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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das Aufrücke" der Lehrer an den höher" Unterrichrsanstalten Preußens

Gerade für den Lehrer scheint uns diese Sicherstellung der Zukunft doppelt
von nöten zu sein, wenn er über der rauhen Wirklichkeit des Lebeus das
Ideal, die Wissenschaft und die Freudigkeit in seinem Berufe nicht verlieren
soll. Ein Lehrer, der seine Familie darben sieht, kann sich nicht hinsetzen
und sich, was seinen Schülern doch wieder zu gute käme, in der Wissen¬
schaft weiterbilden, er muß die freie Zeit, die ihm Schulstunden, Kor¬
rekturen und Vorbereitungen lassen, zum Gelderwerb verwenden, vor allem
zu dem leidigen "Stundengeben," Da helfen auch alle guten Vorsätze nicht,
die Not zwingt dazu. Ein "letzter ordentlicher" Lehrer, der gezwungen ist,
außer seinen zweiundzwanzig oder vierundzwanzig wöchentlichen Schulstunden,
noch drei Stunden an einer "höhern Töchterschule" zu unterrichten und auch
noch Privatstunden zu erteilen, muß notwendigerweise allmählich mit der Wissen¬
schaft außer Zusammenhang geraten.

Die jetzige Art des Aufrückens macht aber den Lehrer auch oft mißmutig
und lässig. Gar maucher, der seine Pflicht thut, aber infolge der erfreulichen
Gesundheitsverhältnisse an der Anstalt nicht vorwärts kommt, aber auch von
der Behörde nicht anderswohin versetzt wird, denkt: Dn mußt doch uach der
Ansicht deiner Vorgesetzten deine Pflicht nicht thun, denn sonst würdest du
doch einmal versetzt werden und dadurch ein Zeichen von Anerkennung er¬
langen. Die Folge ist: er wird lässig. Daß zu langes Sitzen bei niedrigem
Gehalte und die Unsicherheit, vorwärts zu kommen, den Menschen mißmutig
macht und Lust und Liebe zum Berufe abstumpft, finden wir nicht bloß bei
den Lehrern, sondern auch im Militärstande; da giebt es ja das geflügelte
Wort vom "mißvergnügten Premier."

Aber nicht nur die werden mißmutig, die trotz ihres Eifers ein Jahrzehnt
lang nicht aufgerückt sind, souderu bisweilen sogar die, die schnell vorwärts
gekommen sind, ja vielleicht mehr Gehalt beziehen, als ihnen ihrem Dienstalter
nach zukäme. Wie das zugeht? Diese Glückskinder waren vielleicht in jedem
Jahre eine oder auch zwei Stellen gerückt, um tritt aus einmal eine Stockung
ein. Sie bleiben jahrelang auf derselben Stelle stehen. Jetzt gehen ihnen die
Angen auf. Vor ihnen sind lauter ziemlich gleichalterige Männer, sie sehen
plötzlich jede Aussicht auf Vorwärtskommen abgeschnitten. Ich habe hierbei
eine staatliche Anstalt im Sinne, wo der erste Oberlehrer 43 Jahre alt ist,
der erste ordentliche Lehrer 39 und der letzte 35! Mit welchen Gefühlen
müssen vor allein die letzten ordentlichen Lehrer der Zukunft entgegensehen,
die nun schon einige Jahre unbeweglich auf ihren Stellen sitzen? .Kann das
Berufsfreudigkeit erwecken? Daß solche Verhältnisse nicht vereinzelt dastehen,
beweisen die Ausführungen des Abgeordneten Theising, denn wie könnte es
sonst kommen, daß der eine nach 2 Dienstjahren Oberlehrer geworden ist, der
andre aber erst nach 28? Genau dieselben Ungleichmüßigreiten im Aufrücken,
wie sie der Abgeordnete Theising aus Schlesien mitteilt, beweisen die statisti-


Das Aufrücke» der Lehrer an den höher» Unterrichrsanstalten Preußens

Gerade für den Lehrer scheint uns diese Sicherstellung der Zukunft doppelt
von nöten zu sein, wenn er über der rauhen Wirklichkeit des Lebeus das
Ideal, die Wissenschaft und die Freudigkeit in seinem Berufe nicht verlieren
soll. Ein Lehrer, der seine Familie darben sieht, kann sich nicht hinsetzen
und sich, was seinen Schülern doch wieder zu gute käme, in der Wissen¬
schaft weiterbilden, er muß die freie Zeit, die ihm Schulstunden, Kor¬
rekturen und Vorbereitungen lassen, zum Gelderwerb verwenden, vor allem
zu dem leidigen „Stundengeben," Da helfen auch alle guten Vorsätze nicht,
die Not zwingt dazu. Ein „letzter ordentlicher" Lehrer, der gezwungen ist,
außer seinen zweiundzwanzig oder vierundzwanzig wöchentlichen Schulstunden,
noch drei Stunden an einer „höhern Töchterschule" zu unterrichten und auch
noch Privatstunden zu erteilen, muß notwendigerweise allmählich mit der Wissen¬
schaft außer Zusammenhang geraten.

Die jetzige Art des Aufrückens macht aber den Lehrer auch oft mißmutig
und lässig. Gar maucher, der seine Pflicht thut, aber infolge der erfreulichen
Gesundheitsverhältnisse an der Anstalt nicht vorwärts kommt, aber auch von
der Behörde nicht anderswohin versetzt wird, denkt: Dn mußt doch uach der
Ansicht deiner Vorgesetzten deine Pflicht nicht thun, denn sonst würdest du
doch einmal versetzt werden und dadurch ein Zeichen von Anerkennung er¬
langen. Die Folge ist: er wird lässig. Daß zu langes Sitzen bei niedrigem
Gehalte und die Unsicherheit, vorwärts zu kommen, den Menschen mißmutig
macht und Lust und Liebe zum Berufe abstumpft, finden wir nicht bloß bei
den Lehrern, sondern auch im Militärstande; da giebt es ja das geflügelte
Wort vom „mißvergnügten Premier."

