Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig

dieser Mantel oder Rock ist ein Schlafrock! In breiter Behäbigkeit hängen
rechts und links die Klappen herab, die dieses biederste aller Kleidungsstücke
unwidersprechlich kennzeichnen, in dem gleichwohl der schlichteste Bürgersmann
Anstand nehmen würde auch nur über die Straße zu gehen. Und hier sollen
wir es uns als die Staatskleidung des Genies, feierlich in Erz gegossen und
ans hohem Sockel öffentlich aufgestellt, gefallen lassen? Wenn nicht Schapers
eigne Erklärung über die Bedeutung seines Werkes vorläge, so könnte man
meinen, er habe den Wagner, der es schließlich noch zu etwas gebracht hat,
den Bavreuther Bürger und Hausbesitzer von Wahnfried darstellen wollen.
Und hatte denn Schayer keinen Freund, der ihm von den angeblich "siebzig
Schlafröcken" Wagners erzählte, und von der Rolle, die sie in der gegnerischen
Presse gespielt haben, ich meine nicht die Presse, die Kritik übte, denn diese
war oft sehr nötig, besonders gegen die Wagnerianer, sondern die Presse, für
die Wagner ein vogelfreies Hatzwild war? Wußte einzig nur Schayer nicht,
daß der Schlafrock ein Stück aus der Leidensgeschichte des Mannes bildet,
der nunmehr endlich sür das landesübliche "Männchen" reif geworden ist?
Warum denn nicht links, wo jetzt die "Nibelungen - Trilogie" nach Schapers
vielleicht gut Berlinischer Bezeichnung prangt, lieber die "Briefe Richard
Wagners an eine Putzmacherin" aufschichten nebst der Broschüre Puschmanns,
des tapfern Irrenarztes, der noch im Jahre 1873 Wagner nach allen Regeln
seiner Wissenschaft für verrückt erklärte?

Ich bin zu Ende mit den in Schapers Entwurf enthaltenen Widersprüchen,
damit leider aber auch mit diesem selbst. Wenn es wahr ist, worin der
einfachste Mann mit seinem: Was bedeutet das? was kann ich mir dabei
denken? und eine auf der Höhe ihrer Aufgabe stehende Kunstlehre überein¬
kommen, daß der Inhalt das Erste um einem Kunstwerke sei und die Form
ans' sich erzeugen müsse, nicht umgekehrt, so kann es schwerlich ein verfehlteres
Werk geben, als dieses Wagnerstandbild des berühmten Berliner Künstlers.
Die Form eine Meisterleistuug erstem Ranges, der Inhalt Null und unter
Null. Was aber nach dieser Seite besonders bezeichnend ist: nicht einmal
jener dürftige Grundgedanke, den Schayer dem Leipziger Komitee als Schlüssel
seines Werkes mitzuteilen sich gedrungen fühlte, scheint eher dagewesen zu sein,
als jener Haufe verbrauchter Ateliermätzchen, die sitzende Anordnung, das
Buch, der Taktstock, die jene wie Kautschuk dehnbare und wie Kautschuk gleich-
giltige Unterlage für ein glünzeudes formales Bild abgeben. Hätte Schayer
wirklich von vornherein beabsichtigt, Wagner "auf offener Szene einem seiner
Werke Leben gebend" darzustellen, woher dann die Felsstücke als Sitz und
Fußschemel? Hatte er wirklich einen Zwischenaktswitz über die Leipziger
Theaterzustände im Sinne? Nun, der Fels fügte sich dem Liniengewebe vor¬
züglich ein, und deshalb wählte ihn der Künstler, ohne Rücksicht auf eine
Bedeutung, die damals vermutlich noch gar nicht vorhanden war. Und wenn


Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig

dieser Mantel oder Rock ist ein Schlafrock! In breiter Behäbigkeit hängen
rechts und links die Klappen herab, die dieses biederste aller Kleidungsstücke
unwidersprechlich kennzeichnen, in dem gleichwohl der schlichteste Bürgersmann
Anstand nehmen würde auch nur über die Straße zu gehen. Und hier sollen
wir es uns als die Staatskleidung des Genies, feierlich in Erz gegossen und
ans hohem Sockel öffentlich aufgestellt, gefallen lassen? Wenn nicht Schapers
eigne Erklärung über die Bedeutung seines Werkes vorläge, so könnte man
meinen, er habe den Wagner, der es schließlich noch zu etwas gebracht hat,
den Bavreuther Bürger und Hausbesitzer von Wahnfried darstellen wollen.
Und hatte denn Schayer keinen Freund, der ihm von den angeblich „siebzig
Schlafröcken" Wagners erzählte, und von der Rolle, die sie in der gegnerischen
Presse gespielt haben, ich meine nicht die Presse, die Kritik übte, denn diese
war oft sehr nötig, besonders gegen die Wagnerianer, sondern die Presse, für
die Wagner ein vogelfreies Hatzwild war? Wußte einzig nur Schayer nicht,
daß der Schlafrock ein Stück aus der Leidensgeschichte des Mannes bildet,
der nunmehr endlich sür das landesübliche „Männchen" reif geworden ist?
Warum denn nicht links, wo jetzt die „Nibelungen - Trilogie" nach Schapers
vielleicht gut Berlinischer Bezeichnung prangt, lieber die „Briefe Richard
Wagners an eine Putzmacherin" aufschichten nebst der Broschüre Puschmanns,
des tapfern Irrenarztes, der noch im Jahre 1873 Wagner nach allen Regeln
seiner Wissenschaft für verrückt erklärte?

