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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herr, Tolnassens lvcihnc>abthat>end

von Naturzuscimmenhang zwischen sich und dem Kleinen, Dieses Gefühl
gab ihni den Eindruck von Reichtum und Fülle; es war ihm, als ob der Ge¬
sichtskreis sich um ihn her erweiterte. Die Liebe deö Alters zur Kindheit
war mit einemmal in ihm erwacht, die instinktive Liebe des einzelnen zu seinem
Geschlecht, Herr Tobiassen hätte stundenlang sitzen können und der kleinen
lustigen Figur zusehen. Hier schien ihm ein unerschöpfliches Feld für Beob¬
achtungen zu sein.

Der Kleine suchte sich den Anschein zu geben, als ob er nicht im min¬
desten nach dem Alten fragte, aber gleichzeitig wartete er, ob dieser nicht den
ersten Schritt zur Annäherung thun würde. Immer öfter strich er während
seines Spieles an ihm vorüber, indem er ihn leise berührte, und zog sich wieder
zurück, als ob er fürchtete, sestgehalte" zu werden; aber alles that er, um einen
Angriff in dieser Richtung herauszufordern. Wenn das nichts half, so schmun¬
zelte er mit der Miene heimlichen Verständnisses, und so ging es hin nud
l>er im Zickzack, wie wenn ein Hilfe auf der Spur irreführen will.

Herr Tvbiasseu unterhielt sich bei alledem, hörte zu und antwortete, aber
sein ganzes Interesse folgte doch dein Kleinen. Ob mau dieses dicke Kerlchen
wohl in die Höhe heben könnte? Ob er wohl dabei schreien würde? Schwer
mochte er wohl sein. Herrn Tvbiasseu erfaßte eine Begierde, ihn emporzu¬
heben, eine ganz unbegründete und unvernünftige Begierde, die in ein paar
Minuten zur Leidenschaft anwuchs. Er mußte ihn heben, er mußte fühlen,
ob er schwer sei. Ohne ein Wort und ohne el" Lächeln denn er merkte
wohl, das? es ein Experiment sei, das die gröszte Kühnheit und Kaltblütigkeit
erforderte -- bog er sich vor, ergriff den Dreijährigen, hob ihn gerade in die
Höhe, ungefähr eine Elle von Fußboden, und setzte ihn dann sofort wieder
nieder, genau auf den Fleck, wo er ihn hergenommen hatte.

Ja, er war schwer, gehörig schwer, ganz entzückend schwer schwer wie
ein Mensch, ja fast wie ein Klumpen! Herr Tobiassen war stark errötet --
von der Anstrengung oder von der Gemütsbewegung.

Der Knabe stand einen Angenblick still und schielte ihn ernsthaft forschend
an. Er besann sich offenbar, wie er diese Präliminarien zu einem nähern
Aneinanderstießen aufnehmen sollte. Dann wieherte er wie ein Pferd,
galoppirte im Zimmer herum und that, als ob nichts geschehen wäre. Die
Mutter sah ihm mit einen, bewundernden Blicke nach, aber Herr Tobiassen
schien gänzlich unverändert, und das Gespräch ging seinen Weg.

Nach einigen Minuten begann aber der Kleine sich abermals zu näher";
in kleinen Zwischenrüumen bot er alle seine Künste ans, um den Alten von
neuem herauszufordern. Da es aber nicht zu glücken schien, blieb er zuletzt
ganz still neben dem einen Bein des Herrn Tvbiasseu stehen, lehnte sich schwer
dagegen und ließ seine kleine, dicke Hand darauf ruhen.

Die Aufforderung war deutlich.


Ar-mzbote" IV t"90
Herr, Tolnassens lvcihnc>abthat>end

von Naturzuscimmenhang zwischen sich und dem Kleinen, Dieses Gefühl
gab ihni den Eindruck von Reichtum und Fülle; es war ihm, als ob der Ge¬
sichtskreis sich um ihn her erweiterte. Die Liebe deö Alters zur Kindheit
war mit einemmal in ihm erwacht, die instinktive Liebe des einzelnen zu seinem
Geschlecht, Herr Tobiassen hätte stundenlang sitzen können und der kleinen
lustigen Figur zusehen. Hier schien ihm ein unerschöpfliches Feld für Beob¬
achtungen zu sein.

Der Kleine suchte sich den Anschein zu geben, als ob er nicht im min¬
desten nach dem Alten fragte, aber gleichzeitig wartete er, ob dieser nicht den
ersten Schritt zur Annäherung thun würde. Immer öfter strich er während
seines Spieles an ihm vorüber, indem er ihn leise berührte, und zog sich wieder
zurück, als ob er fürchtete, sestgehalte» zu werden; aber alles that er, um einen
Angriff in dieser Richtung herauszufordern. Wenn das nichts half, so schmun¬
zelte er mit der Miene heimlichen Verständnisses, und so ging es hin nud
l>er im Zickzack, wie wenn ein Hilfe auf der Spur irreführen will.

