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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Bcmernbefrcinng in Preußen

Bauernschutz streng festgehalten, weil die polnischen Edelleute bei der Bureau¬
kratie keine Unterstützung fanden, "Mau hat vielfach bezweifelt, sagt Knapp,
ob der verkommne polnische Bauer imstande sei, von den Auseinandersetzungen
Vorteil zu ziehen; er ist nun Eigentümer geworden, frei von Frohndiensten:
.wird er nicht umsomehr müßig gehen und über kurz oder laug in Schulden
geraten, bis man zum Zwangsverkauf schreiten muß? Zog er uicht vielleicht
selber deu alten Zustand vor? Hatte man das Recht, ihm eine Wohlthat
aufzudrängen, die für ihn gar nicht paßte? Ganz im Gegenteil: sofort nach
dem Gesetz von 1823 gingen die Negulirnngsantrüge vonseiten der Bauern
haufenweise el", und seit der Durchführung ist der Bauer fleißig, lebt besser,
kleidet sich anständig und zahlt seine Steuern und Grundrenten regelmäßig."
Die alte Erfahrung! Eröffnet man dem kleinen Manne die Möglichkeit, un-
abhängiger Besitzer zu werden und es zu einem Eigentum zu bringen, an dem
er seine Freude hat, dann wird er von selber ordentlich. Bleibt ihm diese
Möglichkeit versperrt, und wird er in einer proletarischen Lage festgehalten,
sodaß die Augenblicke, wo er sie im Rausch oder Schlaf vergißt, die einzigen
erträglichen seines Lebens sind, dann richten alle Strafgesetze, Zuchthäuser und
Erschwerungen des Schankgewerbes gegen die Liederlichkeit nichts ans.

In Oberschlesien rechts von der Oder, dessen Grund und Boden größten¬
teils deutschen Grundherren gehörte, verlief die Sache entgegengesetzt. Den
Bauern wurde bei der Auseinandersetzung so viel Land genommen, daß ihre
Stellen nicht lebensfähig blieben, und daß sie vollends zu proletarischen Tage¬
löhnern hinabsanken. Charakteristisch ist es, welche Sprache ein Graf Heuckel
von Donnersmarck im Jahre 1811 führt. Er schlägt vor, daß der Dienst¬
gärtner, der durchschnittlich zwanzig Morgen besaß, sein Land bis auf drei
oder vier Morgen verlieren solle, und sagt dann: "Für die Erwerbung des
Eigentums der so verkleinerten Stelle hat der Gärtner weiter nichts zu
geben." Nach Ansicht dieses Herrn hätte also der Kleinbauer für die
Ehre, dein gnädigen Herrn den größten Teil seines Gütchens abtreten zu
dürfen, eigentlich noch etwas bezahlen müssen. Das Schönste aber ist: nach¬
dem die Herren den Landzuwnchs erhalten hatten, schrieen sie über ihre
Notlage -- sie befinden sich bekanntlich immer und unter allen Umstünden
in Not--, weil allerdings die dadurch notwendig werdenden Neueiurichtuugcn
Geld kosteten, und sie baten um ein Darlehn aus Staatsmitteln, das sie mit
zwei(!) Prozent verzinsen wollten! Das Gesuch wurde nicht bewilligt.

Auch in den übrigen Landesteilen, besonders in Pommern, sind viele
kleinere Besitzer dnrch die Ablösung und Regulirung in eine noch üblere Lage
geraten, besonders in Pommern, wo sie das Hutungsrecht verloren haben und
infolge dessen fast kein Vieh mehr halten können. Im allgemeinen aber ist
das Werk, soweit es sich dabei um den Bauernstand handelt, gelungen. Die
schlesischen Verhältnisse scheint Knapp nicht Hinlängluch zu kennen, sonst würde


Die Bcmernbefrcinng in Preußen

Bauernschutz streng festgehalten, weil die polnischen Edelleute bei der Bureau¬
kratie keine Unterstützung fanden, „Mau hat vielfach bezweifelt, sagt Knapp,
ob der verkommne polnische Bauer imstande sei, von den Auseinandersetzungen
Vorteil zu ziehen; er ist nun Eigentümer geworden, frei von Frohndiensten:
.wird er nicht umsomehr müßig gehen und über kurz oder laug in Schulden
geraten, bis man zum Zwangsverkauf schreiten muß? Zog er uicht vielleicht
selber deu alten Zustand vor? Hatte man das Recht, ihm eine Wohlthat
aufzudrängen, die für ihn gar nicht paßte? Ganz im Gegenteil: sofort nach
dem Gesetz von 1823 gingen die Negulirnngsantrüge vonseiten der Bauern
haufenweise el», und seit der Durchführung ist der Bauer fleißig, lebt besser,
kleidet sich anständig und zahlt seine Steuern und Grundrenten regelmäßig."
Die alte Erfahrung! Eröffnet man dem kleinen Manne die Möglichkeit, un-
abhängiger Besitzer zu werden und es zu einem Eigentum zu bringen, an dem
er seine Freude hat, dann wird er von selber ordentlich. Bleibt ihm diese
Möglichkeit versperrt, und wird er in einer proletarischen Lage festgehalten,
sodaß die Augenblicke, wo er sie im Rausch oder Schlaf vergißt, die einzigen
erträglichen seines Lebens sind, dann richten alle Strafgesetze, Zuchthäuser und
Erschwerungen des Schankgewerbes gegen die Liederlichkeit nichts ans.

