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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

Konferenz doch Volk Gewißheit, Die Propheten der einheitlichen Mittelschule
fehlten ganz, die Kämpen des Realgymnasiums fast ganz, das Feld gehörte
dem Gymnasium.

Dieser friedliche Verein disputirender Gymnasialleute würde vermutlich
die allgemeine Aufmerksamkeit nicht sonderlich beschäftigt haben ohne das
energische persönliche Eingreifen des Kaisers. Die Tagesblätter hatten denn
auch größtenteils ihre Erwartungen tief herabgestimmt, als die erste Rede des
Kaisers plötzlich ganz unerwartete Töne anschlug. Wenigstens schien es so.
Die erste Wirkung war betäubend. Zuerst das dumpfe Gefühl eines ungeheuern
Schlages gegen den ganzen bisherigen Betrieb. Man hörte zunächst nnr
heraus: Das kann so nicht länger fortgehen! und: Die Gymnasien haben ihre
Schuldigkeit nicht gethan! und: Ich weiß, wie es da zugeht! und: Im Lehrer-
persvnnl giebt es viel unerzogene Leute!

Obgleich alle diese Dinge sich im lebendigen Zusammenhang der Rede
doch etwas anders ausnahmen, übrigens der Kaiser ausdrücklich bemerkt hatte,
daß sein Tadel sich jedenfalls anf keinen Menschen persönlich, sondern auf das
System beziehe, fo herrschte doch über den letzten der genannten Punkte allge¬
meine Bestürzung, nicht bloß in den Kreisen der unmittelbar betroffenen. Das
Ansehen eines ganzen Standes schien schwer bedroht, und eines Standes, dem
doch auch recht viel Männer angehören, die an Höhe des geistigen Lebens
und an sittlicher Kraft hinter den Besten keines Standes zurückstehen. Einen
Stand von Männern, die berufen find, das heranwachsende Geschlecht zur
Heranführung eiuer neuen Kultur geschickt zu machen, einen solchen Stand
nicht zu den allerersten zu rechnen, liegt in einem Lande, das der Welt den
Faust geschenkt hat, kein Grund vor. Indes alles hat seine Zeit, und der
Stand der Gymnasiallehrer ist noch jung. Kein Wunder, daß er auch doppelt
empfindlich ist. Mit desto freudigerem Danke werden die Gymnasiallehrer und
ihre Freunde den Ausdruck des Vertrauens und der Wertschätzung vernommen
haben, der ans der allerhöchsten Kabinetsordre vom 17. Dezember sprach --
wofern es dessen zur Beruhigung der Gemüter noch bedurfte. Deal wem,
ich einmal von meinen eignen Empfindungen reden darf: was mich in den
schmerzlichen Tagen der Scham lind der Niedergeschlagenheit wieder aufrichtete,
war zweierlei. Erstens die herzliche, begeisterte Teilnahme, die unser Kaiser
den großen Aufgaben des Lehrerberufs zuwendet. Und dann die Anhänglichkeit
des hohen Herrn an seinen eignen Lehrer und Erzieher. Durch das erste
fühlte ich mich und meine Kollegen sozusagen zu Waffengefährten des Kaisers
erhoben. In dem zweiten glaubte ich einen echten Hvhenzvllernzug zu erkennen,
der geeignet ist, alle Mißdeutungen zu zerstreue".

Genug des Persönlichen! Welches ist nun die Schulpolitik des Kaisers?
Zuerst tritt uus entgegen die ungemein ernste Fürsorge für Gesundheit und
körperliche Ausbildung der deutschen Jugend, ein Thema, das uns allen sehr


Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

Konferenz doch Volk Gewißheit, Die Propheten der einheitlichen Mittelschule
fehlten ganz, die Kämpen des Realgymnasiums fast ganz, das Feld gehörte
dem Gymnasium.

Dieser friedliche Verein disputirender Gymnasialleute würde vermutlich
die allgemeine Aufmerksamkeit nicht sonderlich beschäftigt haben ohne das
energische persönliche Eingreifen des Kaisers. Die Tagesblätter hatten denn
auch größtenteils ihre Erwartungen tief herabgestimmt, als die erste Rede des
Kaisers plötzlich ganz unerwartete Töne anschlug. Wenigstens schien es so.
Die erste Wirkung war betäubend. Zuerst das dumpfe Gefühl eines ungeheuern
Schlages gegen den ganzen bisherigen Betrieb. Man hörte zunächst nnr
heraus: Das kann so nicht länger fortgehen! und: Die Gymnasien haben ihre
Schuldigkeit nicht gethan! und: Ich weiß, wie es da zugeht! und: Im Lehrer-
persvnnl giebt es viel unerzogene Leute!

