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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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hatte ihn getrieben, das Schneiderlied dem Festeskönig in die Hand zu spielen.
Herr Sterzing mußte glauben, ich sei von jeuer Dame gesandt. Dies war die
Ursache dieses entsetzlichen Schneiderzornes, und ich sollte sein Opfer werden.

Madame Heiderinann, das ärgste fürchtend von dem Zorne des tyrannischen
Gatten, der noch immer sprach- und bewegungslos, eine furchtbare Gewitter¬
wolke, an dein Horizonte stand, dessen Sonne er eben noch gewesen, rief
schluchzend: Teuerster Heiderinann, holder Gatte, zürne nicht deinem unschuldigen
Weibe, das bis in den Tod dich liebt; an dem Irrtum ist der Junge schuld,
der das Gedicht zu deinem Preise bestimmt holen sollte und dieses Unglücks¬
papier gebracht hat.

Mehr brauchte es nicht, um Herrn Heidermcmns ganze Wut auf mich
Unschuldigsten zu lenken. Wie ein Tiger stürzte er auf mich los. Erdfloh
ich nicht, so war es meine letzte Stunde. Ich hörte ihn noch, indem ich über
die Gasse lief, wie er vor Wut brüllend Spiegel, Gläser und selbst die Fenster
mittels einer großen Schere deinvlirte, die ihm unglücklicherweise gerade zur
Hand gelegen hatte.

Ich war lange gelaufen, als ich meinen Schritt anhielt und zu überlegen
begann, was nun zu thun sei. Zu Herrn Heiderinann zurückzukehren, dazu
hätte mich keine Macht der Welt zwingen können. Wie ich zufällig aufsah,
merkte ich, daß ich wieder vor dem Hause stand, dessen Besitz mein größter
Wunsch war. Ich habe Gelegenheit genug gehabt, zu bemerken, daß auch das
zarteste Schneidergemüt immer Courage hat; einen Beleg dazu finden Sie,
meine Herren, in diesem. Teil meiner Geschichte. Jeder andre, jeder Nicht-
schneider würde an meiner Stelle der Verzweiflung nahe gewesen sein; ich hielt
mein Haupt leck empor, schaute mich um und fragte das Schicksal: Welches
von diese" Häusern hast du für mich banen lassen?

Über dem Besinnen, was ich thun sollte, fiel mir ein Gerücht ein, das
Magister Kciuderer bei Herrn Heiderinann erzählt hatte. Im Hotel de Vaviere
sollte seit einiger Zeit eine Dame von ungeheuer" Reichtümern logiren, von
der es hieß, sie sei nach Leipzig gekommen, sich einen Manu damit zu kaufe".
Manche, Jung und Alt, waren von der Hoffnung angelockt, den Reichtum der
Dame zu heiraten, zu ihr gekommen und hatten sich ihr z"in Gemahl ange¬
boten. So lange die Dame den Schleier vorbehalten, hatte es gut gethan;
sowie sie aber den Schleier gelüftet hatte, waren sie, vom entsetzlichsten Grauen
gepackt, davongelaufen und totkmnk oder wahnsinnig geworden; denn statt des
schönen, blühenden Antlitzes, auf das man von ihrer Gestalt und ihren schönen
Händen schloß, hatte sich ein grinsender Totenkopf gezeigt. Schneider haben
immer Courage. Ich war wegen des Geburtstagsfestes im vollen Putz -- ein
junger Mensch muß alles versuchen. Ich blies über meinen dienen Frack hin
und -- ich brauche es Ihnen nicht erst zu sagen, daß ich den Weg nach der
Petersstraße einschlug.


hatte ihn getrieben, das Schneiderlied dem Festeskönig in die Hand zu spielen.
Herr Sterzing mußte glauben, ich sei von jeuer Dame gesandt. Dies war die
Ursache dieses entsetzlichen Schneiderzornes, und ich sollte sein Opfer werden.

Madame Heiderinann, das ärgste fürchtend von dem Zorne des tyrannischen
Gatten, der noch immer sprach- und bewegungslos, eine furchtbare Gewitter¬
wolke, an dein Horizonte stand, dessen Sonne er eben noch gewesen, rief
schluchzend: Teuerster Heiderinann, holder Gatte, zürne nicht deinem unschuldigen
Weibe, das bis in den Tod dich liebt; an dem Irrtum ist der Junge schuld,
der das Gedicht zu deinem Preise bestimmt holen sollte und dieses Unglücks¬
papier gebracht hat.

Mehr brauchte es nicht, um Herrn Heidermcmns ganze Wut auf mich
Unschuldigsten zu lenken. Wie ein Tiger stürzte er auf mich los. Erdfloh
ich nicht, so war es meine letzte Stunde. Ich hörte ihn noch, indem ich über
die Gasse lief, wie er vor Wut brüllend Spiegel, Gläser und selbst die Fenster
mittels einer großen Schere deinvlirte, die ihm unglücklicherweise gerade zur
Hand gelegen hatte.

Ich war lange gelaufen, als ich meinen Schritt anhielt und zu überlegen
begann, was nun zu thun sei. Zu Herrn Heiderinann zurückzukehren, dazu
hätte mich keine Macht der Welt zwingen können. Wie ich zufällig aufsah,
merkte ich, daß ich wieder vor dem Hause stand, dessen Besitz mein größter
Wunsch war. Ich habe Gelegenheit genug gehabt, zu bemerken, daß auch das
zarteste Schneidergemüt immer Courage hat; einen Beleg dazu finden Sie,
meine Herren, in diesem. Teil meiner Geschichte. Jeder andre, jeder Nicht-
schneider würde an meiner Stelle der Verzweiflung nahe gewesen sein; ich hielt
mein Haupt leck empor, schaute mich um und fragte das Schicksal: Welches
von diese« Häusern hast du für mich banen lassen?

Über dem Besinnen, was ich thun sollte, fiel mir ein Gerücht ein, das
Magister Kciuderer bei Herrn Heiderinann erzählt hatte. Im Hotel de Vaviere
sollte seit einiger Zeit eine Dame von ungeheuer» Reichtümern logiren, von
der es hieß, sie sei nach Leipzig gekommen, sich einen Manu damit zu kaufe».
Manche, Jung und Alt, waren von der Hoffnung angelockt, den Reichtum der
Dame zu heiraten, zu ihr gekommen und hatten sich ihr z»in Gemahl ange¬
boten. So lange die Dame den Schleier vorbehalten, hatte es gut gethan;
sowie sie aber den Schleier gelüftet hatte, waren sie, vom entsetzlichsten Grauen
gepackt, davongelaufen und totkmnk oder wahnsinnig geworden; denn statt des
schönen, blühenden Antlitzes, auf das man von ihrer Gestalt und ihren schönen
Händen schloß, hatte sich ein grinsender Totenkopf gezeigt. Schneider haben
immer Courage. Ich war wegen des Geburtstagsfestes im vollen Putz — ein
junger Mensch muß alles versuchen. Ich blies über meinen dienen Frack hin
und — ich brauche es Ihnen nicht erst zu sagen, daß ich den Weg nach der
Petersstraße einschlug.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/491>, abgerufen am 23.07.2024.