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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

an: Herzen liegt, doppelt wichtig in einer Zeit, die anch um die körperliche
Leistungsfähigkeit der Nation größere Anforderungen stellt, als irgend eine
frühere.

Weiter gehen die Meinungen ans einander in den Fragen des wissen-
schaftlichen Unterrichts. Wenn man hier den gewöhnlichen Zeitungsleser hört,
so ist der Wille des Kaisers: Abschaffung des Unterrichts in den alten Sprachen!
Man weiß den Kaiser abhold allen in unwiederbringlicher Vergangenheit liegen¬
den, also abgelebten Idealen. Mögen wir anch zur Ausgestaltung unsers Ideals
einzelne Züge ans längstvergangnen, dichterisch verklärten Zeiten borgen, die
Seele des Ideals ist immer das nie dagewesene; das echte Ideal, das nicht
bloß die träumende Phantasie, das auch den Willen angeht, liegt immer in
der Zukunft. Als entschlossenen Anbahner einer bessern Zukunft, nicht als
müßigen Romantiker kannte man den Kaiser; das genügte der landläufigen
Logik, den hohen Herrn als fanatischen Gegner des humanistischen Gymna¬
siums zu gunsten andrer Schulformen auszuspielen. Man weiß jetzt, daß
der Kaiser sich das verbeten hat, aber man begreift es nicht. Die Bedürf¬
nisse des Lebens betonen und dennoch in erster Linie klassische Gymnasien for¬
dern mit klassischer Bildung, das, in der Zeit der Verhöyunug des allgemein
Menschlichen und der Vergötterung der modernen Technik, erschien so kühn,
daß man allerlei Drehungen und Deutelungen brauchte, um es sich zurecht zu
legen. Es ist nur der erste Schritt, so hieß es ; es geht eben nicht alles mit einem
male. Was ist denn, so fragte man (zum Beispiel in der Vossischen Zeitung
vom 17. Dezember), was ist denn das Hanptargnment der Gymnafialphilologeu V
Die formale Bildung, die Gymnastik des Geistes. Aber man war etwas zu
spät aufgestanden. Die formale Bildung war das Mäntelchen, mit dem wir
eine Zeit laug auch einen geisttötenden Betrieb der toten Sprachen dürftig
drapirten. Übrigens hatten längst, und mit Recht, Mathematiker und Lehrer
neuerer Sprachen dies Argument auch für ihre Übungen angesprochen. Es
wirkt noch nach in den Köpfen der Gleichberechtiger, soweit sie den Satz
verfechten von der völligen Gleichwertigkeit hnmnnistischer und realistischer
Bildung. Diesen Nachzüglern ist es völlig nen, daß einer die Lehre von der
Gymnastik des Geistes verschmähen und doch ein Freund des Gymnasiums
und der Erziehung der Deutschen durch Griechen und Römer sein kann.

Aber wir sollen, hält man uns aus des Kaisers Rede entgegen, junge
Deutsche erziehen, nicht junge Griechen und Römer! Das Deutsche soll zur
Basis gemacht werden. Ist es denn das nicht jetzt auch? Ich antworte: Mehr,
als es scheint. Wenigstens giebt e^ einen lateinischen Unterricht, der ebenso gut
deutscher Unterricht heißen könnte; und einem deutschen Gymnasiallehrer, der
seinen Schiller und seinen Goethe kennt, möchte es schwer fallen, griechische
Lektüre so zu treiben, daß sie nicht überall in die deutsche Litteratur mündet.
Auf der andern Seite ist nicht zu leugnen, daß die klassischen Philologen als


Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

an: Herzen liegt, doppelt wichtig in einer Zeit, die anch um die körperliche
Leistungsfähigkeit der Nation größere Anforderungen stellt, als irgend eine
frühere.

Weiter gehen die Meinungen ans einander in den Fragen des wissen-
schaftlichen Unterrichts. Wenn man hier den gewöhnlichen Zeitungsleser hört,
so ist der Wille des Kaisers: Abschaffung des Unterrichts in den alten Sprachen!
Man weiß den Kaiser abhold allen in unwiederbringlicher Vergangenheit liegen¬
den, also abgelebten Idealen. Mögen wir anch zur Ausgestaltung unsers Ideals
einzelne Züge ans längstvergangnen, dichterisch verklärten Zeiten borgen, die
Seele des Ideals ist immer das nie dagewesene; das echte Ideal, das nicht
bloß die träumende Phantasie, das auch den Willen angeht, liegt immer in
der Zukunft. Als entschlossenen Anbahner einer bessern Zukunft, nicht als
müßigen Romantiker kannte man den Kaiser; das genügte der landläufigen
Logik, den hohen Herrn als fanatischen Gegner des humanistischen Gymna¬
siums zu gunsten andrer Schulformen auszuspielen. Man weiß jetzt, daß
der Kaiser sich das verbeten hat, aber man begreift es nicht. Die Bedürf¬
nisse des Lebens betonen und dennoch in erster Linie klassische Gymnasien for¬
dern mit klassischer Bildung, das, in der Zeit der Verhöyunug des allgemein
Menschlichen und der Vergötterung der modernen Technik, erschien so kühn,
daß man allerlei Drehungen und Deutelungen brauchte, um es sich zurecht zu
legen. Es ist nur der erste Schritt, so hieß es ; es geht eben nicht alles mit einem
male. Was ist denn, so fragte man (zum Beispiel in der Vossischen Zeitung
vom 17. Dezember), was ist denn das Hanptargnment der Gymnafialphilologeu V
Die formale Bildung, die Gymnastik des Geistes. Aber man war etwas zu
spät aufgestanden. Die formale Bildung war das Mäntelchen, mit dem wir
eine Zeit laug auch einen geisttötenden Betrieb der toten Sprachen dürftig
drapirten. Übrigens hatten längst, und mit Recht, Mathematiker und Lehrer
neuerer Sprachen dies Argument auch für ihre Übungen angesprochen. Es
wirkt noch nach in den Köpfen der Gleichberechtiger, soweit sie den Satz
verfechten von der völligen Gleichwertigkeit hnmnnistischer und realistischer
Bildung. Diesen Nachzüglern ist es völlig nen, daß einer die Lehre von der
Gymnastik des Geistes verschmähen und doch ein Freund des Gymnasiums
und der Erziehung der Deutschen durch Griechen und Römer sein kann.

