Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die wahrhaftige Geschichte von den drei Nliinschen

In den Thorweg des Hotel de Vaviere kaum eingetreten, wurde ich von
dem ersten Marqueur, dessen ich ansichtig ward, noch ehe ich ein Wort ge¬
sprochen hatte, auf das artigste gebeten, ihm zu der Dame zu folgen, die mich
erwarte. So seltsam dies mir schien, so ging ich dennoch, ohne das mindeste
von Furcht oder Besorgnis zu empfinden, dem Vorauschreitendeu "ach. Denn
ich wußte, daß ich mein Glück machen würde, weil ich wußte, daß ich es recht
wollte. Man kann, was man will, aber man muß wollen können. Hätte ich
es immer gekonnt!

Der Marqueur öffnete und hieß mich eintreten. Wollte ich sagen, daß
meine Fassung sich völlig gleich geblieben wäre, so würde ich lügen. Die
Halbdämmeruug, die durch irgend eine künstliche Art der Beleuchtung erzeugt
hier herrschte, konnte Wohl den, den eben noch die Helle des natürlichen Tages
umgeben hatte, überraschen. Dazu war es ein seltsam grünliches Licht, das
an den schwarz beschlagenen Wänden spielte, durch dessen Wirkung mir meine
eiguen Hände wie Tvteuhäude vorkamen. Einige Minuten stand ich in Er¬
wartung dessen, was dn kommen sollte, allem. Es war eine solche Toten¬
stille, daß mir war, als hörte ich die Gewänder der Zeit vorbeirauschen. Nun
öffnete sich ohne das mindeste Geräusch eine Thür, und herein trat, leise wie ein
Geist, eine hohe, schöne Frauengestalt. Ein schwarzes Gewand umschloß ihren
Leib und bedeckte selbst die Füße und folgte ihrem Schritt in dunkeln Wellen
als Schleppe. Den obern Teil ihres Leibes, Gesicht und Schultern verhüllte
ein schwarzer Schleier von solcher Dichtigkeit, daß weder Farbe, noch Umriß
durch ihn zum fremden Auge sprach. Zwei weiße Hände von seltner Schön¬
heit glichen zwei Weißen Rosen ans einem Leichentuche. Eine tiefe Altstimme
von außerordentlicher Weichheit und Anmut, dabei von seltsam feierlichem
Klang ließ sich vernehmen, wie sie mich als einen Bekannten, Längsterwarteten
empfing und durch die Thür, aus der ich sie eben hatte schreiten sehen, in
ein Gemach führte, dessen Beleuchtung und Ausschmückung noch weit schauriger
war, als die in dem ersten. Die Wände waren ebenfalls schwarz tapeziert;
darauf waren in gleichen Zwischenräumen Kissen gemalt wie von blutrotem
Sammet, auf den die zwei Totenbeine, die sich auf unsern Beiuhansverzierungen
uuter einem Schädel kreuzen, in blendender Weiße glänzten. Man wunderte
sich, daß die Schädel fehlten. Eben das erinnerte aber an die Sage, daß die
Dame statt eines blühenden Mädchenkopfes einen solchen auf den Schultern
trage. Ein Schneider hat immer Courage; nichtsdestoweniger fühlte ich
Schauer auf Schauer in mir dahingleiten. Die Hand, in der sie die meine
hielt, schien mir regungslos glatt und kalt wie Marmor, dafür pulsirten meine
eignen Fingerspitzen; ich zitterte vor dem Augenblick, wo sie den Schleier
heben würde. So saß sie stumm vor mir, ohne daß ich ihren Atem hörte
oder aus der mindesten Bewegung ihrer Schleierfatten und ihrer Busenbedeckuug
hätte schließen können, daß ein lebendiges Herz unter ihnen schlage. Dazu


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Nliinschen

In den Thorweg des Hotel de Vaviere kaum eingetreten, wurde ich von
dem ersten Marqueur, dessen ich ansichtig ward, noch ehe ich ein Wort ge¬
sprochen hatte, auf das artigste gebeten, ihm zu der Dame zu folgen, die mich
erwarte. So seltsam dies mir schien, so ging ich dennoch, ohne das mindeste
von Furcht oder Besorgnis zu empfinden, dem Vorauschreitendeu »ach. Denn
ich wußte, daß ich mein Glück machen würde, weil ich wußte, daß ich es recht
wollte. Man kann, was man will, aber man muß wollen können. Hätte ich
es immer gekonnt!