Herr Tvbiasseu unterhielt sich bei alledem, hörte zu und antwortete, aber
sein ganzes Interesse folgte doch dein Kleinen. Ob mau dieses dicke Kerlchen
wohl in die Höhe heben könnte? Ob er wohl dabei schreien würde? Schwer
mochte er wohl sein. Herrn Tvbiasseu erfaßte eine Begierde, ihn emporzu¬
heben, eine ganz unbegründete und unvernünftige Begierde, die in ein paar
Minuten zur Leidenschaft anwuchs. Er mußte ihn heben, er mußte fühlen,
ob er schwer sei. Ohne ein Wort und ohne el» Lächeln denn er merkte
wohl, das? es ein Experiment sei, das die gröszte Kühnheit und Kaltblütigkeit
erforderte — bog er sich vor, ergriff den Dreijährigen, hob ihn gerade in die
Höhe, ungefähr eine Elle von Fußboden, und setzte ihn dann sofort wieder
nieder, genau auf den Fleck, wo er ihn hergenommen hatte.

Ja, er war schwer, gehörig schwer, ganz entzückend schwer schwer wie
ein Mensch, ja fast wie ein Klumpen! Herr Tobiassen war stark errötet —
von der Anstrengung oder von der Gemütsbewegung.

Der Knabe stand einen Angenblick still und schielte ihn ernsthaft forschend
an. Er besann sich offenbar, wie er diese Präliminarien zu einem nähern
Aneinanderstießen aufnehmen sollte. Dann wieherte er wie ein Pferd,
galoppirte im Zimmer herum und that, als ob nichts geschehen wäre. Die
Mutter sah ihm mit einen, bewundernden Blicke nach, aber Herr Tobiassen
schien gänzlich unverändert, und das Gespräch ging seinen Weg.

Nach einigen Minuten begann aber der Kleine sich abermals zu näher»;
in kleinen Zwischenrüumen bot er alle seine Künste ans, um den Alten von
neuem herauszufordern. Da es aber nicht zu glücken schien, blieb er zuletzt
ganz still neben dem einen Bein des Herrn Tvbiasseu stehen, lehnte sich schwer
dagegen und ließ seine kleine, dicke Hand darauf ruhen.

Die Aufforderung war deutlich.


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[0633] Herr, Tolnassens lvcihnc>abthat>end von Naturzuscimmenhang zwischen sich und dem Kleinen, Dieses Gefühl gab ihni den Eindruck von Reichtum und Fülle; es war ihm, als ob der Ge¬ sichtskreis sich um ihn her erweiterte. Die Liebe deö Alters zur Kindheit war mit einemmal in ihm erwacht, die instinktive Liebe des einzelnen zu seinem Geschlecht, Herr Tobiassen hätte stundenlang sitzen können und der kleinen lustigen Figur zusehen. Hier schien ihm ein unerschöpfliches Feld für Beob¬ achtungen zu sein. Der Kleine suchte sich den Anschein zu geben, als ob er nicht im min¬ desten nach dem Alten fragte, aber gleichzeitig wartete er, ob dieser nicht den ersten Schritt zur Annäherung thun würde. Immer öfter strich er während seines Spieles an ihm vorüber, indem er ihn leise berührte, und zog sich wieder zurück, als ob er fürchtete, sestgehalte» zu werden; aber alles that er, um einen Angriff in dieser Richtung herauszufordern. Wenn das nichts half, so schmun¬ zelte er mit der Miene heimlichen Verständnisses, und so ging es hin nud l>er im Zickzack, wie wenn ein Hilfe auf der Spur irreführen will. Herr Tvbiasseu unterhielt sich bei alledem, hörte zu und antwortete, aber sein ganzes Interesse folgte doch dein Kleinen. Ob mau dieses dicke Kerlchen wohl in die Höhe heben könnte? Ob er wohl dabei schreien würde? Schwer mochte er wohl sein. Herrn Tvbiasseu erfaßte eine Begierde, ihn emporzu¬ heben, eine ganz unbegründete und unvernünftige Begierde, die in ein paar Minuten zur Leidenschaft anwuchs. Er mußte ihn heben, er mußte fühlen, ob er schwer sei. Ohne ein Wort und ohne el» Lächeln denn er merkte wohl, das? es ein Experiment sei, das die gröszte Kühnheit und Kaltblütigkeit erforderte — bog er sich vor, ergriff den Dreijährigen, hob ihn gerade in die Höhe, ungefähr eine Elle von Fußboden, und setzte ihn dann sofort wieder nieder, genau auf den Fleck, wo er ihn hergenommen hatte. Ja, er war schwer, gehörig schwer, ganz entzückend schwer schwer wie ein Mensch, ja fast wie ein Klumpen! Herr Tobiassen war stark errötet — von der Anstrengung oder von der Gemütsbewegung. Der Knabe stand einen Angenblick still und schielte ihn ernsthaft forschend an. Er besann sich offenbar, wie er diese Präliminarien zu einem nähern Aneinanderstießen aufnehmen sollte. Dann wieherte er wie ein Pferd, galoppirte im Zimmer herum und that, als ob nichts geschehen wäre. Die Mutter sah ihm mit einen, bewundernden Blicke nach, aber Herr Tobiassen schien gänzlich unverändert, und das Gespräch ging seinen Weg. Nach einigen Minuten begann aber der Kleine sich abermals zu näher»; in kleinen Zwischenrüumen bot er alle seine Künste ans, um den Alten von neuem herauszufordern. Da es aber nicht zu glücken schien, blieb er zuletzt ganz still neben dem einen Bein des Herrn Tvbiasseu stehen, lehnte sich schwer dagegen und ließ seine kleine, dicke Hand darauf ruhen. Die Aufforderung war deutlich. Ar-mzbote» IV t«90

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/633>, abgerufen am 28.09.2024.