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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Rosegger als Dramatiker

das Publikum weit nachhaltiger als eine Erzählung, Darum ist es sehr be¬
greiflich, daß sich P. K. Roseggcr an dem Ruhme, einer der gemütvollsten
deuischeu Erzähler zu sein, nicht genug sein läßt und die Bühne zu gewinne"
strebt. Nur daß man diesem Bestreben ungläubiger zuschauen dürfte, als ähn¬
lichen Versuchen andrer berühmten Erzähler, Nvseggers eigentümliches Talent
liegt in der tief und sein empfundenen kleinen Geschichte, im Genrebild; seine
Versuche, einen größern Rahmen auszufüllen, sind nicht gelungen, er hat immer
nur viele kleine Bildchen in den Nahmen hineingestellt. Seine Kunst als Er¬
zähler, so warm und innig sie wirkt, entbehrt doch der höchsten Objektivität.
Eine große epische Gestalt so zu schaffen, daß man über ihr den Dichter ver¬
gessen hätte, wie es Fritz Reuter, Nnzengrnbcr, ja selbst Auerbach gelungen
ist, ist ihm bisher noch nicht gelungen; sein Jakob der Letzte, so tragisch er
auch ist, trägt Nvseggers persönliche Züge in des Waldbauern Verkleidung.
Dieser Begabung wird man daher von vornherein die Fähigkeit, dramatisch zu
wirken, nicht leicht zugestehen, und darum waren wir selbst überrascht, als
wir von Nvseggers erstem Volksschauspiel: Am Tage des Gerichts, das
jetzt, trotz der achtungsvoll ablehnenden Kritik der Presse, mit großem Erfolg
beim Publikum im deutschen Vvlksthenter in Wien gespielt wird, einen im
ganzen guten Eindruck empfingen; ja es fehlt dem Stücke, trotz seiner großen
Mängel, durchaus nicht an dramatischem Stil, und das ist das merkwürdigste
daran. Wir haben wieder einmal gefühlt, Unis ein echter Dichter alles kann,
und wie die wahre dichterische Begabung in der höchsten künstlerischen Form
auch dann ihre Wirkung thut, wenn diese Form öffentlich nicht geübt worden
ist, denn für seine Mappe wird Rosegger vor diesem Schauspiel noch manchen
andern dramatischen Versuch gemacht haben.

Der Hauptfehler des Stückes, über den man sich zunächst hinwegsetzen
muß, wenn man ihm gerecht werden will, liegt in der schmächtigen, wesentlich
novellistischen Fabel; ihr Inhalt selbst wird mir durch die große sittliche
Idee, die sie veranschaulicht, über das lokale Interesse emporgehoben.

Ein Wildschütz erschießt den Oberförster, als dieser ihn tief im Walde
auf dem verbotenen Wege ertappt. Der einzige Zeuge des Verbrechens ist
die Gattin des Oberförsters, die ihn diesmal zufällig in den Wald begleitet
hat. Aber Martha ist nur ein halber Zeuge, sie hat wohl die Wirkung des
verbrecherischen Schusses auf ihren Gatten, aber nicht den Wildschützen selbst
gesehen. Das weiß dieser Straßl-Toni, aber nicht ganz sicher, und rechnet
so: Außer Martha war kein Zeuge der llnthat weit und breit zugegen, von
ihr allein hängt mein Schicksal ub; verrät sie mich, dann bin ich verloren.
Die znsanunenströmenden Waldbewohner sprechen den Verdacht gegen ihn aus,
das; er der Mörder des Oberförsters sei; er leugnet es, jn er geht in echt
bäurischer Dumm-Schlauheit selber zu Gericht, Berleumdimgsklage gegen die
Waldleute zu erheben, und hofft sich in dieser Weise ans der Sache zu ziehen.


Rosegger als Dramatiker

das Publikum weit nachhaltiger als eine Erzählung, Darum ist es sehr be¬
greiflich, daß sich P. K. Roseggcr an dem Ruhme, einer der gemütvollsten
deuischeu Erzähler zu sein, nicht genug sein läßt und die Bühne zu gewinne»
strebt. Nur daß man diesem Bestreben ungläubiger zuschauen dürfte, als ähn¬
lichen Versuchen andrer berühmten Erzähler, Nvseggers eigentümliches Talent
liegt in der tief und sein empfundenen kleinen Geschichte, im Genrebild; seine
Versuche, einen größern Rahmen auszufüllen, sind nicht gelungen, er hat immer
nur viele kleine Bildchen in den Nahmen hineingestellt. Seine Kunst als Er¬
zähler, so warm und innig sie wirkt, entbehrt doch der höchsten Objektivität.
Eine große epische Gestalt so zu schaffen, daß man über ihr den Dichter ver¬
gessen hätte, wie es Fritz Reuter, Nnzengrnbcr, ja selbst Auerbach gelungen
ist, ist ihm bisher noch nicht gelungen; sein Jakob der Letzte, so tragisch er
auch ist, trägt Nvseggers persönliche Züge in des Waldbauern Verkleidung.
Dieser Begabung wird man daher von vornherein die Fähigkeit, dramatisch zu
wirken, nicht leicht zugestehen, und darum waren wir selbst überrascht, als
wir von Nvseggers erstem Volksschauspiel: Am Tage des Gerichts, das
jetzt, trotz der achtungsvoll ablehnenden Kritik der Presse, mit großem Erfolg
beim Publikum im deutschen Vvlksthenter in Wien gespielt wird, einen im
ganzen guten Eindruck empfingen; ja es fehlt dem Stücke, trotz seiner großen
Mängel, durchaus nicht an dramatischem Stil, und das ist das merkwürdigste
daran. Wir haben wieder einmal gefühlt, Unis ein echter Dichter alles kann,
und wie die wahre dichterische Begabung in der höchsten künstlerischen Form
auch dann ihre Wirkung thut, wenn diese Form öffentlich nicht geübt worden
ist, denn für seine Mappe wird Rosegger vor diesem Schauspiel noch manchen
andern dramatischen Versuch gemacht haben.