Der Marqueur öffnete und hieß mich eintreten. Wollte ich sagen, daß
meine Fassung sich völlig gleich geblieben wäre, so würde ich lügen. Die
Halbdämmeruug, die durch irgend eine künstliche Art der Beleuchtung erzeugt
hier herrschte, konnte Wohl den, den eben noch die Helle des natürlichen Tages
umgeben hatte, überraschen. Dazu war es ein seltsam grünliches Licht, das
an den schwarz beschlagenen Wänden spielte, durch dessen Wirkung mir meine
eiguen Hände wie Tvteuhäude vorkamen. Einige Minuten stand ich in Er¬
wartung dessen, was dn kommen sollte, allem. Es war eine solche Toten¬
stille, daß mir war, als hörte ich die Gewänder der Zeit vorbeirauschen. Nun
öffnete sich ohne das mindeste Geräusch eine Thür, und herein trat, leise wie ein
Geist, eine hohe, schöne Frauengestalt. Ein schwarzes Gewand umschloß ihren
Leib und bedeckte selbst die Füße und folgte ihrem Schritt in dunkeln Wellen
als Schleppe. Den obern Teil ihres Leibes, Gesicht und Schultern verhüllte
ein schwarzer Schleier von solcher Dichtigkeit, daß weder Farbe, noch Umriß
durch ihn zum fremden Auge sprach. Zwei weiße Hände von seltner Schön¬
heit glichen zwei Weißen Rosen ans einem Leichentuche. Eine tiefe Altstimme
von außerordentlicher Weichheit und Anmut, dabei von seltsam feierlichem
Klang ließ sich vernehmen, wie sie mich als einen Bekannten, Längsterwarteten
empfing und durch die Thür, aus der ich sie eben hatte schreiten sehen, in
ein Gemach führte, dessen Beleuchtung und Ausschmückung noch weit schauriger
war, als die in dem ersten. Die Wände waren ebenfalls schwarz tapeziert;
darauf waren in gleichen Zwischenräumen Kissen gemalt wie von blutrotem
Sammet, auf den die zwei Totenbeine, die sich auf unsern Beiuhansverzierungen
uuter einem Schädel kreuzen, in blendender Weiße glänzten. Man wunderte
sich, daß die Schädel fehlten. Eben das erinnerte aber an die Sage, daß die
Dame statt eines blühenden Mädchenkopfes einen solchen auf den Schultern
trage. Ein Schneider hat immer Courage; nichtsdestoweniger fühlte ich
Schauer auf Schauer in mir dahingleiten. Die Hand, in der sie die meine
hielt, schien mir regungslos glatt und kalt wie Marmor, dafür pulsirten meine
eignen Fingerspitzen; ich zitterte vor dem Augenblick, wo sie den Schleier
heben würde. So saß sie stumm vor mir, ohne daß ich ihren Atem hörte
oder aus der mindesten Bewegung ihrer Schleierfatten und ihrer Busenbedeckuug
hätte schließen können, daß ein lebendiges Herz unter ihnen schlage. Dazu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209071"/>
          <fw type="header" place="top"> Die wahrhaftige Geschichte von den drei Nliinschen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1434"> In den Thorweg des Hotel de Vaviere kaum eingetreten, wurde ich von<lb/>
dem ersten Marqueur, dessen ich ansichtig ward, noch ehe ich ein Wort ge¬<lb/>
sprochen hatte, auf das artigste gebeten, ihm zu der Dame zu folgen, die mich<lb/>
erwarte. So seltsam dies mir schien, so ging ich dennoch, ohne das mindeste<lb/>
