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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen

ward es dunkler und dunkler und immer dunkler, die schwache Beleuchtung
schien gänzlich verlöschen zu wollen; der grünliche Schein ward immer
grüner.

Endlich sagte sie, und ihre Stimme klang wie eine Tvtenglocke: Sie
haben mich noch nicht gesehen; es ist Zeit, daß Sie mich sehen. Und ohne
daß sie sich bewegte, wie von unsichtbaren Händen gezogen, fiel der Schleier
zu beiden Seiten zurück -- mich schüttelte es -- ein bleicher weißer Schimmer --
jetzt gilts, sagte ich zu mir, indem ich entschlösse!? die Zähne zusammenbiß;
seis, was es wolle, ich mache mein Glück! Und mit festem Blicke schaute ich
-- plötzlich ward es tageshell -- in das schönste, blühendste Mädchengesicht,
dessen Züge von der lieblichsten Freude strahlten.

Alle Götter möge" dich segnen, rief sie aus, mein liebster Freund, für
deinen Mut! Alle, die bis jetzt um mich warben, alle sahen in dieser Dämmerung
das Gespenst ihrer eignen Feigheit, das sie zum Wahnsinn erschreckte. Ich
bin nun dein mit allem, was ich besitze, selig, das Eigentum eines Mannes
zu sein. Doch schwöre mir, eh ich dein Weib werde, daß du nie an einem
Montage mich besuchen willst oder forschen, was ich an diesem Tage treibe.
Brichst dn den Schwur, so ist dein Glück und das meine für ewig dahin.

Ich schwur, und sie nah"? mich in die Arme, indem sie mich liebevoll
küßte; dabei fiel ihr langes, gelbes Haar nur uns beide und deckte die Um¬
fangenen bis ans die Füße, wie eine goldstvsfene Decke. Sie klatschte in die
Hände, da traten zwanzig schöne Jungfrauen herein, alle mit blondem Haar
und von hohem, schlankem Wuchse, ihnen folgten zwanzig zierliche Pagen und
ebensoviel Ritter in schimmernden Schuppeuharuischeu.

Wisse, sagte sie zu mir, daß ich Hildeswind bin, die Tochter Herrn
Dietrichs von Berne; und zu jenen gewandt sprach die Prinzessin: Hier sehet
ihn, der nun mein und euer Herr geworden ist.

Ich war erstannt; die Prinzessin sagte lächelnd, indem sie mich an das
nächste hohe Spitzfenster des gotischen Saales führte: All diese Burgen, die
du diese Waldberge krönen siehst, gehören dir; bis wo der blane Himmels-
bogen sich müde ans die fernen Gebirge stützt, dehnt sich das Reich Dietrichs
von Berne, dessen König du nun bist. Tausende von Menschen, Sklaven des
Tyrannen Gold, sehen von diesen Herrlichkeiten nichts; ihnen ist diese Gegend
flach, wie sie selbst sind. Darauf sehen sie eine bunte Masse von Häusern,
in denen man mit Kaffee handeln kaun und mit Büchern und Papieren; das
nennen sie Leipzig und bilden sich viel darauf ein.

Ich muß sagen, daß mich diese Rede fast verdroß. Ich bin ein geborener
Leipziger und habe, wie alle meine Mitbürger, und mit Recht, eine große
Verehrung für meine Vaterstadt. Wer aber kann über solche Worte zürnen,
wenn sie von den schönsten, frischesten Lippen kommen, von Lippen, die it>n
so liebevoll geküßt, von Lippen, die nur erst gesprochen: Ich und all mein


Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen

ward es dunkler und dunkler und immer dunkler, die schwache Beleuchtung
schien gänzlich verlöschen zu wollen; der grünliche Schein ward immer
grüner.

Endlich sagte sie, und ihre Stimme klang wie eine Tvtenglocke: Sie
haben mich noch nicht gesehen; es ist Zeit, daß Sie mich sehen. Und ohne
daß sie sich bewegte, wie von unsichtbaren Händen gezogen, fiel der Schleier
zu beiden Seiten zurück — mich schüttelte es — ein bleicher weißer Schimmer —
jetzt gilts, sagte ich zu mir, indem ich entschlösse!? die Zähne zusammenbiß;
seis, was es wolle, ich mache mein Glück! Und mit festem Blicke schaute ich
— plötzlich ward es tageshell — in das schönste, blühendste Mädchengesicht,
dessen Züge von der lieblichsten Freude strahlten.

Alle Götter möge» dich segnen, rief sie aus, mein liebster Freund, für
deinen Mut! Alle, die bis jetzt um mich warben, alle sahen in dieser Dämmerung
das Gespenst ihrer eignen Feigheit, das sie zum Wahnsinn erschreckte. Ich
bin nun dein mit allem, was ich besitze, selig, das Eigentum eines Mannes
zu sein. Doch schwöre mir, eh ich dein Weib werde, daß du nie an einem
Montage mich besuchen willst oder forschen, was ich an diesem Tage treibe.
Brichst dn den Schwur, so ist dein Glück und das meine für ewig dahin.

