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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanische Philosophie

Monaden mis Atome nennt, für belebt hält. Aber einerseits ist sein Geist zu
grob, um den Unterschied und die Nnvergleichbarkeit jener zwei Daseinsformen
des Seienden mit Lvtzischer Schürfe und Feinheit richtig zu erfassen und dar¬
zustellen. Anderseits schreitet er mit seinem großen amerikanischen Plattfuß
gelassen und ahnungslos über dus Mysterium des Atombegriffes hinweg, das
für ihn sowenig vorhanden ist, wie der Bacillus für den der Mikroskopie
unkundigen Wilden. Während nämlich die atomistische Hypothese zwar in der
Physik gar nicht entbehrt werden kann, bleibt ihr Grundbestandteil, der Atvm-
begriff , das heißt der Begriff unkörperlicher punktueller Wesen, deren Zu¬
sammenwirken den Eindruck der Körperlichkeit hervorbringen soll, ein wider¬
spruchsvoller Gedanke. Für Carus, der keine Geheimnisse kennt, ist es nun
freilich eine Kleinigkeit, nicht allein wirklich bestehende Atome anzunehmen,
sondern auch aus ihnen die ganze Welt aufzubauen. Oivou (;tbvr-VÄVö8 ot
lig'lit, Ma "vnsMvri, g,na ur lenz laug- proc,v88 ol' evolutiou an 6^6 will k>6
toruwä. Sind nur erst einmal die Ätherwellen und die Empfindung da, so
muß sich im Laufe des Entwicklungsprozesses mit der Zeit notwendigerweise
ein Auge bilden. Natürlich! Es gehören ja bloß drei oder vier Kleinig¬
keiten dazu, deren keines auch nur das mindeste Geheimnis enthält: Äther¬
wellen, ein empfindendes Wesen, ein Entwicklungsprozeß, und daß die drei
rcchtig in einander greifen. Gebt diese vier Dinge einem kleinen Knaben
in die Hand, und er brant euch sehende Augen zusammen, daß es eine
Lust ist!

Die Herren vergessen immer, daß es einen ganz unfehlbaren Prüfstein
für das Verstehen und Begreifen giebt. Was wir verstanden und begriffen
haben, das können wir auch machen. Es fehlt uns vielleicht die Kraft oder
Geschicklichkeit zur Ausführung, aber wir können doch sagen: Nun weiß ich,
wies gemacht wird, und wäre ich nur ein andrer Kerl, als ich bin, so könnte
ichs auch machen! Haben wir das Wesen des Distichons begriffen, so können
wir selbst Distichen machen. Haben wir den Mechanismus einer Wanduhr be¬
griffen, so können wir selbst eine bauen, vorausgesetzt, daß uns die Schwer¬
kraft, die Bewegerin der ziehenden Gewichte, zur Verfügung steht. Die Schwer¬
kraft begreifen wir nicht, könnten sie auch uicht beschaffen, wenn sie nicht vor¬
handen wäre. Aber ist sie vorhanden, auch in dem weitern Wegrisse der Gra¬
vitation, so brauchen wir uur so groß zu sein, wie der Orion am Himmel,
und entsprechend stark, und brauchen nur den archimedischen Standpunkt zu
haben, dann bauen wir uns auch eine Weltuhr, ein Sonnensystem. Wenn
uns die Naturphilosophen ein selbstfabrizirtes keimfähiges Samenkorn und ein
selbstfabrizirtes lebendiges.Hühnchen vorlegen werden, dann werden wir ihnen
glauben, daß sie den chemischen, den organischen und den Bewnßtseinsprozeß be¬
griffen haben, und dann werden wir den Begriff des Geheimnisses verab¬
schieden.


Amerikanische Philosophie

Monaden mis Atome nennt, für belebt hält. Aber einerseits ist sein Geist zu
grob, um den Unterschied und die Nnvergleichbarkeit jener zwei Daseinsformen
des Seienden mit Lvtzischer Schürfe und Feinheit richtig zu erfassen und dar¬
zustellen. Anderseits schreitet er mit seinem großen amerikanischen Plattfuß
gelassen und ahnungslos über dus Mysterium des Atombegriffes hinweg, das
für ihn sowenig vorhanden ist, wie der Bacillus für den der Mikroskopie
unkundigen Wilden. Während nämlich die atomistische Hypothese zwar in der
Physik gar nicht entbehrt werden kann, bleibt ihr Grundbestandteil, der Atvm-
begriff , das heißt der Begriff unkörperlicher punktueller Wesen, deren Zu¬
sammenwirken den Eindruck der Körperlichkeit hervorbringen soll, ein wider¬
spruchsvoller Gedanke. Für Carus, der keine Geheimnisse kennt, ist es nun
freilich eine Kleinigkeit, nicht allein wirklich bestehende Atome anzunehmen,
sondern auch aus ihnen die ganze Welt aufzubauen. Oivou (;tbvr-VÄVö8 ot
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toruwä. Sind nur erst einmal die Ätherwellen und die Empfindung da, so
muß sich im Laufe des Entwicklungsprozesses mit der Zeit notwendigerweise
ein Auge bilden. Natürlich! Es gehören ja bloß drei oder vier Kleinig¬
keiten dazu, deren keines auch nur das mindeste Geheimnis enthält: Äther¬
wellen, ein empfindendes Wesen, ein Entwicklungsprozeß, und daß die drei
rcchtig in einander greifen. Gebt diese vier Dinge einem kleinen Knaben
in die Hand, und er brant euch sehende Augen zusammen, daß es eine
Lust ist!

