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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Um ihn vor seine" "Verleumdern" zu schützen, behält das Gericht den Wild¬
schützen zunächst in Haft. Bei der Gerichtsverhandlung "vierter Akt) verlegt
er sich hartnäckig und durch gar nichts eingeschüchtert aufs Leugne", bis die
verwitwete Oberförstern, als Zeugin erscheint. Hier nimmt nun die Sache
eine merkwürdige Wendung. Martha ist gut, gut wie eine Heilige. "Meine
Mutter ...... sagt sie im ersten Alt -- hat oft gesagt, wenn der Mensch wo
einen großen Feind hat, so soll er hingehen und ihm was Gutes thun. Dann
geschieht ein Wunder, und der größte Feind wird oft zum größten Freund."
Dieser schöne Gedanke geht wie ein Orgelpuul't durch das ganze Stück, er
wird wie ein Grundakkord immer wieder angeschlagen. Ans dein Wege zum.
Schwurgericht ist sie an der Hütte des Mörders ihres Gatte" vorbei¬
gekommen und hat das entsetzliche Elend der Straßtscheu Familie, eines
Weibes mit sü"f Kindern, gesehen (dritter Akt). Davon im Innersten er
schüttert, hat sie nicht bloß der Frau des Wildschützen zunächst mit Geld und
g"tem Fürwort bei denn harte" Gemeindevorstand geholfen, sondern anch den
Entschluß gefaßt, sich a" dein Mörder nicht zu rächen. Im Angesichte der
Richter führt sie den Entschluß auch wirklich aus. Aufs Gewissen befragt, ob sie mit
Sicherheit in Straßl deu Mörder ihres geliebten Gatten erkenne, sagt sie nein.
Von diesem (übrigens gar nicht unwahren) Nein ist der hartnäckig leugnende
Wildschütz so furchtbar erschüttert, daß er anbetend vor Martha niedersinkt
und sein Verbrechen gesteht. ,,Du Heilige! Du Heilige! Wer bist denn du?
Deinen liebsten Menschen hab ich umgebracht. Und du mir so! Und du mir
so!" Große Bewegung. Rufe im Gerichtssaalpubliknm: "Gestanden hat
ers!" Murmeln der Geschworenen: Gestanden hat ers!" Richter: "Einge¬
standen hat ers." Straßl: "Eingestanden hab ichs. Jetzt ists vorbei.
Dein Haß bin ich gestanden, die Liebe wirft mich nieder. Ihr Herrn
Richter! Ja, ich Habs gethan -- ich leugne es nimmer." Mit der folgenden
Erzählung Straßls, wie alles geschehen ist, schließt das Stück. Der Richter
hat das letzte Wort: "Barmherzigkeit ist ihm geworden, nun ruf' ich die Ge¬
rechtigkeit!"

Die Schwächen dieser Handlung sind so durchsichtig wie Glas, und es
gehört wahrlich nicht viel Kritik duzn, sie herauszufinden. Erstens besteht das
ganze Stück nur aus drei dramatischen Szenen: der That des Straßl-Toni,
der Begegnung Marthas mit seinem verhungernden Weibe und der Szene im
Gerichtssaal. Was dazwischen liegt: der innere Zustand des sich aufs Leugnen
verlegenden Mörders, ist ganz undramntisch. Und doch hat das Stück vier
Akte! Die weitaus größere Schwäche des Volksschauspiels aber besteht darin,
daß die Hauptsache, die originelle und so schon poetische Wendung der Handlung:
Marthas Überwindung der Rachgier infolge ihres Mitleids mit den schuldlose"
Kindern des Wildschützen, von dem alleräußerlichsten Zufall abhängig gemacht
ist. Dem, es ist ja gar keine Notwendigkeit vorhanden, daß die Fvrsterin auf


Um ihn vor seine» „Verleumdern" zu schützen, behält das Gericht den Wild¬
schützen zunächst in Haft. Bei der Gerichtsverhandlung «vierter Akt) verlegt
er sich hartnäckig und durch gar nichts eingeschüchtert aufs Leugne», bis die
verwitwete Oberförstern, als Zeugin erscheint. Hier nimmt nun die Sache
eine merkwürdige Wendung. Martha ist gut, gut wie eine Heilige. „Meine
Mutter ...... sagt sie im ersten Alt — hat oft gesagt, wenn der Mensch wo
einen großen Feind hat, so soll er hingehen und ihm was Gutes thun. Dann
geschieht ein Wunder, und der größte Feind wird oft zum größten Freund."
Dieser schöne Gedanke geht wie ein Orgelpuul't durch das ganze Stück, er
wird wie ein Grundakkord immer wieder angeschlagen. Ans dein Wege zum.
Schwurgericht ist sie an der Hütte des Mörders ihres Gatte» vorbei¬
gekommen und hat das entsetzliche Elend der Straßtscheu Familie, eines
Weibes mit sü»f Kindern, gesehen (dritter Akt). Davon im Innersten er
schüttert, hat sie nicht bloß der Frau des Wildschützen zunächst mit Geld und
g»tem Fürwort bei denn harte» Gemeindevorstand geholfen, sondern anch den
Entschluß gefaßt, sich a» dein Mörder nicht zu rächen. Im Angesichte der
Richter führt sie den Entschluß auch wirklich aus. Aufs Gewissen befragt, ob sie mit
Sicherheit in Straßl deu Mörder ihres geliebten Gatten erkenne, sagt sie nein.
Von diesem (übrigens gar nicht unwahren) Nein ist der hartnäckig leugnende
Wildschütz so furchtbar erschüttert, daß er anbetend vor Martha niedersinkt
und sein Verbrechen gesteht. ,,Du Heilige! Du Heilige! Wer bist denn du?
Deinen liebsten Menschen hab ich umgebracht. Und du mir so! Und du mir
so!" Große Bewegung. Rufe im Gerichtssaalpubliknm: „Gestanden hat
ers!" Murmeln der Geschworenen: Gestanden hat ers!" Richter: „Einge¬
standen hat ers." Straßl: „Eingestanden hab ichs. Jetzt ists vorbei.
Dein Haß bin ich gestanden, die Liebe wirft mich nieder. Ihr Herrn
Richter! Ja, ich Habs gethan — ich leugne es nimmer." Mit der folgenden
Erzählung Straßls, wie alles geschehen ist, schließt das Stück. Der Richter
hat das letzte Wort: „Barmherzigkeit ist ihm geworden, nun ruf' ich die Ge¬
rechtigkeit!"

Die Schwächen dieser Handlung sind so durchsichtig wie Glas, und es
gehört wahrlich nicht viel Kritik duzn, sie herauszufinden. Erstens besteht das
ganze Stück nur aus drei dramatischen Szenen: der That des Straßl-Toni,
der Begegnung Marthas mit seinem verhungernden Weibe und der Szene im
Gerichtssaal. Was dazwischen liegt: der innere Zustand des sich aufs Leugnen
verlegenden Mörders, ist ganz undramntisch. Und doch hat das Stück vier
Akte! Die weitaus größere Schwäche des Volksschauspiels aber besteht darin,
daß die Hauptsache, die originelle und so schon poetische Wendung der Handlung:
Marthas Überwindung der Rachgier infolge ihres Mitleids mit den schuldlose»
Kindern des Wildschützen, von dem alleräußerlichsten Zufall abhängig gemacht
ist. Dem, es ist ja gar keine Notwendigkeit vorhanden, daß die Fvrsterin auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/100>, abgerufen am 25.08.2024.