Ich bin zu Ende mit den in Schapers Entwurf enthaltenen Widersprüchen,
damit leider aber auch mit diesem selbst. Wenn es wahr ist, worin der
einfachste Mann mit seinem: Was bedeutet das? was kann ich mir dabei
denken? und eine auf der Höhe ihrer Aufgabe stehende Kunstlehre überein¬
kommen, daß der Inhalt das Erste um einem Kunstwerke sei und die Form
ans' sich erzeugen müsse, nicht umgekehrt, so kann es schwerlich ein verfehlteres
Werk geben, als dieses Wagnerstandbild des berühmten Berliner Künstlers.
Die Form eine Meisterleistuug erstem Ranges, der Inhalt Null und unter
Null. Was aber nach dieser Seite besonders bezeichnend ist: nicht einmal
jener dürftige Grundgedanke, den Schayer dem Leipziger Komitee als Schlüssel
seines Werkes mitzuteilen sich gedrungen fühlte, scheint eher dagewesen zu sein,
als jener Haufe verbrauchter Ateliermätzchen, die sitzende Anordnung, das
Buch, der Taktstock, die jene wie Kautschuk dehnbare und wie Kautschuk gleich-
giltige Unterlage für ein glünzeudes formales Bild abgeben. Hätte Schayer
wirklich von vornherein beabsichtigt, Wagner „auf offener Szene einem seiner
Werke Leben gebend" darzustellen, woher dann die Felsstücke als Sitz und
Fußschemel? Hatte er wirklich einen Zwischenaktswitz über die Leipziger
Theaterzustände im Sinne? Nun, der Fels fügte sich dem Liniengewebe vor¬
züglich ein, und deshalb wählte ihn der Künstler, ohne Rücksicht auf eine
Bedeutung, die damals vermutlich noch gar nicht vorhanden war. Und wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209152"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1676" prev="#ID_1675"> dieser Mantel oder Rock ist ein Schlafrock! In breiter Behäbigkeit hängen<lb/>
rechts und links die Klappen herab, die dieses biederste aller Kleidungsstücke<lb/>
unwidersprechlich kennzeichnen, in dem gleichwohl der schlichteste Bürgersmann<lb/>
Anstand nehmen würde auch nur über die Straße zu gehen. Und hier sollen<lb/>
wir es uns als die Staatskleidung des Genies, feierlich in Erz gegossen und<lb/>
ans hohem Sockel öffentlich aufgestellt, gefallen lassen? Wenn nicht Schapers<lb/>
eigne Erklärung über die Bedeutung seines Werkes vorläge, so könnte man<lb/>
meinen, er habe den Wagner, der es schließlich noch zu etwas gebracht hat,<lb/>
den Bavreuther Bürger und Hausbesitzer von Wahnfried darstellen wollen.<lb/>
Und hatte denn Schayer keinen Freund, der ihm von den angeblich &#x201E;siebzig<lb/>
Schlafröcken" Wagners erzählte, und von der Rolle, die sie in der gegnerischen<lb/>
Presse gespielt haben, ich meine nicht die Presse, die Kritik übte, denn diese<lb/>
war oft sehr nötig, besonders gegen die Wagnerianer, sondern die Presse, für<lb/>
die Wagner ein vogelfreies Hatzwild war? Wußte einzig nur Schayer nicht,<lb/>
daß der Schlafrock ein Stück aus der Leidensgeschichte des Mannes bildet,<lb/>
der nunmehr endlich sür das landesübliche &#x201E;Männchen" reif geworden ist?<lb/>
Warum denn nicht links, wo jetzt die &#x201E;Nibelungen - Trilogie" nach Schapers<lb/>
vielleicht gut Berlinischer Bezeichnung prangt, lieber die &#x201E;Briefe Richard<lb/>
Wagners an eine Putzmacherin" aufschichten nebst der Broschüre Puschmanns,<lb/>
des tapfern Irrenarztes, der noch im Jahre 1873 Wagner nach allen Regeln<lb/>
seiner Wissenschaft für verrückt erklärte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1677" next="#ID_1678"> Ich bin zu Ende mit den in Schapers Entwurf enthaltenen Widersprüchen,<lb/>
damit leider aber auch mit diesem selbst. Wenn es wahr ist, worin der<lb/>
einfachste Mann mit seinem: Was bedeutet das? was kann ich mir dabei<lb/>
denken? und eine auf der Höhe ihrer Aufgabe stehende Kunstlehre überein¬<lb/>
kommen, daß der Inhalt das Erste um einem Kunstwerke sei und die Form<lb/>
ans' sich erzeugen müsse, nicht umgekehrt, so kann es schwerlich ein verfehlteres<lb/>
Werk geben, als dieses Wagnerstandbild des berühmten Berliner Künstlers.<lb/>
Die Form eine Meisterleistuug erstem Ranges, der Inhalt Null und unter<lb/>
Null. Was aber nach dieser Seite besonders bezeichnend ist: nicht einmal<lb/>
