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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die rote Fahne

jakobinisch gesinnten Gesinde! der großen Stadt ein willkommener Anlaß zu
bedrohlicher Zusammenrottung war. Der Marsch auf die Nationalversamm¬
lung galt als beschlossene Sache.

Den Empfang, den die heutige Fahne des Umsturzes bei ihrem ersten
Auftreten bei den Pariser Sanskülotten erfahren würde, konnte man bei der
Lage der Umstände voraussehen. "Nieder mit der roten Fahne, nieder mit
den Bajonetten!" so lautete der erste Willkomm, der ihr zu teil geworden ist.
Aber weder Bnilly noch Lafayette, der sonst so volksgnnstsüchtige Kommandant
der Nationalgarde, ließ sich für diesesmal einschüchtern. Etwa ein Dutzend
Citoyens bezahlten ihre kecke Verhöhnung der roten Fahne mit dem Leben.
Diese aber war seitdem das bestgehaßte unter den zahlreichen politischen Sinn¬
bildern jener Tage.

Als obrigkeitliches Signal ist die rote Fahne seit der berühmten ^NÄir"
cku (ütmmx ä"z Nu.r8 nicht wieder verwendet worden. Wenn Lamartine be¬
hauptet hat, daß die rote Fahne auch im Jahre 1793 auf dem Marsfelde
entfaltet worden sei, tMuv ckans 1v su-ug- <in xsunlv, so ist in seinen Worten
nur eine Hindeutung auf die Umstüude zu erkennen, die die Hinrichtung
Bcnllys begleiteten. Es läßt sich jedoch die Frage aufwerfen, ob das rote
Banner schon zur Zeit der erstem Revolution in anderweitiger, im Verhältnis
zu seiner ursprünglichen Bestimmung veränderter Bedeutung hervorgetreten sei.
Meine Nachforschungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß dies nicht der
Fall gewesen ist. Es liegt mir eine größere Anzahl von Originnlberichten
vor, die Memoirenschreiber von Ruf oder Geschichtsforscher ersten Ranges als
quellenmäßige Belege ihrer Ausführungen mitteilen, aber der roten Fahne
geschieht nirgends Erwähnung. Es hat durchaus den Anschein, daß der Pöbel,
selbst inmitten der scheußlichsten Orgien, die er je gefeiert hat, wie bei der
sogenannten Erstürmung der Tuilerien, den Septembermorden, den Schlächte¬
reien unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses, sich der modernen Blut¬
fahne nicht bedient hat. Ein Geschichtschreiber wie Louis Vlane, dessen Werk
über die Revolution den fünfziger Jahren angehört, würde sie sicherlich nicht
vergessen haben.

So wenig wie die rote Fahne hatte übrigens die rote Farbe überhaupt
i" jener Zeit eine der heutigen nahestehende Bedeutung. Der Gebrauch roter
Schärpen, roter Bänder, roter Schleifen oder derartiger Dinge als Parteiabzeichen
war damals durchaus unbekannt. Man sprach zwar, unter Anspielung auf die
Jnkvlnuermütze, vom roten Schrecken, und dies im Gegensatz zum Weißen
Schrecken, den die Anhänger der Bvurbonenfahne verbreiteten; aber dabei blieb
es. So weit entfernt war man davon, die rote Farbe schlechtweg als die
Farbe des Blutes mit dem Hintergedanken politischer Symbolik gelten zu
^sseu, daß sich die Royalisten der Vendve, wie Fran von Larochejaqueleiu
^'gählt, höchst unbefangen Haupt und Gürtel mit roten Taschentüchern putzten,


Die rote Fahne

jakobinisch gesinnten Gesinde! der großen Stadt ein willkommener Anlaß zu
bedrohlicher Zusammenrottung war. Der Marsch auf die Nationalversamm¬
lung galt als beschlossene Sache.

Den Empfang, den die heutige Fahne des Umsturzes bei ihrem ersten
Auftreten bei den Pariser Sanskülotten erfahren würde, konnte man bei der
Lage der Umstände voraussehen. „Nieder mit der roten Fahne, nieder mit
den Bajonetten!" so lautete der erste Willkomm, der ihr zu teil geworden ist.
Aber weder Bnilly noch Lafayette, der sonst so volksgnnstsüchtige Kommandant
der Nationalgarde, ließ sich für diesesmal einschüchtern. Etwa ein Dutzend
Citoyens bezahlten ihre kecke Verhöhnung der roten Fahne mit dem Leben.
Diese aber war seitdem das bestgehaßte unter den zahlreichen politischen Sinn¬
bildern jener Tage.

