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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Bauernbefreiung in Preußen

er wohl der Schilderung der schlimmen Lage der kleinen Leute auch in einigen
Gegenden Mittel- und Niederschlesiens das glänzende Bild des reichen Bauern¬
standes in den bessern Gegenden dieser Provinz gegenübergestellt haben.
Freilich verdanken die dortigen Bauern ihren jetzigen Wohlstand, der sich
stellenweise zum Reichtum steigert, vorzugsweise den teuern Jahren von 1346
bis 1850. Es war in dieser Zeit des Hungertyphus, wo ein Baller zu
Zirlau bei Freiburg zum Andenken an die "goldne Zeit" jedem seiner Kinder
einen goldnen Löffel machen ließ.

Gelungen, soweit es sich um den Vanernstand handelt, sagten wir. Da¬
gegen ist es nicht gelungen, den ländlichen Arbeitern ein erträgliches Los zu
sichern. Es ist leicht' einzusehen, daß durch die Ablösung und Regulirung die
Nachfrage nach Arbeitern außerordentlich gesteigert werden mußte. Die Ritter¬
güter wurden größer, und die neue ökonomische Wissenschaft führte Hand in
Hand mit dem steigenden Geldbedürfnisse zu immer intensiverer Bewirtschaftung;
selbst der uufruchtbarste Boden wurde in Angriff genommen, jedes Eckchen
nnsgenützt, der Wald gelichtet und teilweise in Acker verwandelt, die Brach¬
wirtschaft wich dem Fruchtwechsel; der Bauer, der früher dem gnädigen Herrn
gefrohndet hatte, wurde selbst ein Herr und brauchte außer deu Dienstboten
auch Tagelöhner. Man dachte daran, die "frei" gewordnen Tagelöhner wieder
"anzusetzen," d. h. mit Land auszustatten, um ihre Arbeit dem Gute zu sichern,
was also, wie wvlMingende juristische Formeln auch für das Verhältnis ge¬
wählt werden mögen, der Sache nach auf Wiederherstellung der Hörigkeit für
die unterste Schicht der ländlichen Bevölkerung hinausläuft. "Für jede
Arbeiterfamilie, hieß es in Westpreußen, wird ein magdeburgischer Morgen
Gartenland abgesondert. Mehr Land müssen diese Leute nicht haben, sonst
wollen sie vom Land und nicht von der >Tagelöhner-j Arbeit leben." Und in
Pommern wurde für die Dvmänenarbeiter als Regel aufgestellt: "Die Tage-
löhnerfamilien müssen mit nichts als mit Wohnung, einem kleinen Gemüse¬
garten und allenfalls Weidefreiheit für ein oder andres Stück Vieh versorgt
werden, durchaus nicht mit Gärten oder Wiesenslecken von mehreren Morgen;
auch darf ihnen das wenige Land nicht etwa erblich überlassen werden, weil,
um willige, fleißige und billige Arbeiter zu haben, alles darauf ankommt, sie
in möglichster Abhängigkeit von dem Vvrwerkspüchter zu erhalten."

Auf dreierlei Weise kaun das Verhältnis zwischen den Gutsherrschaften
und ihren Tagelöhnern und Dienstboten geordnet werden. Entweder ans dein
Fuße der persönlichen Freiheit und Freizügigkeit. Dann giebt es für die
Herrschaften nur ein Mittel, die Leute an sich zu fesseln: nämlich ihnen durch
hohen Lohn, gute Kost und gute Behandlung das Leben so angenehm oder
wenigstens erträglich zu machen, daß sie keine Aussicht haben, durch eine Orts-
veränderung ihre Lage zu verbessern. Zu Gunsten der ländlichen Dienstherren
eine Ansnahme zuzulassen und die gesetzliche Freizügigkeit durch Polizei-


Die Bauernbefreiung in Preußen

er wohl der Schilderung der schlimmen Lage der kleinen Leute auch in einigen
Gegenden Mittel- und Niederschlesiens das glänzende Bild des reichen Bauern¬
standes in den bessern Gegenden dieser Provinz gegenübergestellt haben.
Freilich verdanken die dortigen Bauern ihren jetzigen Wohlstand, der sich
stellenweise zum Reichtum steigert, vorzugsweise den teuern Jahren von 1346
bis 1850. Es war in dieser Zeit des Hungertyphus, wo ein Baller zu
Zirlau bei Freiburg zum Andenken an die „goldne Zeit" jedem seiner Kinder
einen goldnen Löffel machen ließ.