jener dürftige Grundgedanke, den Schayer dem Leipziger Komitee als Schlüssel<lb/>
seines Werkes mitzuteilen sich gedrungen fühlte, scheint eher dagewesen zu sein,<lb/>
als jener Haufe verbrauchter Ateliermätzchen, die sitzende Anordnung, das<lb/>
Buch, der Taktstock, die jene wie Kautschuk dehnbare und wie Kautschuk gleich-<lb/>
giltige Unterlage für ein glünzeudes formales Bild abgeben. Hätte Schayer<lb/>
wirklich von vornherein beabsichtigt, Wagner &#x201E;auf offener Szene einem seiner<lb/>
Werke Leben gebend" darzustellen, woher dann die Felsstücke als Sitz und<lb/>
Fußschemel? Hatte er wirklich einen Zwischenaktswitz über die Leipziger<lb/>
Theaterzustände im Sinne? Nun, der Fels fügte sich dem Liniengewebe vor¬<lb/>
züglich ein, und deshalb wählte ihn der Künstler, ohne Rücksicht auf eine<lb/>
Bedeutung, die damals vermutlich noch gar nicht vorhanden war. Und wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig dieser Mantel oder Rock ist ein Schlafrock! In breiter Behäbigkeit hängen rechts und links die Klappen herab, die dieses biederste aller Kleidungsstücke unwidersprechlich kennzeichnen, in dem gleichwohl der schlichteste Bürgersmann Anstand nehmen würde auch nur über die Straße zu gehen. Und hier sollen wir es uns als die Staatskleidung des Genies, feierlich in Erz gegossen und ans hohem Sockel öffentlich aufgestellt, gefallen lassen? Wenn nicht Schapers eigne Erklärung über die Bedeutung seines Werkes vorläge, so könnte man meinen, er habe den Wagner, der es schließlich noch zu etwas gebracht hat, den Bavreuther Bürger und Hausbesitzer von Wahnfried darstellen wollen. Und hatte denn Schayer keinen Freund, der ihm von den angeblich „siebzig Schlafröcken" Wagners erzählte, und von der Rolle, die sie in der gegnerischen Presse gespielt haben, ich meine nicht die Presse, die Kritik übte, denn diese war oft sehr nötig, besonders gegen die Wagnerianer, sondern die Presse, für die Wagner ein vogelfreies Hatzwild war? Wußte einzig nur Schayer nicht, daß der Schlafrock ein Stück aus der Leidensgeschichte des Mannes bildet, der nunmehr endlich sür das landesübliche „Männchen" reif geworden ist? Warum denn nicht links, wo jetzt die „Nibelungen - Trilogie" nach Schapers vielleicht gut Berlinischer Bezeichnung prangt, lieber die „Briefe Richard Wagners an eine Putzmacherin" aufschichten nebst der Broschüre Puschmanns, des tapfern Irrenarztes, der noch im Jahre 1873 Wagner nach allen Regeln seiner Wissenschaft für verrückt erklärte? Ich bin zu Ende mit den in Schapers Entwurf enthaltenen Widersprüchen, damit leider aber auch mit diesem selbst. Wenn es wahr ist, worin der einfachste Mann mit seinem: Was bedeutet das? was kann ich mir dabei denken? und eine auf der Höhe ihrer Aufgabe stehende Kunstlehre überein¬ kommen, daß der Inhalt das Erste um einem Kunstwerke sei und die Form ans' sich erzeugen müsse, nicht umgekehrt, so kann es schwerlich ein verfehlteres Werk geben, als dieses Wagnerstandbild des berühmten Berliner Künstlers. Die Form eine Meisterleistuug erstem Ranges, der Inhalt Null und unter Null. Was aber nach dieser Seite besonders bezeichnend ist: nicht einmal jener dürftige Grundgedanke, den Schayer dem Leipziger Komitee als Schlüssel seines Werkes mitzuteilen sich gedrungen fühlte, scheint eher dagewesen zu sein, als jener Haufe verbrauchter Ateliermätzchen, die sitzende Anordnung, das Buch, der Taktstock, die jene wie Kautschuk dehnbare und wie Kautschuk gleich- giltige Unterlage für ein glünzeudes formales Bild abgeben. Hätte Schayer wirklich von vornherein beabsichtigt, Wagner „auf offener Szene einem seiner Werke Leben gebend" darzustellen, woher dann die Felsstücke als Sitz und Fußschemel? Hatte er wirklich einen Zwischenaktswitz über die Leipziger Theaterzustände im Sinne? Nun, der Fels fügte sich dem Liniengewebe vor¬ züglich ein, und deshalb wählte ihn der Künstler, ohne Rücksicht auf eine Bedeutung, die damals vermutlich noch gar nicht vorhanden war. Und wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/573>, abgerufen am 25.08.2024.