Als obrigkeitliches Signal ist die rote Fahne seit der berühmten ^NÄir«
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hauptet hat, daß die rote Fahne auch im Jahre 1793 auf dem Marsfelde
entfaltet worden sei, tMuv ckans 1v su-ug- <in xsunlv, so ist in seinen Worten
nur eine Hindeutung auf die Umstüude zu erkennen, die die Hinrichtung
Bcnllys begleiteten. Es läßt sich jedoch die Frage aufwerfen, ob das rote
Banner schon zur Zeit der erstem Revolution in anderweitiger, im Verhältnis
zu seiner ursprünglichen Bestimmung veränderter Bedeutung hervorgetreten sei.
Meine Nachforschungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß dies nicht der
Fall gewesen ist. Es liegt mir eine größere Anzahl von Originnlberichten
vor, die Memoirenschreiber von Ruf oder Geschichtsforscher ersten Ranges als
quellenmäßige Belege ihrer Ausführungen mitteilen, aber der roten Fahne
geschieht nirgends Erwähnung. Es hat durchaus den Anschein, daß der Pöbel,
selbst inmitten der scheußlichsten Orgien, die er je gefeiert hat, wie bei der
sogenannten Erstürmung der Tuilerien, den Septembermorden, den Schlächte¬
reien unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses, sich der modernen Blut¬
fahne nicht bedient hat. Ein Geschichtschreiber wie Louis Vlane, dessen Werk
über die Revolution den fünfziger Jahren angehört, würde sie sicherlich nicht
vergessen haben.

So wenig wie die rote Fahne hatte übrigens die rote Farbe überhaupt
i» jener Zeit eine der heutigen nahestehende Bedeutung. Der Gebrauch roter
Schärpen, roter Bänder, roter Schleifen oder derartiger Dinge als Parteiabzeichen
war damals durchaus unbekannt. Man sprach zwar, unter Anspielung auf die
Jnkvlnuermütze, vom roten Schrecken, und dies im Gegensatz zum Weißen
Schrecken, den die Anhänger der Bvurbonenfahne verbreiteten; aber dabei blieb
es. So weit entfernt war man davon, die rote Farbe schlechtweg als die
Farbe des Blutes mit dem Hintergedanken politischer Symbolik gelten zu
^sseu, daß sich die Royalisten der Vendve, wie Fran von Larochejaqueleiu
^'gählt, höchst unbefangen Haupt und Gürtel mit roten Taschentüchern putzten,


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[0167] Die rote Fahne jakobinisch gesinnten Gesinde! der großen Stadt ein willkommener Anlaß zu bedrohlicher Zusammenrottung war. Der Marsch auf die Nationalversamm¬ lung galt als beschlossene Sache. Den Empfang, den die heutige Fahne des Umsturzes bei ihrem ersten Auftreten bei den Pariser Sanskülotten erfahren würde, konnte man bei der Lage der Umstände voraussehen. „Nieder mit der roten Fahne, nieder mit den Bajonetten!" so lautete der erste Willkomm, der ihr zu teil geworden ist. Aber weder Bnilly noch Lafayette, der sonst so volksgnnstsüchtige Kommandant der Nationalgarde, ließ sich für diesesmal einschüchtern. Etwa ein Dutzend Citoyens bezahlten ihre kecke Verhöhnung der roten Fahne mit dem Leben. Diese aber war seitdem das bestgehaßte unter den zahlreichen politischen Sinn¬ bildern jener Tage. Als obrigkeitliches Signal ist die rote Fahne seit der berühmten ^NÄir« cku (ütmmx ä«z Nu.r8 nicht wieder verwendet worden. Wenn Lamartine be¬ hauptet hat, daß die rote Fahne auch im Jahre 1793 auf dem Marsfelde entfaltet worden sei, tMuv ckans 1v su-ug- <in xsunlv, so ist in seinen Worten nur eine Hindeutung auf die Umstüude zu erkennen, die die Hinrichtung Bcnllys begleiteten. Es läßt sich jedoch die Frage aufwerfen, ob das rote Banner schon zur Zeit der erstem Revolution in anderweitiger, im Verhältnis zu seiner ursprünglichen Bestimmung veränderter Bedeutung hervorgetreten sei. Meine Nachforschungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß dies nicht der Fall gewesen ist. Es liegt mir eine größere Anzahl von Originnlberichten vor, die Memoirenschreiber von Ruf oder Geschichtsforscher ersten Ranges als quellenmäßige Belege ihrer Ausführungen mitteilen, aber der roten Fahne geschieht nirgends Erwähnung. Es hat durchaus den Anschein, daß der Pöbel, selbst inmitten der scheußlichsten Orgien, die er je gefeiert hat, wie bei der sogenannten Erstürmung der Tuilerien, den Septembermorden, den Schlächte¬ reien unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses, sich der modernen Blut¬ fahne nicht bedient hat. Ein Geschichtschreiber wie Louis Vlane, dessen Werk über die Revolution den fünfziger Jahren angehört, würde sie sicherlich nicht vergessen haben. So wenig wie die rote Fahne hatte übrigens die rote Farbe überhaupt i» jener Zeit eine der heutigen nahestehende Bedeutung. Der Gebrauch roter Schärpen, roter Bänder, roter Schleifen oder derartiger Dinge als Parteiabzeichen war damals durchaus unbekannt. Man sprach zwar, unter Anspielung auf die Jnkvlnuermütze, vom roten Schrecken, und dies im Gegensatz zum Weißen Schrecken, den die Anhänger der Bvurbonenfahne verbreiteten; aber dabei blieb es. So weit entfernt war man davon, die rote Farbe schlechtweg als die Farbe des Blutes mit dem Hintergedanken politischer Symbolik gelten zu ^sseu, daß sich die Royalisten der Vendve, wie Fran von Larochejaqueleiu ^'gählt, höchst unbefangen Haupt und Gürtel mit roten Taschentüchern putzten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/167>, abgerufen am 25.08.2024.