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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die rote Fcchne

was allerdings sehr seltsam ausgesehen haben soll. Andererseits wurde Charlotte
Corday, die Mörderin Marats, mit einem roten Hemde angethan auf das
Schafott geschickt, wodurch, einer bestehenden Sitte gemäß, angedeutet werden
sollte, daß sie eines gemeinen Verbrechens wegen die Todesstrafe erlitt.

In der That, es wäre wunderbar, wenn sich die rote Fahne der Liebe
der französischen Republikaner schon in ihrer ersten Auflage erfreut hätte.
Allein schon der Anblick Lafayettes und Baillys Hütte genügt, um den Versuch
der Umkehrung des blutbefleckten Sinnbildes der "Tyrannei" im Keime zu er¬
sticken. Für den nun tief eingewurzelten Haß gegen die rote Fahne fehlt es
zudem nicht an unmittelbaren und schlagenden Beweisen.

Zunächst muß freilich eingeschaltet werden, daß ein Versuch dieser Art von
einem der revolutionären Führer doch nicht für aussichtslos gehalten wurde.
Der Girondist Carra erzählt nämlich, daß er zur Zeit der Vorbereitungen des An¬
griffs auf die Tmlerieu in eine der vertraulichen Veratuugen (26. Juli 1792)
eine rote Fahne mitgebracht habe, die mit der Aufschrift L.LLi8wu<zö "l'ozMöWiau,
loi niMliiüö ein xsuxlo souverän, voulro in. rovölliou ein xvuvoir "zxuerckil
versehen, dem Pöbel zur Führung dienen sollte. Der Anschlag vom 26. Juli
kam aber nicht zur Ausführung, und von der roten Fahne war nicht weiter
die Rede. Dagegen steht fest, daß, als es wirklich am 10. August zum An¬
griff auf die Tuilerien kam, die Föderirten sich uuter der Fahne des Faubvurgs
Se. Antoine sammelten. Diese Fahne aber zeigte ohne weitere Aufschrift oder
Zeichnung die Nationalfarben, an je zwei gegenüberliegenden Ecken Not und
Blau, in der Mitte Weiß. Einer der zuverlässigsten und angesehensten fran¬
zösischen Forscher, Mortimer-Ternaux, der Geschichtschreiber der Schreckens¬
herrschaft, hat zwar Kenntnis von dem Plane Carras und seiner Fahne, er¬
wähnt sie aber, im Sinne unsrer Ansicht beachtenswert genug, bei seiner sehr
eingehenden Darstellung der Ereignisse vom 10. August mit keiner Silbe.
Dasselbe gilt von Louis Blane.

Carras Plan, die rote Fahne in ihrer sinnbildlichen Bedeutung umzu¬
kehren, war allem Anschein nach gescheitert. Bald darauf sollte sie ihres
eigentümlichen Ansehens überhaupt entkleidet werde". Bereits am 21. Ok¬
tober 1792 verlangte ein Hause Pikenmänner vom Konvent die Abschaffung
der verhaßten Im iNcU't,i!et<z von 1789, wobei der Sprecher Gonchon eigens
und nachdrücklich den Antrag stellte, daß alle roten Fahnen in Frankreich
möglichst bald auf dem Altare des Vaterlandes verbrennt würden. Wenige
Monate später, am 23. Juni 1793, wurde die loi rrmriialo und damit auch
das gesetzlich giltige Ansehen der roten Fahne auf deu Vorschlag von Billaud-
Vareunes in der That aufgehoben.

Nicht minder lebhaft trat der Haß gegen das rote Sinnbild der Ordnung
hervor, als unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses endlich der Augen¬
blick gekommen war, wo man mit Bailly wegen des 17. Juli 1791 Abrechnung


Die rote Fcchne

was allerdings sehr seltsam ausgesehen haben soll. Andererseits wurde Charlotte
Corday, die Mörderin Marats, mit einem roten Hemde angethan auf das
Schafott geschickt, wodurch, einer bestehenden Sitte gemäß, angedeutet werden
sollte, daß sie eines gemeinen Verbrechens wegen die Todesstrafe erlitt.

In der That, es wäre wunderbar, wenn sich die rote Fahne der Liebe
der französischen Republikaner schon in ihrer ersten Auflage erfreut hätte.
Allein schon der Anblick Lafayettes und Baillys Hütte genügt, um den Versuch
der Umkehrung des blutbefleckten Sinnbildes der „Tyrannei" im Keime zu er¬
sticken. Für den nun tief eingewurzelten Haß gegen die rote Fahne fehlt es
zudem nicht an unmittelbaren und schlagenden Beweisen.

Zunächst muß freilich eingeschaltet werden, daß ein Versuch dieser Art von
einem der revolutionären Führer doch nicht für aussichtslos gehalten wurde.
Der Girondist Carra erzählt nämlich, daß er zur Zeit der Vorbereitungen des An¬
griffs auf die Tmlerieu in eine der vertraulichen Veratuugen (26. Juli 1792)
eine rote Fahne mitgebracht habe, die mit der Aufschrift L.LLi8wu<zö »l'ozMöWiau,
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versehen, dem Pöbel zur Führung dienen sollte. Der Anschlag vom 26. Juli
kam aber nicht zur Ausführung, und von der roten Fahne war nicht weiter
die Rede. Dagegen steht fest, daß, als es wirklich am 10. August zum An¬
griff auf die Tuilerien kam, die Föderirten sich uuter der Fahne des Faubvurgs
Se. Antoine sammelten. Diese Fahne aber zeigte ohne weitere Aufschrift oder
Zeichnung die Nationalfarben, an je zwei gegenüberliegenden Ecken Not und
Blau, in der Mitte Weiß. Einer der zuverlässigsten und angesehensten fran¬
zösischen Forscher, Mortimer-Ternaux, der Geschichtschreiber der Schreckens¬
herrschaft, hat zwar Kenntnis von dem Plane Carras und seiner Fahne, er¬
wähnt sie aber, im Sinne unsrer Ansicht beachtenswert genug, bei seiner sehr
eingehenden Darstellung der Ereignisse vom 10. August mit keiner Silbe.
Dasselbe gilt von Louis Blane.

Carras Plan, die rote Fahne in ihrer sinnbildlichen Bedeutung umzu¬
kehren, war allem Anschein nach gescheitert. Bald darauf sollte sie ihres
eigentümlichen Ansehens überhaupt entkleidet werde». Bereits am 21. Ok¬
tober 1792 verlangte ein Hause Pikenmänner vom Konvent die Abschaffung
der verhaßten Im iNcU't,i!et<z von 1789, wobei der Sprecher Gonchon eigens
und nachdrücklich den Antrag stellte, daß alle roten Fahnen in Frankreich
möglichst bald auf dem Altare des Vaterlandes verbrennt würden. Wenige
Monate später, am 23. Juni 1793, wurde die loi rrmriialo und damit auch
das gesetzlich giltige Ansehen der roten Fahne auf deu Vorschlag von Billaud-
Vareunes in der That aufgehoben.

Nicht minder lebhaft trat der Haß gegen das rote Sinnbild der Ordnung
hervor, als unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses endlich der Augen¬
blick gekommen war, wo man mit Bailly wegen des 17. Juli 1791 Abrechnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/168>, abgerufen am 23.07.2024.