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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf eines Magnerdenkmals für Leipzig

Schayer hat, wie er selbst dem Konntee erläuterte, den Einfall, ich setze hinzu,
den äußerst glücklichen Einfall gehabt, dem rechten Arm lind der rechten
Hand einen solchen Nachdruck zu verleihen, daß sich abbildlich in ihnen
Wagners "Gesmntthun" ausdrückt. Mit andern Worten, daß wir aus diesem
Arme und "der energischen, mit dein Taktstock versehenen, auf eine Partitur
gesetzten rechten Hand" jenes ungeheure "Ich will" heraus lesen, das Wagner
den künstlerischen Anschauungen eines ganzen Zeitalters entgcgenschlenderte.

Leider hat Schayer auch diesen an sich vortrefflichen Gedanken nicht fest¬
zuhalten gewußt, ihn nur als Stoff zu einem dritten Widerspruche verwertet.
Man sehe den linken Arm und das rechte Veiu. Der linke Arm steht in
leichter Haltung vom Körper ab, während die Hand zwischen die Blätter
greift. Hätte aber nicht der wuchtige Ausfall des rechten Armes die NipP-
tischzierlichkeit des linken längst zerschmetttert haben müssen? Dieser rechte
Arm, diese rechte Faust sind eine Explosion! Und nun betrachte man neben
ihr das rechte Bein. Sein Anblick ist schon an und für sich nicht erfreulich.
Aus den dicken Wülsten und Falten eines bereits halb idealisch gehaltenen
Umzugs, in den Wagners Gestalt gesteckt ist, taucht Plötzlich el" ganz modern
realistisches Hosenbein auf. Es ist so realistisch, daß man fast uach dem Preise
zu fragen versucht wird, den diese Hofe gekostet hat. Wo die gesamte Tracht
streng modisch ist, muß und kann auch dieses bei den Herren Künstlern be¬
kanntlich nach dem Frack unbeliebteste Kleidungsstück mit hingenommen werden.
Hier jedoch ist es eine Stilvermengung und wirkt durch den Gegensatz zu den
schweren Falten des Rockes und der Weste geradezu widerlich. Man wird un¬
willkürlich an das "wvhlgepflegte" Bein unsrer Romanhelden und Salongecken
erinnert.

Aber das Beste, d. h. Schlimmste an diesem Bein ist seine Bedeutung!
Es ist schräg nach rechts hinten gehalten; der Fuß berührt nur mit dein
Ballen, nicht mit dem Absatz den Boden, genan wie bei jemand, der entweder
in der letzten Bewegung des Sichsetzens oder in der ersten Bewegung des
Aufstehens begriffen ist. In unserm Falle kaun nur das letztere, ein Auf-
steheuwvlleu, angenommen werden, da sich das linke Bein mit der Partitur
in der vollen Ruhelage eines Sitzenden befindet. Und der Sinn dieser Bein¬
stellung? Hat Wagner auf der Bühne vielleicht irgend eine Schwierigkeit be¬
merkt, und erhebt er sich, um wegen ihrer selbst nach dem Rechten zu sehen?
Auch dieser Gedanke ist vortrefflich. Wagner wäre dann nicht bloß als der
Musiker, der Kapellmeister, sondern auch uoch als der Regisseur seiner Dramen,
mit einem Worte als der "Gesamtkunstwerker" hingestellt, für den er selbst
allein gelten wollte. In dem Aufspringenwollen endlich käme zugleich die
"Lebendigkeit" zum Ausdrucke, die Wagner eigen war.

Leider macht der wuchtige rechte Arm, wie schon vorher die Haltung des
linken Armes, so anch noch die des rechten Beines unmöglich. Wer mit


Der Entwurf eines Magnerdenkmals für Leipzig

Schayer hat, wie er selbst dem Konntee erläuterte, den Einfall, ich setze hinzu,
den äußerst glücklichen Einfall gehabt, dem rechten Arm lind der rechten
Hand einen solchen Nachdruck zu verleihen, daß sich abbildlich in ihnen
Wagners „Gesmntthun" ausdrückt. Mit andern Worten, daß wir aus diesem
Arme und „der energischen, mit dein Taktstock versehenen, auf eine Partitur
gesetzten rechten Hand" jenes ungeheure „Ich will" heraus lesen, das Wagner
den künstlerischen Anschauungen eines ganzen Zeitalters entgcgenschlenderte.

Leider hat Schayer auch diesen an sich vortrefflichen Gedanken nicht fest¬
zuhalten gewußt, ihn nur als Stoff zu einem dritten Widerspruche verwertet.
Man sehe den linken Arm und das rechte Veiu. Der linke Arm steht in
leichter Haltung vom Körper ab, während die Hand zwischen die Blätter
greift. Hätte aber nicht der wuchtige Ausfall des rechten Armes die NipP-
tischzierlichkeit des linken längst zerschmetttert haben müssen? Dieser rechte
Arm, diese rechte Faust sind eine Explosion! Und nun betrachte man neben
ihr das rechte Bein. Sein Anblick ist schon an und für sich nicht erfreulich.
Aus den dicken Wülsten und Falten eines bereits halb idealisch gehaltenen
Umzugs, in den Wagners Gestalt gesteckt ist, taucht Plötzlich el» ganz modern
realistisches Hosenbein auf. Es ist so realistisch, daß man fast uach dem Preise
zu fragen versucht wird, den diese Hofe gekostet hat. Wo die gesamte Tracht
streng modisch ist, muß und kann auch dieses bei den Herren Künstlern be¬
kanntlich nach dem Frack unbeliebteste Kleidungsstück mit hingenommen werden.
Hier jedoch ist es eine Stilvermengung und wirkt durch den Gegensatz zu den
schweren Falten des Rockes und der Weste geradezu widerlich. Man wird un¬
willkürlich an das „wvhlgepflegte" Bein unsrer Romanhelden und Salongecken
erinnert.

