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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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die IwM xvssiäeuteL sich manchen Sport'gestattet haben auf Kosten der Minder¬
besitzenden. Und wenn einmal einer ans ihrer Mitte den Mut hatte, das
Ding beim rechten Namen zu nennen, so durfte es seine wahre Meinung nicht
sein, sondern nnr ein schwächliches Zugeständnis an die Gegner. Doch davon
vielleicht ein andermal. Für heute begnüge ich mich mit dem Ausdruck der
Genugthuung darüber, daß der Kaiser sich in jenem Satze zwar das Argu¬
ment der Feinde des Gymnasiums, aber nicht ihre Schlußfolgerungen angeeignet
hat; der .Kaiser hält also deutsche Bildung mit klassischen, Unterrichte doch
nicht für unvereinbar.

Der Hauptvorwurf, den der Kaiser den Gymnasien macht, betrifft den
Kampf gegen die Sozialdemokratie. Der Kaiser ist überzeugt, das; er bei einer
andern Erziehung der deutschen Gymnasialjugend der Bewegung schneller Herr
werden würde. Hier ist denn auch wohl die Hauptquelle zu suchen seiner
drängenden, stürmenden und, wie wir zuversichtlich hoffen, dereinst auch sieg¬
reichen Thatkraft, insbesondre seines so lebhaften und so ernsthaften Interesses
sür die Vorbildung der deutschen Jugend.

Ich glaube den Sinn der kaiserlichen Ansprachen zu treffen, wenn ich sie
kurz bezeichne als einen Ausruf an die Gymnasien, über den Rahme" bloßer
Gelehrtenschulen hinauszugehen. Deutschland hat seit einem Menschenalter
aufgehört, nichts weiter zu sein, als das Land der Dichter und Denker. Aber
dennoch ist jene Forderung ziemlich neu. Es ist schon viel, wenn unsre Ge¬
lehrten sich über deu Fakultätsstandpunkt erheben. Und daß dies jüngst in
den Erklärungen so vieler Universitäten geschehe" ist, gereicht dem freie" und
weiten Blick des viel gescholtenen deutschen Universitätsprvfessvrs zu hoher
Ehre. Der Meister der Wissenschaft weiß, wie sehr bei jedem ernsthaften
Thu" der ganze Mensch beteiligt ist, wie unendlich sein "Fach," ja das
Gedeihen anch der kleinsten Nervenfaser seines Spezialfachs abhängig ist
von dein Gedeihen des ganzen geistigen Lebens. Und er selber hat mit seiner
Wissenschaft zugleich alles me"schlich hohe. Aber die unzähligen kleinern
Kalibers? Für sie wird, was ihm Lebensodem und Quelle der höchsten
Kraftentwicklung ist, leicht zur Quelle deS Hochmuts und zum Deckmantel der
Trägheit und der Lieblosigkeit. Und Hochmut und Lieblosigkeit der Ober"
sind eine schlimme Gefahr für den Bestand des Reiches, nicht minder ver¬
hängnisvoll, als Ruchlosigkeit und Gier der Unter". Hier hat der Kaiser in
der That einen wunden Punkt unsrer gesamte" höhern Bildung berührt.

Bei Erörterung der kaiserlichen Ansprachen ist die Richtigkeit der Be¬
merkung oft bestritten worden, daß die Jugend vor 1370 patriotischer gewesen
sei, als jetzt. Ich selber habe anfangs zu den Zweiflern gehört, obgleich ich
die Ehre habe, vor 1870 jung gewesen zu sein. Ich dachte a" die mancherlei
Knndgebuuge" des Deutschtums, den Antisemitismus, die ^prachreiniguug,
die Romane ans der Völkerwanderung, die Spielmaimslieder und die Nutzen-


die IwM xvssiäeuteL sich manchen Sport'gestattet haben auf Kosten der Minder¬
besitzenden. Und wenn einmal einer ans ihrer Mitte den Mut hatte, das
Ding beim rechten Namen zu nennen, so durfte es seine wahre Meinung nicht
sein, sondern nnr ein schwächliches Zugeständnis an die Gegner. Doch davon
vielleicht ein andermal. Für heute begnüge ich mich mit dem Ausdruck der
Genugthuung darüber, daß der Kaiser sich in jenem Satze zwar das Argu¬
ment der Feinde des Gymnasiums, aber nicht ihre Schlußfolgerungen angeeignet
hat; der .Kaiser hält also deutsche Bildung mit klassischen, Unterrichte doch
nicht für unvereinbar.

Der Hauptvorwurf, den der Kaiser den Gymnasien macht, betrifft den
Kampf gegen die Sozialdemokratie. Der Kaiser ist überzeugt, das; er bei einer
andern Erziehung der deutschen Gymnasialjugend der Bewegung schneller Herr
werden würde. Hier ist denn auch wohl die Hauptquelle zu suchen seiner
drängenden, stürmenden und, wie wir zuversichtlich hoffen, dereinst auch sieg¬
reichen Thatkraft, insbesondre seines so lebhaften und so ernsthaften Interesses
sür die Vorbildung der deutschen Jugend.

Ich glaube den Sinn der kaiserlichen Ansprachen zu treffen, wenn ich sie
kurz bezeichne als einen Ausruf an die Gymnasien, über den Rahme» bloßer
Gelehrtenschulen hinauszugehen. Deutschland hat seit einem Menschenalter
aufgehört, nichts weiter zu sein, als das Land der Dichter und Denker. Aber
dennoch ist jene Forderung ziemlich neu. Es ist schon viel, wenn unsre Ge¬
lehrten sich über deu Fakultätsstandpunkt erheben. Und daß dies jüngst in
den Erklärungen so vieler Universitäten geschehe» ist, gereicht dem freie» und
weiten Blick des viel gescholtenen deutschen Universitätsprvfessvrs zu hoher
Ehre. Der Meister der Wissenschaft weiß, wie sehr bei jedem ernsthaften
Thu» der ganze Mensch beteiligt ist, wie unendlich sein „Fach," ja das
Gedeihen anch der kleinsten Nervenfaser seines Spezialfachs abhängig ist
von dein Gedeihen des ganzen geistigen Lebens. Und er selber hat mit seiner
Wissenschaft zugleich alles me»schlich hohe. Aber die unzähligen kleinern
Kalibers? Für sie wird, was ihm Lebensodem und Quelle der höchsten
Kraftentwicklung ist, leicht zur Quelle deS Hochmuts und zum Deckmantel der
Trägheit und der Lieblosigkeit. Und Hochmut und Lieblosigkeit der Ober»
sind eine schlimme Gefahr für den Bestand des Reiches, nicht minder ver¬
hängnisvoll, als Ruchlosigkeit und Gier der Unter». Hier hat der Kaiser in
der That einen wunden Punkt unsrer gesamte» höhern Bildung berührt.

Bei Erörterung der kaiserlichen Ansprachen ist die Richtigkeit der Be¬
merkung oft bestritten worden, daß die Jugend vor 1370 patriotischer gewesen
sei, als jetzt. Ich selber habe anfangs zu den Zweiflern gehört, obgleich ich
die Ehre habe, vor 1870 jung gewesen zu sein. Ich dachte a» die mancherlei
Knndgebuuge» des Deutschtums, den Antisemitismus, die ^prachreiniguug,
die Romane ans der Völkerwanderung, die Spielmaimslieder und die Nutzen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/12>, abgerufen am 03.07.2024.