In Oberschlesien rechts von der Oder, dessen Grund und Boden größten¬
teils deutschen Grundherren gehörte, verlief die Sache entgegengesetzt. Den
Bauern wurde bei der Auseinandersetzung so viel Land genommen, daß ihre
Stellen nicht lebensfähig blieben, und daß sie vollends zu proletarischen Tage¬
löhnern hinabsanken. Charakteristisch ist es, welche Sprache ein Graf Heuckel
von Donnersmarck im Jahre 1811 führt. Er schlägt vor, daß der Dienst¬
gärtner, der durchschnittlich zwanzig Morgen besaß, sein Land bis auf drei
oder vier Morgen verlieren solle, und sagt dann: „Für die Erwerbung des
Eigentums der so verkleinerten Stelle hat der Gärtner weiter nichts zu
geben." Nach Ansicht dieses Herrn hätte also der Kleinbauer für die
Ehre, dein gnädigen Herrn den größten Teil seines Gütchens abtreten zu
dürfen, eigentlich noch etwas bezahlen müssen. Das Schönste aber ist: nach¬
dem die Herren den Landzuwnchs erhalten hatten, schrieen sie über ihre
Notlage — sie befinden sich bekanntlich immer und unter allen Umstünden
in Not—, weil allerdings die dadurch notwendig werdenden Neueiurichtuugcn
Geld kosteten, und sie baten um ein Darlehn aus Staatsmitteln, das sie mit
zwei(!) Prozent verzinsen wollten! Das Gesuch wurde nicht bewilligt.

Auch in den übrigen Landesteilen, besonders in Pommern, sind viele
kleinere Besitzer dnrch die Ablösung und Regulirung in eine noch üblere Lage
geraten, besonders in Pommern, wo sie das Hutungsrecht verloren haben und
infolge dessen fast kein Vieh mehr halten können. Im allgemeinen aber ist
das Werk, soweit es sich dabei um den Bauernstand handelt, gelungen. Die
schlesischen Verhältnisse scheint Knapp nicht Hinlängluch zu kennen, sonst würde


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[0125] Die Bcmernbefrcinng in Preußen Bauernschutz streng festgehalten, weil die polnischen Edelleute bei der Bureau¬ kratie keine Unterstützung fanden, „Mau hat vielfach bezweifelt, sagt Knapp, ob der verkommne polnische Bauer imstande sei, von den Auseinandersetzungen Vorteil zu ziehen; er ist nun Eigentümer geworden, frei von Frohndiensten: .wird er nicht umsomehr müßig gehen und über kurz oder laug in Schulden geraten, bis man zum Zwangsverkauf schreiten muß? Zog er uicht vielleicht selber deu alten Zustand vor? Hatte man das Recht, ihm eine Wohlthat aufzudrängen, die für ihn gar nicht paßte? Ganz im Gegenteil: sofort nach dem Gesetz von 1823 gingen die Negulirnngsantrüge vonseiten der Bauern haufenweise el», und seit der Durchführung ist der Bauer fleißig, lebt besser, kleidet sich anständig und zahlt seine Steuern und Grundrenten regelmäßig." Die alte Erfahrung! Eröffnet man dem kleinen Manne die Möglichkeit, un- abhängiger Besitzer zu werden und es zu einem Eigentum zu bringen, an dem er seine Freude hat, dann wird er von selber ordentlich. Bleibt ihm diese Möglichkeit versperrt, und wird er in einer proletarischen Lage festgehalten, sodaß die Augenblicke, wo er sie im Rausch oder Schlaf vergißt, die einzigen erträglichen seines Lebens sind, dann richten alle Strafgesetze, Zuchthäuser und Erschwerungen des Schankgewerbes gegen die Liederlichkeit nichts ans. In Oberschlesien rechts von der Oder, dessen Grund und Boden größten¬ teils deutschen Grundherren gehörte, verlief die Sache entgegengesetzt. Den Bauern wurde bei der Auseinandersetzung so viel Land genommen, daß ihre Stellen nicht lebensfähig blieben, und daß sie vollends zu proletarischen Tage¬ löhnern hinabsanken. Charakteristisch ist es, welche Sprache ein Graf Heuckel von Donnersmarck im Jahre 1811 führt. Er schlägt vor, daß der Dienst¬ gärtner, der durchschnittlich zwanzig Morgen besaß, sein Land bis auf drei oder vier Morgen verlieren solle, und sagt dann: „Für die Erwerbung des Eigentums der so verkleinerten Stelle hat der Gärtner weiter nichts zu geben." Nach Ansicht dieses Herrn hätte also der Kleinbauer für die Ehre, dein gnädigen Herrn den größten Teil seines Gütchens abtreten zu dürfen, eigentlich noch etwas bezahlen müssen. Das Schönste aber ist: nach¬ dem die Herren den Landzuwnchs erhalten hatten, schrieen sie über ihre Notlage — sie befinden sich bekanntlich immer und unter allen Umstünden in Not—, weil allerdings die dadurch notwendig werdenden Neueiurichtuugcn Geld kosteten, und sie baten um ein Darlehn aus Staatsmitteln, das sie mit zwei(!) Prozent verzinsen wollten! Das Gesuch wurde nicht bewilligt. Auch in den übrigen Landesteilen, besonders in Pommern, sind viele kleinere Besitzer dnrch die Ablösung und Regulirung in eine noch üblere Lage geraten, besonders in Pommern, wo sie das Hutungsrecht verloren haben und infolge dessen fast kein Vieh mehr halten können. Im allgemeinen aber ist das Werk, soweit es sich dabei um den Bauernstand handelt, gelungen. Die schlesischen Verhältnisse scheint Knapp nicht Hinlängluch zu kennen, sonst würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/125>, abgerufen am 23.07.2024.