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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Lampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie

Liebknecht über diese "Vogclstraußpolitik" lustig, und mit Recht, denn er kenn¬
zeichnet damit jene Taktik als das, was sie ist; die mit der zeitlichen Ent¬
fernung immer mehr zunehmende Verkleinerung des Gegenstandes scheine, meint
er, allmählich zu einer Leugnung seines Daseins fortzuschreiten, zuguderletzt
werde sogar das Vorhandensein des Parteitages bestritten werden. Gewiß soll
man den Feind nicht überschätzen und ihm zu viel Ehre anthun, aber das
Gegenteil, ihn zu niedrig zu schätzen, ist nicht besser, und richtig und wahr
ist nur eine kalte, nüchterne, unbefangene Beurteilung.

Im Vordergrunde des Kampfes mit geistigen Waffen hat in letzter Zeit
der ominöse "Zukunftsstaat" gestanden. Auch dies ist ein altes, dagewesenes,
öfter für und wider behandeltes Thema. Selbstverständlich ist es aus¬
geschlossen, die Frage nach diesem erträumten Staatsgebilde eingehend zu be¬
antworten; würde der Versuch wirklich wieder unternommen, so hätten wir
unter den litterarischen Neuigkeiten nur eine "Utopia" mehr. So wurde denn
der Vorschlag gemacht, diese Vexirfrage den Sozialdemokraten unausgesetzt von
neuem vorzulegen, um ihre gänzliche Unfähigkeit, den zukünftigen Jdealstacit
näher zu beschreiben, vor aller Welt zu zeigen. Liebknecht lehnte die Beant¬
wortung rundweg ab, weil man nicht einmal von ihm verlangen könne, daß
er wisse, wie es bei uns nach einem Jahre aussehe. Er nahm die Logik für
sich in Anspruch; hätten die Fragesteller vvrhergeahnt, daß Deutschland jetzt
ohne Bismarck, ohne Sozialistengesetz regiert würde, hätten sie wohl geglaubt,
daß es ohne diese auch nur sein könne? Diese Erklärung war jedenfalls besser
als die Idee, ewig dieselbe Frage jemandem zu stellen, der nicht antworten
will und kann. Der Spieß wurde dann umgedreht; das "Volksblatt" gab
auf wiederholte Anzapfungen die Frage zurück, indem es unter anderm die
Ultramontanen aufforderte, zuvörderst ihren geträumten Zukunftsstaat einmal
ausführlich darzulegen; so wollte es sich unbequeme Gegner vom Leibe schütteln.
Es mußte die Einsicht kommen, daß sich der Fuchs auf diese Weise aus seinem
Bau nicht herauslocken lassen wollte. Bescheidene Anfragen dieser Art mögen
zuweilen lästig und unangenehm werden und gelegentlich in Verwirrung setzen
können, aber großen Schaden wird man dadurch nicht anrichten. Etwas
andres ist es, das sozialistische Staatsideal mit den Waffen der Satire zu
verfolgen, vorausgesetzt, daß mau von seiner Undurchführbarkeit und seiner
absoluten Idealität fest überzeugt ist. Ist diese Überzeugung aber wirklich
bei den Angehörigen der besitzenden und gebildeten Klaffen völlig uner¬
schüttert? Ist allerlei Zukunftsmusik nicht mehr, als gut ist, Z. 1" niocle?
schöpft die Sozinldemokratie nicht aus diesem Born ergiebig Wasser auf
ihre Mühlen? bemüht sie sich nicht, die Gegenwart herabzusetzen, wie
sie kann, und wird sie in diesem Beginnen von den Anhängern des Be¬
stehenden genügend gehemmt und gehindert? Die Meinung ist nur zu sehr
verbreitet, daß, wenn wir uns glücklich und glorreich in Erfindungen und Ent-


Der Lampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie

Liebknecht über diese „Vogclstraußpolitik" lustig, und mit Recht, denn er kenn¬
zeichnet damit jene Taktik als das, was sie ist; die mit der zeitlichen Ent¬
fernung immer mehr zunehmende Verkleinerung des Gegenstandes scheine, meint
er, allmählich zu einer Leugnung seines Daseins fortzuschreiten, zuguderletzt
werde sogar das Vorhandensein des Parteitages bestritten werden. Gewiß soll
man den Feind nicht überschätzen und ihm zu viel Ehre anthun, aber das
Gegenteil, ihn zu niedrig zu schätzen, ist nicht besser, und richtig und wahr
ist nur eine kalte, nüchterne, unbefangene Beurteilung.