von Furcht oder Besorgnis zu empfinden, dem Vorauschreitendeu »ach. Denn<lb/>
ich wußte, daß ich mein Glück machen würde, weil ich wußte, daß ich es recht<lb/>
wollte. Man kann, was man will, aber man muß wollen können. Hätte ich<lb/>
es immer gekonnt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1435" next="#ID_1436"> Der Marqueur öffnete und hieß mich eintreten. Wollte ich sagen, daß<lb/>
meine Fassung sich völlig gleich geblieben wäre, so würde ich lügen. Die<lb/>
Halbdämmeruug, die durch irgend eine künstliche Art der Beleuchtung erzeugt<lb/>
hier herrschte, konnte Wohl den, den eben noch die Helle des natürlichen Tages<lb/>
umgeben hatte, überraschen. Dazu war es ein seltsam grünliches Licht, das<lb/>
an den schwarz beschlagenen Wänden spielte, durch dessen Wirkung mir meine<lb/>
eiguen Hände wie Tvteuhäude vorkamen. Einige Minuten stand ich in Er¬<lb/>
wartung dessen, was dn kommen sollte, allem. Es war eine solche Toten¬<lb/>
stille, daß mir war, als hörte ich die Gewänder der Zeit vorbeirauschen. Nun<lb/>
öffnete sich ohne das mindeste Geräusch eine Thür, und herein trat, leise wie ein<lb/>
Geist, eine hohe, schöne Frauengestalt. Ein schwarzes Gewand umschloß ihren<lb/>
Leib und bedeckte selbst die Füße und folgte ihrem Schritt in dunkeln Wellen<lb/>
als Schleppe. Den obern Teil ihres Leibes, Gesicht und Schultern verhüllte<lb/>
ein schwarzer Schleier von solcher Dichtigkeit, daß weder Farbe, noch Umriß<lb/>
durch ihn zum fremden Auge sprach. Zwei weiße Hände von seltner Schön¬<lb/>
heit glichen zwei Weißen Rosen ans einem Leichentuche. Eine tiefe Altstimme<lb/>
von außerordentlicher Weichheit und Anmut, dabei von seltsam feierlichem<lb/>
Klang ließ sich vernehmen, wie sie mich als einen Bekannten, Längsterwarteten<lb/>
empfing und durch die Thür, aus der ich sie eben hatte schreiten sehen, in<lb/>
ein Gemach führte, dessen Beleuchtung und Ausschmückung noch weit schauriger<lb/>
war, als die in dem ersten. Die Wände waren ebenfalls schwarz tapeziert;<lb/>
darauf waren in gleichen Zwischenräumen Kissen gemalt wie von blutrotem<lb/>
Sammet, auf den die zwei Totenbeine, die sich auf unsern Beiuhansverzierungen<lb/>
uuter einem Schädel kreuzen, in blendender Weiße glänzten. Man wunderte<lb/>
sich, daß die Schädel fehlten. Eben das erinnerte aber an die Sage, daß die<lb/>
Dame statt eines blühenden Mädchenkopfes einen solchen auf den Schultern<lb/>
trage. Ein Schneider hat immer Courage; nichtsdestoweniger fühlte ich<lb/>
Schauer auf Schauer in mir dahingleiten. Die Hand, in der sie die meine<lb/>
hielt, schien mir regungslos glatt und kalt wie Marmor, dafür pulsirten meine<lb/>
eignen Fingerspitzen; ich zitterte vor dem Augenblick, wo sie den Schleier<lb/>
heben würde. So saß sie stumm vor mir, ohne daß ich ihren Atem hörte<lb/>
oder aus der mindesten Bewegung ihrer Schleierfatten und ihrer Busenbedeckuug<lb/>