Aber das Beste, d. h. Schlimmste an diesem Bein ist seine Bedeutung!
Es ist schräg nach rechts hinten gehalten; der Fuß berührt nur mit dein
Ballen, nicht mit dem Absatz den Boden, genan wie bei jemand, der entweder
in der letzten Bewegung des Sichsetzens oder in der ersten Bewegung des
Aufstehens begriffen ist. In unserm Falle kaun nur das letztere, ein Auf-
steheuwvlleu, angenommen werden, da sich das linke Bein mit der Partitur
in der vollen Ruhelage eines Sitzenden befindet. Und der Sinn dieser Bein¬
stellung? Hat Wagner auf der Bühne vielleicht irgend eine Schwierigkeit be¬
merkt, und erhebt er sich, um wegen ihrer selbst nach dem Rechten zu sehen?
Auch dieser Gedanke ist vortrefflich. Wagner wäre dann nicht bloß als der
Musiker, der Kapellmeister, sondern auch uoch als der Regisseur seiner Dramen,
mit einem Worte als der „Gesamtkunstwerker" hingestellt, für den er selbst
allein gelten wollte. In dem Aufspringenwollen endlich käme zugleich die
„Lebendigkeit" zum Ausdrucke, die Wagner eigen war.

Leider macht der wuchtige rechte Arm, wie schon vorher die Haltung des
linken Armes, so anch noch die des rechten Beines unmöglich. Wer mit


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[0571] Der Entwurf eines Magnerdenkmals für Leipzig Schayer hat, wie er selbst dem Konntee erläuterte, den Einfall, ich setze hinzu, den äußerst glücklichen Einfall gehabt, dem rechten Arm lind der rechten Hand einen solchen Nachdruck zu verleihen, daß sich abbildlich in ihnen Wagners „Gesmntthun" ausdrückt. Mit andern Worten, daß wir aus diesem Arme und „der energischen, mit dein Taktstock versehenen, auf eine Partitur gesetzten rechten Hand" jenes ungeheure „Ich will" heraus lesen, das Wagner den künstlerischen Anschauungen eines ganzen Zeitalters entgcgenschlenderte. Leider hat Schayer auch diesen an sich vortrefflichen Gedanken nicht fest¬ zuhalten gewußt, ihn nur als Stoff zu einem dritten Widerspruche verwertet. Man sehe den linken Arm und das rechte Veiu. Der linke Arm steht in leichter Haltung vom Körper ab, während die Hand zwischen die Blätter greift. Hätte aber nicht der wuchtige Ausfall des rechten Armes die NipP- tischzierlichkeit des linken längst zerschmetttert haben müssen? Dieser rechte Arm, diese rechte Faust sind eine Explosion! Und nun betrachte man neben ihr das rechte Bein. Sein Anblick ist schon an und für sich nicht erfreulich. Aus den dicken Wülsten und Falten eines bereits halb idealisch gehaltenen Umzugs, in den Wagners Gestalt gesteckt ist, taucht Plötzlich el» ganz modern realistisches Hosenbein auf. Es ist so realistisch, daß man fast uach dem Preise zu fragen versucht wird, den diese Hofe gekostet hat. Wo die gesamte Tracht streng modisch ist, muß und kann auch dieses bei den Herren Künstlern be¬ kanntlich nach dem Frack unbeliebteste Kleidungsstück mit hingenommen werden. Hier jedoch ist es eine Stilvermengung und wirkt durch den Gegensatz zu den schweren Falten des Rockes und der Weste geradezu widerlich. Man wird un¬ willkürlich an das „wvhlgepflegte" Bein unsrer Romanhelden und Salongecken erinnert. Aber das Beste, d. h. Schlimmste an diesem Bein ist seine Bedeutung! Es ist schräg nach rechts hinten gehalten; der Fuß berührt nur mit dein Ballen, nicht mit dem Absatz den Boden, genan wie bei jemand, der entweder in der letzten Bewegung des Sichsetzens oder in der ersten Bewegung des Aufstehens begriffen ist. In unserm Falle kaun nur das letztere, ein Auf- steheuwvlleu, angenommen werden, da sich das linke Bein mit der Partitur in der vollen Ruhelage eines Sitzenden befindet. Und der Sinn dieser Bein¬ stellung? Hat Wagner auf der Bühne vielleicht irgend eine Schwierigkeit be¬ merkt, und erhebt er sich, um wegen ihrer selbst nach dem Rechten zu sehen? Auch dieser Gedanke ist vortrefflich. Wagner wäre dann nicht bloß als der Musiker, der Kapellmeister, sondern auch uoch als der Regisseur seiner Dramen, mit einem Worte als der „Gesamtkunstwerker" hingestellt, für den er selbst allein gelten wollte. In dem Aufspringenwollen endlich käme zugleich die „Lebendigkeit" zum Ausdrucke, die Wagner eigen war. Leider macht der wuchtige rechte Arm, wie schon vorher die Haltung des linken Armes, so anch noch die des rechten Beines unmöglich. Wer mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/571>, abgerufen am 25.08.2024.