Aber wir sollen, hält man uns aus des Kaisers Rede entgegen, junge
Deutsche erziehen, nicht junge Griechen und Römer! Das Deutsche soll zur
Basis gemacht werden. Ist es denn das nicht jetzt auch? Ich antworte: Mehr,
als es scheint. Wenigstens giebt e^ einen lateinischen Unterricht, der ebenso gut
deutscher Unterricht heißen könnte; und einem deutschen Gymnasiallehrer, der
seinen Schiller und seinen Goethe kennt, möchte es schwer fallen, griechische
Lektüre so zu treiben, daß sie nicht überall in die deutsche Litteratur mündet.
Auf der andern Seite ist nicht zu leugnen, daß die klassischen Philologen als


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[0011] Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz an: Herzen liegt, doppelt wichtig in einer Zeit, die anch um die körperliche Leistungsfähigkeit der Nation größere Anforderungen stellt, als irgend eine frühere. Weiter gehen die Meinungen ans einander in den Fragen des wissen- schaftlichen Unterrichts. Wenn man hier den gewöhnlichen Zeitungsleser hört, so ist der Wille des Kaisers: Abschaffung des Unterrichts in den alten Sprachen! Man weiß den Kaiser abhold allen in unwiederbringlicher Vergangenheit liegen¬ den, also abgelebten Idealen. Mögen wir anch zur Ausgestaltung unsers Ideals einzelne Züge ans längstvergangnen, dichterisch verklärten Zeiten borgen, die Seele des Ideals ist immer das nie dagewesene; das echte Ideal, das nicht bloß die träumende Phantasie, das auch den Willen angeht, liegt immer in der Zukunft. Als entschlossenen Anbahner einer bessern Zukunft, nicht als müßigen Romantiker kannte man den Kaiser; das genügte der landläufigen Logik, den hohen Herrn als fanatischen Gegner des humanistischen Gymna¬ siums zu gunsten andrer Schulformen auszuspielen. Man weiß jetzt, daß der Kaiser sich das verbeten hat, aber man begreift es nicht. Die Bedürf¬ nisse des Lebens betonen und dennoch in erster Linie klassische Gymnasien for¬ dern mit klassischer Bildung, das, in der Zeit der Verhöyunug des allgemein Menschlichen und der Vergötterung der modernen Technik, erschien so kühn, daß man allerlei Drehungen und Deutelungen brauchte, um es sich zurecht zu legen. Es ist nur der erste Schritt, so hieß es ; es geht eben nicht alles mit einem male. Was ist denn, so fragte man (zum Beispiel in der Vossischen Zeitung vom 17. Dezember), was ist denn das Hanptargnment der Gymnafialphilologeu V Die formale Bildung, die Gymnastik des Geistes. Aber man war etwas zu spät aufgestanden. Die formale Bildung war das Mäntelchen, mit dem wir eine Zeit laug auch einen geisttötenden Betrieb der toten Sprachen dürftig drapirten. Übrigens hatten längst, und mit Recht, Mathematiker und Lehrer neuerer Sprachen dies Argument auch für ihre Übungen angesprochen. Es wirkt noch nach in den Köpfen der Gleichberechtiger, soweit sie den Satz verfechten von der völligen Gleichwertigkeit hnmnnistischer und realistischer Bildung. Diesen Nachzüglern ist es völlig nen, daß einer die Lehre von der Gymnastik des Geistes verschmähen und doch ein Freund des Gymnasiums und der Erziehung der Deutschen durch Griechen und Römer sein kann. Aber wir sollen, hält man uns aus des Kaisers Rede entgegen, junge Deutsche erziehen, nicht junge Griechen und Römer! Das Deutsche soll zur Basis gemacht werden. Ist es denn das nicht jetzt auch? Ich antworte: Mehr, als es scheint. Wenigstens giebt e^ einen lateinischen Unterricht, der ebenso gut deutscher Unterricht heißen könnte; und einem deutschen Gymnasiallehrer, der seinen Schiller und seinen Goethe kennt, möchte es schwer fallen, griechische Lektüre so zu treiben, daß sie nicht überall in die deutsche Litteratur mündet. Auf der andern Seite ist nicht zu leugnen, daß die klassischen Philologen als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/11>, abgerufen am 03.07.2024.