Obgleich alle diese Dinge sich im lebendigen Zusammenhang der Rede
doch etwas anders ausnahmen, übrigens der Kaiser ausdrücklich bemerkt hatte,
daß sein Tadel sich jedenfalls anf keinen Menschen persönlich, sondern auf das
System beziehe, fo herrschte doch über den letzten der genannten Punkte allge¬
meine Bestürzung, nicht bloß in den Kreisen der unmittelbar betroffenen. Das
Ansehen eines ganzen Standes schien schwer bedroht, und eines Standes, dem
doch auch recht viel Männer angehören, die an Höhe des geistigen Lebens
und an sittlicher Kraft hinter den Besten keines Standes zurückstehen. Einen
Stand von Männern, die berufen find, das heranwachsende Geschlecht zur
Heranführung eiuer neuen Kultur geschickt zu machen, einen solchen Stand
nicht zu den allerersten zu rechnen, liegt in einem Lande, das der Welt den
Faust geschenkt hat, kein Grund vor. Indes alles hat seine Zeit, und der
Stand der Gymnasiallehrer ist noch jung. Kein Wunder, daß er auch doppelt
empfindlich ist. Mit desto freudigerem Danke werden die Gymnasiallehrer und
ihre Freunde den Ausdruck des Vertrauens und der Wertschätzung vernommen
haben, der ans der allerhöchsten Kabinetsordre vom 17. Dezember sprach —
wofern es dessen zur Beruhigung der Gemüter noch bedurfte. Deal wem,
ich einmal von meinen eignen Empfindungen reden darf: was mich in den
schmerzlichen Tagen der Scham lind der Niedergeschlagenheit wieder aufrichtete,
war zweierlei. Erstens die herzliche, begeisterte Teilnahme, die unser Kaiser
den großen Aufgaben des Lehrerberufs zuwendet. Und dann die Anhänglichkeit
des hohen Herrn an seinen eignen Lehrer und Erzieher. Durch das erste
fühlte ich mich und meine Kollegen sozusagen zu Waffengefährten des Kaisers
erhoben. In dem zweiten glaubte ich einen echten Hvhenzvllernzug zu erkennen,
der geeignet ist, alle Mißdeutungen zu zerstreue».

Genug des Persönlichen! Welches ist nun die Schulpolitik des Kaisers?
Zuerst tritt uus entgegen die ungemein ernste Fürsorge für Gesundheit und
körperliche Ausbildung der deutschen Jugend, ein Thema, das uns allen sehr


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[0010] Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz Konferenz doch Volk Gewißheit, Die Propheten der einheitlichen Mittelschule fehlten ganz, die Kämpen des Realgymnasiums fast ganz, das Feld gehörte dem Gymnasium. Dieser friedliche Verein disputirender Gymnasialleute würde vermutlich die allgemeine Aufmerksamkeit nicht sonderlich beschäftigt haben ohne das energische persönliche Eingreifen des Kaisers. Die Tagesblätter hatten denn auch größtenteils ihre Erwartungen tief herabgestimmt, als die erste Rede des Kaisers plötzlich ganz unerwartete Töne anschlug. Wenigstens schien es so. Die erste Wirkung war betäubend. Zuerst das dumpfe Gefühl eines ungeheuern Schlages gegen den ganzen bisherigen Betrieb. Man hörte zunächst nnr heraus: Das kann so nicht länger fortgehen! und: Die Gymnasien haben ihre Schuldigkeit nicht gethan! und: Ich weiß, wie es da zugeht! und: Im Lehrer- persvnnl giebt es viel unerzogene Leute! Obgleich alle diese Dinge sich im lebendigen Zusammenhang der Rede doch etwas anders ausnahmen, übrigens der Kaiser ausdrücklich bemerkt hatte, daß sein Tadel sich jedenfalls anf keinen Menschen persönlich, sondern auf das System beziehe, fo herrschte doch über den letzten der genannten Punkte allge¬ meine Bestürzung, nicht bloß in den Kreisen der unmittelbar betroffenen. Das Ansehen eines ganzen Standes schien schwer bedroht, und eines Standes, dem doch auch recht viel Männer angehören, die an Höhe des geistigen Lebens und an sittlicher Kraft hinter den Besten keines Standes zurückstehen. Einen Stand von Männern, die berufen find, das heranwachsende Geschlecht zur Heranführung eiuer neuen Kultur geschickt zu machen, einen solchen Stand nicht zu den allerersten zu rechnen, liegt in einem Lande, das der Welt den Faust geschenkt hat, kein Grund vor. Indes alles hat seine Zeit, und der Stand der Gymnasiallehrer ist noch jung. Kein Wunder, daß er auch doppelt empfindlich ist. Mit desto freudigerem Danke werden die Gymnasiallehrer und ihre Freunde den Ausdruck des Vertrauens und der Wertschätzung vernommen haben, der ans der allerhöchsten Kabinetsordre vom 17. Dezember sprach — wofern es dessen zur Beruhigung der Gemüter noch bedurfte. Deal wem, ich einmal von meinen eignen Empfindungen reden darf: was mich in den schmerzlichen Tagen der Scham lind der Niedergeschlagenheit wieder aufrichtete, war zweierlei. Erstens die herzliche, begeisterte Teilnahme, die unser Kaiser den großen Aufgaben des Lehrerberufs zuwendet. Und dann die Anhänglichkeit des hohen Herrn an seinen eignen Lehrer und Erzieher. Durch das erste fühlte ich mich und meine Kollegen sozusagen zu Waffengefährten des Kaisers erhoben. In dem zweiten glaubte ich einen echten Hvhenzvllernzug zu erkennen, der geeignet ist, alle Mißdeutungen zu zerstreue». Genug des Persönlichen! Welches ist nun die Schulpolitik des Kaisers? Zuerst tritt uus entgegen die ungemein ernste Fürsorge für Gesundheit und körperliche Ausbildung der deutschen Jugend, ein Thema, das uns allen sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/10>, abgerufen am 03.07.2024.