Der Hauptfehler des Stückes, über den man sich zunächst hinwegsetzen
muß, wenn man ihm gerecht werden will, liegt in der schmächtigen, wesentlich
novellistischen Fabel; ihr Inhalt selbst wird mir durch die große sittliche
Idee, die sie veranschaulicht, über das lokale Interesse emporgehoben.

Ein Wildschütz erschießt den Oberförster, als dieser ihn tief im Walde
auf dem verbotenen Wege ertappt. Der einzige Zeuge des Verbrechens ist
die Gattin des Oberförsters, die ihn diesmal zufällig in den Wald begleitet
hat. Aber Martha ist nur ein halber Zeuge, sie hat wohl die Wirkung des
verbrecherischen Schusses auf ihren Gatten, aber nicht den Wildschützen selbst
gesehen. Das weiß dieser Straßl-Toni, aber nicht ganz sicher, und rechnet
so: Außer Martha war kein Zeuge der llnthat weit und breit zugegen, von
ihr allein hängt mein Schicksal ub; verrät sie mich, dann bin ich verloren.
Die znsanunenströmenden Waldbewohner sprechen den Verdacht gegen ihn aus,
das; er der Mörder des Oberförsters sei; er leugnet es, jn er geht in echt
bäurischer Dumm-Schlauheit selber zu Gericht, Berleumdimgsklage gegen die
Waldleute zu erheben, und hofft sich in dieser Weise ans der Sache zu ziehen.


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[0099] Rosegger als Dramatiker das Publikum weit nachhaltiger als eine Erzählung, Darum ist es sehr be¬ greiflich, daß sich P. K. Roseggcr an dem Ruhme, einer der gemütvollsten deuischeu Erzähler zu sein, nicht genug sein läßt und die Bühne zu gewinne» strebt. Nur daß man diesem Bestreben ungläubiger zuschauen dürfte, als ähn¬ lichen Versuchen andrer berühmten Erzähler, Nvseggers eigentümliches Talent liegt in der tief und sein empfundenen kleinen Geschichte, im Genrebild; seine Versuche, einen größern Rahmen auszufüllen, sind nicht gelungen, er hat immer nur viele kleine Bildchen in den Nahmen hineingestellt. Seine Kunst als Er¬ zähler, so warm und innig sie wirkt, entbehrt doch der höchsten Objektivität. Eine große epische Gestalt so zu schaffen, daß man über ihr den Dichter ver¬ gessen hätte, wie es Fritz Reuter, Nnzengrnbcr, ja selbst Auerbach gelungen ist, ist ihm bisher noch nicht gelungen; sein Jakob der Letzte, so tragisch er auch ist, trägt Nvseggers persönliche Züge in des Waldbauern Verkleidung. Dieser Begabung wird man daher von vornherein die Fähigkeit, dramatisch zu wirken, nicht leicht zugestehen, und darum waren wir selbst überrascht, als wir von Nvseggers erstem Volksschauspiel: Am Tage des Gerichts, das jetzt, trotz der achtungsvoll ablehnenden Kritik der Presse, mit großem Erfolg beim Publikum im deutschen Vvlksthenter in Wien gespielt wird, einen im ganzen guten Eindruck empfingen; ja es fehlt dem Stücke, trotz seiner großen Mängel, durchaus nicht an dramatischem Stil, und das ist das merkwürdigste daran. Wir haben wieder einmal gefühlt, Unis ein echter Dichter alles kann, und wie die wahre dichterische Begabung in der höchsten künstlerischen Form auch dann ihre Wirkung thut, wenn diese Form öffentlich nicht geübt worden ist, denn für seine Mappe wird Rosegger vor diesem Schauspiel noch manchen andern dramatischen Versuch gemacht haben. Der Hauptfehler des Stückes, über den man sich zunächst hinwegsetzen muß, wenn man ihm gerecht werden will, liegt in der schmächtigen, wesentlich novellistischen Fabel; ihr Inhalt selbst wird mir durch die große sittliche Idee, die sie veranschaulicht, über das lokale Interesse emporgehoben. Ein Wildschütz erschießt den Oberförster, als dieser ihn tief im Walde auf dem verbotenen Wege ertappt. Der einzige Zeuge des Verbrechens ist die Gattin des Oberförsters, die ihn diesmal zufällig in den Wald begleitet hat. Aber Martha ist nur ein halber Zeuge, sie hat wohl die Wirkung des verbrecherischen Schusses auf ihren Gatten, aber nicht den Wildschützen selbst gesehen. Das weiß dieser Straßl-Toni, aber nicht ganz sicher, und rechnet so: Außer Martha war kein Zeuge der llnthat weit und breit zugegen, von ihr allein hängt mein Schicksal ub; verrät sie mich, dann bin ich verloren. Die znsanunenströmenden Waldbewohner sprechen den Verdacht gegen ihn aus, das; er der Mörder des Oberförsters sei; er leugnet es, jn er geht in echt bäurischer Dumm-Schlauheit selber zu Gericht, Berleumdimgsklage gegen die Waldleute zu erheben, und hofft sich in dieser Weise ans der Sache zu ziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/99>, abgerufen am 23.07.2024.