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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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solchen Nachdrucke, daß wir sogar sein "Gesamtthun" herauslesen können, sich
und sein Recht verteidigt, hat keinen Gedanken und keine Zuckung für etwas
andres übrig. Neben diesem rechten Arm ist dieses rechte Bein eine psycho¬
logische Unmöglichkeit.

Und nun der Kopf, über dessen spätere Ausführung im einzelnen wir
ans dem kleinen Modell nichts mutmaßen dürfen. Der Kopf macht die Zer¬
klüftung des ganzen Werkes offenbar und sprengt es völlig auseinander. Er
müßte, je nachdem wir den linken oder den rechten Arm oder das rechte Bein
ins Auge fassen, dreimal ein andrer sein. Zuerst wegen der leicht blätternden
linken Hand, als in geistreicher Unterhaltung begriffen; für den rechten Arm
mit dem sprühenden Trotz des Genies, das gegen den Widerwillen eines ganzen
Zeitalters anstürmt; endlich für das rechte Bein mit dem sieghaften Herrscher¬
blick des anerkannten Bühuenlenkers. Man hat nun die Wahl, zu welcher
der drei verschiedenen Geberden man den Kopf ziehen will; noch mehr könnte
man begierig sein, zu sehen, wofür der Künstler in dem fertigen Standbild
ihn bestimmen würde. Nach seiner Erklärung, daß in dem Kopfe "die vor¬
nehme und gewaltige Schöpfungskraft gegeben werden" müsse, vielleicht zu
dem rechten Arm, der Wagners "Gesamtthun" verkörpern soll, und der seiner
auch am entschiedensten bedarf. Hier liegt die Gefahr doch zu nahe, daß
Schayer ein Standbild lieferte, das Wagners "Gesamtthun" als ein kopfloses
darstellte, eine Huldigung, in die auch die erbittertsten Gegner mit schallendem
Gelächter einstimmen könnten. Freilich erscheinen dann die andern beiden
Gliedmaßen wie angeleimt. Während der rechte Arm nebst dem Kopfe die
,,konzentrirte Energie" bezeichnete, würden das rechte Bein und der linke Arm
die "Lebendigkeit" vorstellen; in der Mitte die eine, rechts und links die
andre Eigenschaft, ohne organische Durchdringung beider, was doch die eigentliche
Aufgabe gewesen wäre. Sie ist hier so vollständig verfehlt, daß man von
Kopf und rechtem Arm zu dem linken Arm und dem Bein übergehend den
gespenstischen Eindruck eines kopflosen Mannes erhalten kann. Eine Gestalt
mit drei Köpfen, der zwei Köpfe fehlen, das ist mehr als indisch! Hat man
je ein kopfloseres Kunstwerk gesehen, als diesen dreiköpfigen, zweimal geköpften
Wagner Schavers?

Vierter Widerspruch. Das stilvolle Leichentuch endlich, worin Schayer
die al8s<z"M rosinorg. vogt-uz gesammelt hat, ist ein weiter, die Gestalt in
reichlichen Falten umschließender Mantel oder Rock. Aber wann ist Wagner,
so oft er "auf offener Szene einem seiner Werke Leben" gab, in einer solchen
währen Wolke von Rock erschienen? Es wäre eine Unmöglichkeit gewesen.
Er würde mit ihm, wenn er in seiner lebhaften Art auf der Bühne Ordnung
schaffend hin und her geeilt wäre, entweder die Bühneneinrichtung oder den
Mantel in Fetzen gerissen haben. Um aber auch hier den Widerspruch, der
zwischen dem Gewand und der Beschäftigung liegt, auf die Spitze zu treiben:


solchen Nachdrucke, daß wir sogar sein „Gesamtthun" herauslesen können, sich
und sein Recht verteidigt, hat keinen Gedanken und keine Zuckung für etwas
andres übrig. Neben diesem rechten Arm ist dieses rechte Bein eine psycho¬
logische Unmöglichkeit.

Und nun der Kopf, über dessen spätere Ausführung im einzelnen wir
ans dem kleinen Modell nichts mutmaßen dürfen. Der Kopf macht die Zer¬
klüftung des ganzen Werkes offenbar und sprengt es völlig auseinander. Er
müßte, je nachdem wir den linken oder den rechten Arm oder das rechte Bein
ins Auge fassen, dreimal ein andrer sein. Zuerst wegen der leicht blätternden
linken Hand, als in geistreicher Unterhaltung begriffen; für den rechten Arm
mit dem sprühenden Trotz des Genies, das gegen den Widerwillen eines ganzen
Zeitalters anstürmt; endlich für das rechte Bein mit dem sieghaften Herrscher¬
blick des anerkannten Bühuenlenkers. Man hat nun die Wahl, zu welcher
der drei verschiedenen Geberden man den Kopf ziehen will; noch mehr könnte
man begierig sein, zu sehen, wofür der Künstler in dem fertigen Standbild
ihn bestimmen würde. Nach seiner Erklärung, daß in dem Kopfe „die vor¬
nehme und gewaltige Schöpfungskraft gegeben werden" müsse, vielleicht zu
dem rechten Arm, der Wagners „Gesamtthun" verkörpern soll, und der seiner
auch am entschiedensten bedarf. Hier liegt die Gefahr doch zu nahe, daß
Schayer ein Standbild lieferte, das Wagners „Gesamtthun" als ein kopfloses
darstellte, eine Huldigung, in die auch die erbittertsten Gegner mit schallendem
Gelächter einstimmen könnten. Freilich erscheinen dann die andern beiden
Gliedmaßen wie angeleimt. Während der rechte Arm nebst dem Kopfe die
,,konzentrirte Energie" bezeichnete, würden das rechte Bein und der linke Arm
die „Lebendigkeit" vorstellen; in der Mitte die eine, rechts und links die
andre Eigenschaft, ohne organische Durchdringung beider, was doch die eigentliche
Aufgabe gewesen wäre. Sie ist hier so vollständig verfehlt, daß man von
Kopf und rechtem Arm zu dem linken Arm und dem Bein übergehend den
gespenstischen Eindruck eines kopflosen Mannes erhalten kann. Eine Gestalt
mit drei Köpfen, der zwei Köpfe fehlen, das ist mehr als indisch! Hat man
je ein kopfloseres Kunstwerk gesehen, als diesen dreiköpfigen, zweimal geköpften
Wagner Schavers?

Vierter Widerspruch. Das stilvolle Leichentuch endlich, worin Schayer
die al8s<z«M rosinorg. vogt-uz gesammelt hat, ist ein weiter, die Gestalt in
reichlichen Falten umschließender Mantel oder Rock. Aber wann ist Wagner,
so oft er „auf offener Szene einem seiner Werke Leben" gab, in einer solchen
währen Wolke von Rock erschienen? Es wäre eine Unmöglichkeit gewesen.
Er würde mit ihm, wenn er in seiner lebhaften Art auf der Bühne Ordnung
schaffend hin und her geeilt wäre, entweder die Bühneneinrichtung oder den
Mantel in Fetzen gerissen haben. Um aber auch hier den Widerspruch, der
zwischen dem Gewand und der Beschäftigung liegt, auf die Spitze zu treiben:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/572>, abgerufen am 25.08.2024.