Aber nicht nur die werden mißmutig, die trotz ihres Eifers ein Jahrzehnt
lang nicht aufgerückt sind, souderu bisweilen sogar die, die schnell vorwärts
gekommen sind, ja vielleicht mehr Gehalt beziehen, als ihnen ihrem Dienstalter
nach zukäme. Wie das zugeht? Diese Glückskinder waren vielleicht in jedem
Jahre eine oder auch zwei Stellen gerückt, um tritt aus einmal eine Stockung
ein. Sie bleiben jahrelang auf derselben Stelle stehen. Jetzt gehen ihnen die
Angen auf. Vor ihnen sind lauter ziemlich gleichalterige Männer, sie sehen
plötzlich jede Aussicht auf Vorwärtskommen abgeschnitten. Ich habe hierbei
eine staatliche Anstalt im Sinne, wo der erste Oberlehrer 43 Jahre alt ist,
der erste ordentliche Lehrer 39 und der letzte 35! Mit welchen Gefühlen
müssen vor allein die letzten ordentlichen Lehrer der Zukunft entgegensehen,
die nun schon einige Jahre unbeweglich auf ihren Stellen sitzen? .Kann das
Berufsfreudigkeit erwecken? Daß solche Verhältnisse nicht vereinzelt dastehen,
beweisen die Ausführungen des Abgeordneten Theising, denn wie könnte es
sonst kommen, daß der eine nach 2 Dienstjahren Oberlehrer geworden ist, der
andre aber erst nach 28? Genau dieselben Ungleichmüßigreiten im Aufrücken,
wie sie der Abgeordnete Theising aus Schlesien mitteilt, beweisen die statisti-


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[0070] Das Aufrücke» der Lehrer an den höher» Unterrichrsanstalten Preußens Gerade für den Lehrer scheint uns diese Sicherstellung der Zukunft doppelt von nöten zu sein, wenn er über der rauhen Wirklichkeit des Lebeus das Ideal, die Wissenschaft und die Freudigkeit in seinem Berufe nicht verlieren soll. Ein Lehrer, der seine Familie darben sieht, kann sich nicht hinsetzen und sich, was seinen Schülern doch wieder zu gute käme, in der Wissen¬ schaft weiterbilden, er muß die freie Zeit, die ihm Schulstunden, Kor¬ rekturen und Vorbereitungen lassen, zum Gelderwerb verwenden, vor allem zu dem leidigen „Stundengeben," Da helfen auch alle guten Vorsätze nicht, die Not zwingt dazu. Ein „letzter ordentlicher" Lehrer, der gezwungen ist, außer seinen zweiundzwanzig oder vierundzwanzig wöchentlichen Schulstunden, noch drei Stunden an einer „höhern Töchterschule" zu unterrichten und auch noch Privatstunden zu erteilen, muß notwendigerweise allmählich mit der Wissen¬ schaft außer Zusammenhang geraten. Die jetzige Art des Aufrückens macht aber den Lehrer auch oft mißmutig und lässig. Gar maucher, der seine Pflicht thut, aber infolge der erfreulichen Gesundheitsverhältnisse an der Anstalt nicht vorwärts kommt, aber auch von der Behörde nicht anderswohin versetzt wird, denkt: Dn mußt doch uach der Ansicht deiner Vorgesetzten deine Pflicht nicht thun, denn sonst würdest du doch einmal versetzt werden und dadurch ein Zeichen von Anerkennung er¬ langen. Die Folge ist: er wird lässig. Daß zu langes Sitzen bei niedrigem Gehalte und die Unsicherheit, vorwärts zu kommen, den Menschen mißmutig macht und Lust und Liebe zum Berufe abstumpft, finden wir nicht bloß bei den Lehrern, sondern auch im Militärstande; da giebt es ja das geflügelte Wort vom „mißvergnügten Premier." Aber nicht nur die werden mißmutig, die trotz ihres Eifers ein Jahrzehnt lang nicht aufgerückt sind, souderu bisweilen sogar die, die schnell vorwärts gekommen sind, ja vielleicht mehr Gehalt beziehen, als ihnen ihrem Dienstalter nach zukäme. Wie das zugeht? Diese Glückskinder waren vielleicht in jedem Jahre eine oder auch zwei Stellen gerückt, um tritt aus einmal eine Stockung ein. Sie bleiben jahrelang auf derselben Stelle stehen. Jetzt gehen ihnen die Angen auf. Vor ihnen sind lauter ziemlich gleichalterige Männer, sie sehen plötzlich jede Aussicht auf Vorwärtskommen abgeschnitten. Ich habe hierbei eine staatliche Anstalt im Sinne, wo der erste Oberlehrer 43 Jahre alt ist, der erste ordentliche Lehrer 39 und der letzte 35! Mit welchen Gefühlen müssen vor allein die letzten ordentlichen Lehrer der Zukunft entgegensehen, die nun schon einige Jahre unbeweglich auf ihren Stellen sitzen? .Kann das Berufsfreudigkeit erwecken? Daß solche Verhältnisse nicht vereinzelt dastehen, beweisen die Ausführungen des Abgeordneten Theising, denn wie könnte es sonst kommen, daß der eine nach 2 Dienstjahren Oberlehrer geworden ist, der andre aber erst nach 28? Genau dieselben Ungleichmüßigreiten im Aufrücken, wie sie der Abgeordnete Theising aus Schlesien mitteilt, beweisen die statisti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/70>, abgerufen am 23.07.2024.