Fäden regt, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. Nicht leicht werden nun in einer zahlreich besetzten Kommission alle Mitglieder solchen Fragen gewachsen sein. Sie werden also abstimmen, wie ihnen im Augenblicke die Sache scheint, und so entsteht dann das Gesetzbuch — ein Spiel des Zufalls. Es möge hier gleich ein Wort einfließen über den Wert einer Mitwirkung von Laien bei einer solchen Beratung. Daß bei Laien mitunter ein sehr ge¬ sundes Rechtsgefühl zu finden ist, habe ich bereits oben bemerkt, und soweit dieses in Betracht kommt, könnten Laien bei einem Gesetzbuch sehr nützlich mit¬ wirken. Dagegen fehlen ihnen alle andern Fähigkeiten, die zur Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuches erforderlich sind, und schon dadurch wird der Wert ihrer Mitwirkung wesentlich abgeschwächt werden. Es kommt aber noch hinzu, daß auch das natürliche Rechtsgefühl der Laien sich immer nur dann mit Sicherheit wird äußern können, wenn ihnen die Rechtsfragen in völlig kon¬ kreter Erscheinung vorgelegt werden. Ans abstrakte Sätze reagirt das Rechts¬ gefühl nicht. Ein Beispiel wird die Sache klar machen. Was würde wohl ein Laie sagen, wenn man ihm die Frage vorlegt: Soll der Satz „Der Tote erbt den Lebendigen" in dem Gesetzbuch eingeführt werden? Er würde gar nicht wissen, was das bedeutet. Aber auch wenn man ihm den Satz dahin erlnnterte: Soll der Erbe zum Erwerb der Erbschaft einer Erbschaftsantretuug bedürfen oder nicht? so würde er noch immer ratlos dastehen. Denn die Folgen dieser Doppelfrage würde er sich ganz und gar nicht klar zu macheu vermöge». Gesetzt nun aber, es legte ihm jemand folgenden Rechtsfall vor: A hat in seinem Testamente zunächst seinen Freund M, wenn aber dieser nicht Erbe würde, seinen Freund N zum Erben eingesetzt. A ist gestorben. Kurz vorher ist M verschwunden. Es ist wahrscheinlich, daß er tot ist; aber man hat seine Leiche nicht gefunden. Nach Ablauf einiger Zeit kann er für tot erklärt werden. Als Erben hinterläßt er fernstehende Verwandte. Wer be¬ kommt nun die Erbschaft des A, der Freund N oder die Verwandten des M als dessen Erben? Ein mit gesundem Rechtsgefühl begabter Laie wird ohne Zweifel sagen: Natürlich der Freund N! Denn den Verwandten des M hat ja der Erblasser nichts zuwende« wollen, und der M selbst hat ja die Erbschaft »och gar nicht bekommen. Dieses Ergebnis wird erreicht, wenn man an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/307>, abgerufen am 23.07.2024.