Im Vordergrunde des Kampfes mit geistigen Waffen hat in letzter Zeit
der ominöse „Zukunftsstaat" gestanden. Auch dies ist ein altes, dagewesenes,
öfter für und wider behandeltes Thema. Selbstverständlich ist es aus¬
geschlossen, die Frage nach diesem erträumten Staatsgebilde eingehend zu be¬
antworten; würde der Versuch wirklich wieder unternommen, so hätten wir
unter den litterarischen Neuigkeiten nur eine „Utopia" mehr. So wurde denn
der Vorschlag gemacht, diese Vexirfrage den Sozialdemokraten unausgesetzt von
neuem vorzulegen, um ihre gänzliche Unfähigkeit, den zukünftigen Jdealstacit
näher zu beschreiben, vor aller Welt zu zeigen. Liebknecht lehnte die Beant¬
wortung rundweg ab, weil man nicht einmal von ihm verlangen könne, daß
er wisse, wie es bei uns nach einem Jahre aussehe. Er nahm die Logik für
sich in Anspruch; hätten die Fragesteller vvrhergeahnt, daß Deutschland jetzt
ohne Bismarck, ohne Sozialistengesetz regiert würde, hätten sie wohl geglaubt,
daß es ohne diese auch nur sein könne? Diese Erklärung war jedenfalls besser
als die Idee, ewig dieselbe Frage jemandem zu stellen, der nicht antworten
will und kann. Der Spieß wurde dann umgedreht; das „Volksblatt" gab
auf wiederholte Anzapfungen die Frage zurück, indem es unter anderm die
Ultramontanen aufforderte, zuvörderst ihren geträumten Zukunftsstaat einmal
ausführlich darzulegen; so wollte es sich unbequeme Gegner vom Leibe schütteln.
Es mußte die Einsicht kommen, daß sich der Fuchs auf diese Weise aus seinem
Bau nicht herauslocken lassen wollte. Bescheidene Anfragen dieser Art mögen
zuweilen lästig und unangenehm werden und gelegentlich in Verwirrung setzen
können, aber großen Schaden wird man dadurch nicht anrichten. Etwas
andres ist es, das sozialistische Staatsideal mit den Waffen der Satire zu
verfolgen, vorausgesetzt, daß mau von seiner Undurchführbarkeit und seiner
absoluten Idealität fest überzeugt ist. Ist diese Überzeugung aber wirklich
bei den Angehörigen der besitzenden und gebildeten Klaffen völlig uner¬
schüttert? Ist allerlei Zukunftsmusik nicht mehr, als gut ist, Z. 1» niocle?
schöpft die Sozinldemokratie nicht aus diesem Born ergiebig Wasser auf
ihre Mühlen? bemüht sie sich nicht, die Gegenwart herabzusetzen, wie
sie kann, und wird sie in diesem Beginnen von den Anhängern des Be¬
stehenden genügend gehemmt und gehindert? Die Meinung ist nur zu sehr
verbreitet, daß, wenn wir uns glücklich und glorreich in Erfindungen und Ent-


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[0502] Der Lampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie Liebknecht über diese „Vogclstraußpolitik" lustig, und mit Recht, denn er kenn¬ zeichnet damit jene Taktik als das, was sie ist; die mit der zeitlichen Ent¬ fernung immer mehr zunehmende Verkleinerung des Gegenstandes scheine, meint er, allmählich zu einer Leugnung seines Daseins fortzuschreiten, zuguderletzt werde sogar das Vorhandensein des Parteitages bestritten werden. Gewiß soll man den Feind nicht überschätzen und ihm zu viel Ehre anthun, aber das Gegenteil, ihn zu niedrig zu schätzen, ist nicht besser, und richtig und wahr ist nur eine kalte, nüchterne, unbefangene Beurteilung. Im Vordergrunde des Kampfes mit geistigen Waffen hat in letzter Zeit der ominöse „Zukunftsstaat" gestanden. Auch dies ist ein altes, dagewesenes, öfter für und wider behandeltes Thema. Selbstverständlich ist es aus¬ geschlossen, die Frage nach diesem erträumten Staatsgebilde eingehend zu be¬ antworten; würde der Versuch wirklich wieder unternommen, so hätten wir unter den litterarischen Neuigkeiten nur eine „Utopia" mehr. So wurde denn der Vorschlag gemacht, diese Vexirfrage den Sozialdemokraten unausgesetzt von neuem vorzulegen, um ihre gänzliche Unfähigkeit, den zukünftigen Jdealstacit näher zu beschreiben, vor aller Welt zu zeigen. Liebknecht lehnte die Beant¬ wortung rundweg ab, weil man nicht einmal von ihm verlangen könne, daß er wisse, wie es bei uns nach einem Jahre aussehe. Er nahm die Logik für sich in Anspruch; hätten die Fragesteller vvrhergeahnt, daß Deutschland jetzt ohne Bismarck, ohne Sozialistengesetz regiert würde, hätten sie wohl geglaubt, daß es ohne diese auch nur sein könne? Diese Erklärung war jedenfalls besser als die Idee, ewig dieselbe Frage jemandem zu stellen, der nicht antworten will und kann. Der Spieß wurde dann umgedreht; das „Volksblatt" gab auf wiederholte Anzapfungen die Frage zurück, indem es unter anderm die Ultramontanen aufforderte, zuvörderst ihren geträumten Zukunftsstaat einmal ausführlich darzulegen; so wollte es sich unbequeme Gegner vom Leibe schütteln. Es mußte die Einsicht kommen, daß sich der Fuchs auf diese Weise aus seinem Bau nicht herauslocken lassen wollte. Bescheidene Anfragen dieser Art mögen zuweilen lästig und unangenehm werden und gelegentlich in Verwirrung setzen können, aber großen Schaden wird man dadurch nicht anrichten. Etwas andres ist es, das sozialistische Staatsideal mit den Waffen der Satire zu verfolgen, vorausgesetzt, daß mau von seiner Undurchführbarkeit und seiner absoluten Idealität fest überzeugt ist. Ist diese Überzeugung aber wirklich bei den Angehörigen der besitzenden und gebildeten Klaffen völlig uner¬ schüttert? Ist allerlei Zukunftsmusik nicht mehr, als gut ist, Z. 1» niocle? schöpft die Sozinldemokratie nicht aus diesem Born ergiebig Wasser auf ihre Mühlen? bemüht sie sich nicht, die Gegenwart herabzusetzen, wie sie kann, und wird sie in diesem Beginnen von den Anhängern des Be¬ stehenden genügend gehemmt und gehindert? Die Meinung ist nur zu sehr verbreitet, daß, wenn wir uns glücklich und glorreich in Erfindungen und Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/502>, abgerufen am 29.06.2024.