hätte schließen können, daß ein lebendiges Herz unter ihnen schlage. Dazu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Nliinschen In den Thorweg des Hotel de Vaviere kaum eingetreten, wurde ich von dem ersten Marqueur, dessen ich ansichtig ward, noch ehe ich ein Wort ge¬ sprochen hatte, auf das artigste gebeten, ihm zu der Dame zu folgen, die mich erwarte. So seltsam dies mir schien, so ging ich dennoch, ohne das mindeste von Furcht oder Besorgnis zu empfinden, dem Vorauschreitendeu »ach. Denn ich wußte, daß ich mein Glück machen würde, weil ich wußte, daß ich es recht wollte. Man kann, was man will, aber man muß wollen können. Hätte ich es immer gekonnt! Der Marqueur öffnete und hieß mich eintreten. Wollte ich sagen, daß meine Fassung sich völlig gleich geblieben wäre, so würde ich lügen. Die Halbdämmeruug, die durch irgend eine künstliche Art der Beleuchtung erzeugt hier herrschte, konnte Wohl den, den eben noch die Helle des natürlichen Tages umgeben hatte, überraschen. Dazu war es ein seltsam grünliches Licht, das an den schwarz beschlagenen Wänden spielte, durch dessen Wirkung mir meine eiguen Hände wie Tvteuhäude vorkamen. Einige Minuten stand ich in Er¬ wartung dessen, was dn kommen sollte, allem. Es war eine solche Toten¬ stille, daß mir war, als hörte ich die Gewänder der Zeit vorbeirauschen. Nun öffnete sich ohne das mindeste Geräusch eine Thür, und herein trat, leise wie ein Geist, eine hohe, schöne Frauengestalt. Ein schwarzes Gewand umschloß ihren Leib und bedeckte selbst die Füße und folgte ihrem Schritt in dunkeln Wellen als Schleppe. Den obern Teil ihres Leibes, Gesicht und Schultern verhüllte ein schwarzer Schleier von solcher Dichtigkeit, daß weder Farbe, noch Umriß durch ihn zum fremden Auge sprach. Zwei weiße Hände von seltner Schön¬ heit glichen zwei Weißen Rosen ans einem Leichentuche. Eine tiefe Altstimme von außerordentlicher Weichheit und Anmut, dabei von seltsam feierlichem Klang ließ sich vernehmen, wie sie mich als einen Bekannten, Längsterwarteten empfing und durch die Thür, aus der ich sie eben hatte schreiten sehen, in ein Gemach führte, dessen Beleuchtung und Ausschmückung noch weit schauriger war, als die in dem ersten. Die Wände waren ebenfalls schwarz tapeziert; darauf waren in gleichen Zwischenräumen Kissen gemalt wie von blutrotem Sammet, auf den die zwei Totenbeine, die sich auf unsern Beiuhansverzierungen uuter einem Schädel kreuzen, in blendender Weiße glänzten. Man wunderte sich, daß die Schädel fehlten. Eben das erinnerte aber an die Sage, daß die Dame statt eines blühenden Mädchenkopfes einen solchen auf den Schultern trage. Ein Schneider hat immer Courage; nichtsdestoweniger fühlte ich Schauer auf Schauer in mir dahingleiten. Die Hand, in der sie die meine hielt, schien mir regungslos glatt und kalt wie Marmor, dafür pulsirten meine eignen Fingerspitzen; ich zitterte vor dem Augenblick, wo sie den Schleier heben würde. So saß sie stumm vor mir, ohne daß ich ihren Atem hörte oder aus der mindesten Bewegung ihrer Schleierfatten und ihrer Busenbedeckuug hätte schließen können, daß ein lebendiges Herz unter ihnen schlage. Dazu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/492>, abgerufen am 23.07.2024.