Ich schwur, und sie nah»? mich in die Arme, indem sie mich liebevoll
küßte; dabei fiel ihr langes, gelbes Haar nur uns beide und deckte die Um¬
fangenen bis ans die Füße, wie eine goldstvsfene Decke. Sie klatschte in die
Hände, da traten zwanzig schöne Jungfrauen herein, alle mit blondem Haar
und von hohem, schlankem Wuchse, ihnen folgten zwanzig zierliche Pagen und
ebensoviel Ritter in schimmernden Schuppeuharuischeu.

Wisse, sagte sie zu mir, daß ich Hildeswind bin, die Tochter Herrn
Dietrichs von Berne; und zu jenen gewandt sprach die Prinzessin: Hier sehet
ihn, der nun mein und euer Herr geworden ist.

Ich war erstannt; die Prinzessin sagte lächelnd, indem sie mich an das
nächste hohe Spitzfenster des gotischen Saales führte: All diese Burgen, die
du diese Waldberge krönen siehst, gehören dir; bis wo der blane Himmels-
bogen sich müde ans die fernen Gebirge stützt, dehnt sich das Reich Dietrichs
von Berne, dessen König du nun bist. Tausende von Menschen, Sklaven des
Tyrannen Gold, sehen von diesen Herrlichkeiten nichts; ihnen ist diese Gegend
flach, wie sie selbst sind. Darauf sehen sie eine bunte Masse von Häusern,
in denen man mit Kaffee handeln kaun und mit Büchern und Papieren; das
nennen sie Leipzig und bilden sich viel darauf ein.

Ich muß sagen, daß mich diese Rede fast verdroß. Ich bin ein geborener
Leipziger und habe, wie alle meine Mitbürger, und mit Recht, eine große
Verehrung für meine Vaterstadt. Wer aber kann über solche Worte zürnen,
wenn sie von den schönsten, frischesten Lippen kommen, von Lippen, die it>n
so liebevoll geküßt, von Lippen, die nur erst gesprochen: Ich und all mein


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[0493] Die wahrhaftige Geschichte von den drei wünschen ward es dunkler und dunkler und immer dunkler, die schwache Beleuchtung schien gänzlich verlöschen zu wollen; der grünliche Schein ward immer grüner. Endlich sagte sie, und ihre Stimme klang wie eine Tvtenglocke: Sie haben mich noch nicht gesehen; es ist Zeit, daß Sie mich sehen. Und ohne daß sie sich bewegte, wie von unsichtbaren Händen gezogen, fiel der Schleier zu beiden Seiten zurück — mich schüttelte es — ein bleicher weißer Schimmer — jetzt gilts, sagte ich zu mir, indem ich entschlösse!? die Zähne zusammenbiß; seis, was es wolle, ich mache mein Glück! Und mit festem Blicke schaute ich — plötzlich ward es tageshell — in das schönste, blühendste Mädchengesicht, dessen Züge von der lieblichsten Freude strahlten. Alle Götter möge» dich segnen, rief sie aus, mein liebster Freund, für deinen Mut! Alle, die bis jetzt um mich warben, alle sahen in dieser Dämmerung das Gespenst ihrer eignen Feigheit, das sie zum Wahnsinn erschreckte. Ich bin nun dein mit allem, was ich besitze, selig, das Eigentum eines Mannes zu sein. Doch schwöre mir, eh ich dein Weib werde, daß du nie an einem Montage mich besuchen willst oder forschen, was ich an diesem Tage treibe. Brichst dn den Schwur, so ist dein Glück und das meine für ewig dahin. Ich schwur, und sie nah»? mich in die Arme, indem sie mich liebevoll küßte; dabei fiel ihr langes, gelbes Haar nur uns beide und deckte die Um¬ fangenen bis ans die Füße, wie eine goldstvsfene Decke. Sie klatschte in die Hände, da traten zwanzig schöne Jungfrauen herein, alle mit blondem Haar und von hohem, schlankem Wuchse, ihnen folgten zwanzig zierliche Pagen und ebensoviel Ritter in schimmernden Schuppeuharuischeu. Wisse, sagte sie zu mir, daß ich Hildeswind bin, die Tochter Herrn Dietrichs von Berne; und zu jenen gewandt sprach die Prinzessin: Hier sehet ihn, der nun mein und euer Herr geworden ist. Ich war erstannt; die Prinzessin sagte lächelnd, indem sie mich an das nächste hohe Spitzfenster des gotischen Saales führte: All diese Burgen, die du diese Waldberge krönen siehst, gehören dir; bis wo der blane Himmels- bogen sich müde ans die fernen Gebirge stützt, dehnt sich das Reich Dietrichs von Berne, dessen König du nun bist. Tausende von Menschen, Sklaven des Tyrannen Gold, sehen von diesen Herrlichkeiten nichts; ihnen ist diese Gegend flach, wie sie selbst sind. Darauf sehen sie eine bunte Masse von Häusern, in denen man mit Kaffee handeln kaun und mit Büchern und Papieren; das nennen sie Leipzig und bilden sich viel darauf ein. Ich muß sagen, daß mich diese Rede fast verdroß. Ich bin ein geborener Leipziger und habe, wie alle meine Mitbürger, und mit Recht, eine große Verehrung für meine Vaterstadt. Wer aber kann über solche Worte zürnen, wenn sie von den schönsten, frischesten Lippen kommen, von Lippen, die it>n so liebevoll geküßt, von Lippen, die nur erst gesprochen: Ich und all mein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/493>, abgerufen am 23.07.2024.