Die Herren vergessen immer, daß es einen ganz unfehlbaren Prüfstein
für das Verstehen und Begreifen giebt. Was wir verstanden und begriffen
haben, das können wir auch machen. Es fehlt uns vielleicht die Kraft oder
Geschicklichkeit zur Ausführung, aber wir können doch sagen: Nun weiß ich,
wies gemacht wird, und wäre ich nur ein andrer Kerl, als ich bin, so könnte
ichs auch machen! Haben wir das Wesen des Distichons begriffen, so können
wir selbst Distichen machen. Haben wir den Mechanismus einer Wanduhr be¬
griffen, so können wir selbst eine bauen, vorausgesetzt, daß uns die Schwer¬
kraft, die Bewegerin der ziehenden Gewichte, zur Verfügung steht. Die Schwer¬
kraft begreifen wir nicht, könnten sie auch uicht beschaffen, wenn sie nicht vor¬
handen wäre. Aber ist sie vorhanden, auch in dem weitern Wegrisse der Gra¬
vitation, so brauchen wir uur so groß zu sein, wie der Orion am Himmel,
und entsprechend stark, und brauchen nur den archimedischen Standpunkt zu
haben, dann bauen wir uns auch eine Weltuhr, ein Sonnensystem. Wenn
uns die Naturphilosophen ein selbstfabrizirtes keimfähiges Samenkorn und ein
selbstfabrizirtes lebendiges.Hühnchen vorlegen werden, dann werden wir ihnen
glauben, daß sie den chemischen, den organischen und den Bewnßtseinsprozeß be¬
griffen haben, und dann werden wir den Begriff des Geheimnisses verab¬
schieden.


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[0023] Amerikanische Philosophie Monaden mis Atome nennt, für belebt hält. Aber einerseits ist sein Geist zu grob, um den Unterschied und die Nnvergleichbarkeit jener zwei Daseinsformen des Seienden mit Lvtzischer Schürfe und Feinheit richtig zu erfassen und dar¬ zustellen. Anderseits schreitet er mit seinem großen amerikanischen Plattfuß gelassen und ahnungslos über dus Mysterium des Atombegriffes hinweg, das für ihn sowenig vorhanden ist, wie der Bacillus für den der Mikroskopie unkundigen Wilden. Während nämlich die atomistische Hypothese zwar in der Physik gar nicht entbehrt werden kann, bleibt ihr Grundbestandteil, der Atvm- begriff , das heißt der Begriff unkörperlicher punktueller Wesen, deren Zu¬ sammenwirken den Eindruck der Körperlichkeit hervorbringen soll, ein wider¬ spruchsvoller Gedanke. Für Carus, der keine Geheimnisse kennt, ist es nun freilich eine Kleinigkeit, nicht allein wirklich bestehende Atome anzunehmen, sondern auch aus ihnen die ganze Welt aufzubauen. Oivou (;tbvr-VÄVö8 ot lig'lit, Ma »vnsMvri, g,na ur lenz laug- proc,v88 ol' evolutiou an 6^6 will k>6 toruwä. Sind nur erst einmal die Ätherwellen und die Empfindung da, so muß sich im Laufe des Entwicklungsprozesses mit der Zeit notwendigerweise ein Auge bilden. Natürlich! Es gehören ja bloß drei oder vier Kleinig¬ keiten dazu, deren keines auch nur das mindeste Geheimnis enthält: Äther¬ wellen, ein empfindendes Wesen, ein Entwicklungsprozeß, und daß die drei rcchtig in einander greifen. Gebt diese vier Dinge einem kleinen Knaben in die Hand, und er brant euch sehende Augen zusammen, daß es eine Lust ist! Die Herren vergessen immer, daß es einen ganz unfehlbaren Prüfstein für das Verstehen und Begreifen giebt. Was wir verstanden und begriffen haben, das können wir auch machen. Es fehlt uns vielleicht die Kraft oder Geschicklichkeit zur Ausführung, aber wir können doch sagen: Nun weiß ich, wies gemacht wird, und wäre ich nur ein andrer Kerl, als ich bin, so könnte ichs auch machen! Haben wir das Wesen des Distichons begriffen, so können wir selbst Distichen machen. Haben wir den Mechanismus einer Wanduhr be¬ griffen, so können wir selbst eine bauen, vorausgesetzt, daß uns die Schwer¬ kraft, die Bewegerin der ziehenden Gewichte, zur Verfügung steht. Die Schwer¬ kraft begreifen wir nicht, könnten sie auch uicht beschaffen, wenn sie nicht vor¬ handen wäre. Aber ist sie vorhanden, auch in dem weitern Wegrisse der Gra¬ vitation, so brauchen wir uur so groß zu sein, wie der Orion am Himmel, und entsprechend stark, und brauchen nur den archimedischen Standpunkt zu haben, dann bauen wir uns auch eine Weltuhr, ein Sonnensystem. Wenn uns die Naturphilosophen ein selbstfabrizirtes keimfähiges Samenkorn und ein selbstfabrizirtes lebendiges.Hühnchen vorlegen werden, dann werden wir ihnen glauben, daß sie den chemischen, den organischen und den Bewnßtseinsprozeß be¬ griffen haben, und dann werden wir den Begriff des Geheimnisses verab¬ schieden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/23>, abgerufen am 23.07.2024.