Gelungen, soweit es sich um den Vanernstand handelt, sagten wir. Da¬
gegen ist es nicht gelungen, den ländlichen Arbeitern ein erträgliches Los zu
sichern. Es ist leicht' einzusehen, daß durch die Ablösung und Regulirung die
Nachfrage nach Arbeitern außerordentlich gesteigert werden mußte. Die Ritter¬
güter wurden größer, und die neue ökonomische Wissenschaft führte Hand in
Hand mit dem steigenden Geldbedürfnisse zu immer intensiverer Bewirtschaftung;
selbst der uufruchtbarste Boden wurde in Angriff genommen, jedes Eckchen
nnsgenützt, der Wald gelichtet und teilweise in Acker verwandelt, die Brach¬
wirtschaft wich dem Fruchtwechsel; der Bauer, der früher dem gnädigen Herrn
gefrohndet hatte, wurde selbst ein Herr und brauchte außer deu Dienstboten
auch Tagelöhner. Man dachte daran, die „frei" gewordnen Tagelöhner wieder
„anzusetzen," d. h. mit Land auszustatten, um ihre Arbeit dem Gute zu sichern,
was also, wie wvlMingende juristische Formeln auch für das Verhältnis ge¬
wählt werden mögen, der Sache nach auf Wiederherstellung der Hörigkeit für
die unterste Schicht der ländlichen Bevölkerung hinausläuft. „Für jede
Arbeiterfamilie, hieß es in Westpreußen, wird ein magdeburgischer Morgen
Gartenland abgesondert. Mehr Land müssen diese Leute nicht haben, sonst
wollen sie vom Land und nicht von der >Tagelöhner-j Arbeit leben." Und in
Pommern wurde für die Dvmänenarbeiter als Regel aufgestellt: „Die Tage-
löhnerfamilien müssen mit nichts als mit Wohnung, einem kleinen Gemüse¬
garten und allenfalls Weidefreiheit für ein oder andres Stück Vieh versorgt
werden, durchaus nicht mit Gärten oder Wiesenslecken von mehreren Morgen;
auch darf ihnen das wenige Land nicht etwa erblich überlassen werden, weil,
um willige, fleißige und billige Arbeiter zu haben, alles darauf ankommt, sie
in möglichster Abhängigkeit von dem Vvrwerkspüchter zu erhalten."

Auf dreierlei Weise kaun das Verhältnis zwischen den Gutsherrschaften
und ihren Tagelöhnern und Dienstboten geordnet werden. Entweder ans dein
Fuße der persönlichen Freiheit und Freizügigkeit. Dann giebt es für die
Herrschaften nur ein Mittel, die Leute an sich zu fesseln: nämlich ihnen durch
hohen Lohn, gute Kost und gute Behandlung das Leben so angenehm oder
wenigstens erträglich zu machen, daß sie keine Aussicht haben, durch eine Orts-
veränderung ihre Lage zu verbessern. Zu Gunsten der ländlichen Dienstherren
eine Ansnahme zuzulassen und die gesetzliche Freizügigkeit durch Polizei-


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[0126] Die Bauernbefreiung in Preußen er wohl der Schilderung der schlimmen Lage der kleinen Leute auch in einigen Gegenden Mittel- und Niederschlesiens das glänzende Bild des reichen Bauern¬ standes in den bessern Gegenden dieser Provinz gegenübergestellt haben. Freilich verdanken die dortigen Bauern ihren jetzigen Wohlstand, der sich stellenweise zum Reichtum steigert, vorzugsweise den teuern Jahren von 1346 bis 1850. Es war in dieser Zeit des Hungertyphus, wo ein Baller zu Zirlau bei Freiburg zum Andenken an die „goldne Zeit" jedem seiner Kinder einen goldnen Löffel machen ließ. Gelungen, soweit es sich um den Vanernstand handelt, sagten wir. Da¬ gegen ist es nicht gelungen, den ländlichen Arbeitern ein erträgliches Los zu sichern. Es ist leicht' einzusehen, daß durch die Ablösung und Regulirung die Nachfrage nach Arbeitern außerordentlich gesteigert werden mußte. Die Ritter¬ güter wurden größer, und die neue ökonomische Wissenschaft führte Hand in Hand mit dem steigenden Geldbedürfnisse zu immer intensiverer Bewirtschaftung; selbst der uufruchtbarste Boden wurde in Angriff genommen, jedes Eckchen nnsgenützt, der Wald gelichtet und teilweise in Acker verwandelt, die Brach¬ wirtschaft wich dem Fruchtwechsel; der Bauer, der früher dem gnädigen Herrn gefrohndet hatte, wurde selbst ein Herr und brauchte außer deu Dienstboten auch Tagelöhner. Man dachte daran, die „frei" gewordnen Tagelöhner wieder „anzusetzen," d. h. mit Land auszustatten, um ihre Arbeit dem Gute zu sichern, was also, wie wvlMingende juristische Formeln auch für das Verhältnis ge¬ wählt werden mögen, der Sache nach auf Wiederherstellung der Hörigkeit für die unterste Schicht der ländlichen Bevölkerung hinausläuft. „Für jede Arbeiterfamilie, hieß es in Westpreußen, wird ein magdeburgischer Morgen Gartenland abgesondert. Mehr Land müssen diese Leute nicht haben, sonst wollen sie vom Land und nicht von der >Tagelöhner-j Arbeit leben." Und in Pommern wurde für die Dvmänenarbeiter als Regel aufgestellt: „Die Tage- löhnerfamilien müssen mit nichts als mit Wohnung, einem kleinen Gemüse¬ garten und allenfalls Weidefreiheit für ein oder andres Stück Vieh versorgt werden, durchaus nicht mit Gärten oder Wiesenslecken von mehreren Morgen; auch darf ihnen das wenige Land nicht etwa erblich überlassen werden, weil, um willige, fleißige und billige Arbeiter zu haben, alles darauf ankommt, sie in möglichster Abhängigkeit von dem Vvrwerkspüchter zu erhalten." Auf dreierlei Weise kaun das Verhältnis zwischen den Gutsherrschaften und ihren Tagelöhnern und Dienstboten geordnet werden. Entweder ans dein Fuße der persönlichen Freiheit und Freizügigkeit. Dann giebt es für die Herrschaften nur ein Mittel, die Leute an sich zu fesseln: nämlich ihnen durch hohen Lohn, gute Kost und gute Behandlung das Leben so angenehm oder wenigstens erträglich zu machen, daß sie keine Aussicht haben, durch eine Orts- veränderung ihre Lage zu verbessern. Zu Gunsten der ländlichen Dienstherren eine Ansnahme zuzulassen und die gesetzliche Freizügigkeit durch Polizei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/126>, abgerufen am 23.07.2024.