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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Miiiischen

und er vermochte nicht, ihnen zu wehren. Da floh er in eine Einsiedelei, und
es währte hundert Jahre der Selbstbeschauung und Buße, bis seine Brust
wieder so ruhig atmete, daß er die Worte seines Fluches fortsprechen konnte.
Aber von seinem Feuer glimmten nun auch nur die Kohlen noch. Und er
sprach: Barmherzigkeit will ich üben um deiner Schönheit willen, wo ich das
Schwert des Rechtes gezückt in meinen Händen führe. Euch sei das Süßeste,
was Menschen und Götter kennen, die der Beschaulichkeit nicht leben, euch sei
die Lieblichkeit der Liebe ein Trost. Doch jede von euch soll dem, den sie
erkiest, eine Bedingung auflegen, die -- der Weise schien noch viel zu sprechen,
aber er murmelte, schon wieder in die Betrachtung seines Nabels sich ver¬
tiefend, so leise, daß der Bart die Worte verschlang, und das Ohr der Welt¬
geschichte vergeblich lauschte. --

Das war es, was auf den drei Blättern stand; mithin war ich am Ende
der Geschichte von der Erschaffung der Nymphe Urvasi, von den sechshundert
weißen Pferden, jedes mit einem schwarzen Ohr, und von dem Fluche des
heiligen Weisen Chyavana. --

Er fuhr fort in der Erzählung der Liebesgeschichte: Z" stille Liebe. Was
soll ich zu meinem Schmerze jedes Wort wiederholen, das wir wechselten,
während Herr Jammcrdegen in tiefer Beschaulichkeit den untersten der fünf
goldnen Knöpfe betrachtete; was soll ich die Schneide meiner Sehnsucht
schärfen durch die Aufzählung und Schilderung der Blicke, die bald Boten
wurden eines süßen Verständnisses! Dir genügt zu wissen, daß wir uns öfter
sahen, daß wir beide wußten, daß wir uns liebten, ohne daß ein Wort dies
Verhältnis je berührt hätte. Das Kind eines Buchhalters von Herrn Jammer¬
degen, ein wunderschöner Knabe, den Fides stets um sich hatte, war das
Mittelwesen, in dein nur uns körperlich berührten. Es starb. Ein Lied,
wenn man einen solchen kunstlosen Erguß Lied nennen mag, das ich zu jener
Zeit aufschrieb, mag die Sache erklären. Späterhin hab ich ihm den Namen
gegeben:

Zu stille Liebe
El" Dämmerlied
Zwei liebten sich und wolltens sich nicht saqen.
Sie küßten sich auf eines Kindes Munde,
Beschauten sich nur durch des Kindes Augen
Und sprachen sich nur durch den Mund des Kindes.
Da starb das Kind. Sinn konnten sie nicht sprechen,
Nicht sehen mehr und auch nicht mehr sich küssen.
Da haben sie sich ganz in sich gezogen,
Und immer fremder sind sie sich geworden,
Und haben immer heißer sich geliebet,
Nach Kuß und Blick gesehnt und süßer Rede
Und sind am End vor Sehnsucht gar gestorben.

Die wahrhaftige Geschichte von den drei Miiiischen

und er vermochte nicht, ihnen zu wehren. Da floh er in eine Einsiedelei, und
es währte hundert Jahre der Selbstbeschauung und Buße, bis seine Brust
wieder so ruhig atmete, daß er die Worte seines Fluches fortsprechen konnte.
Aber von seinem Feuer glimmten nun auch nur die Kohlen noch. Und er
sprach: Barmherzigkeit will ich üben um deiner Schönheit willen, wo ich das
Schwert des Rechtes gezückt in meinen Händen führe. Euch sei das Süßeste,
was Menschen und Götter kennen, die der Beschaulichkeit nicht leben, euch sei
die Lieblichkeit der Liebe ein Trost. Doch jede von euch soll dem, den sie
erkiest, eine Bedingung auflegen, die — der Weise schien noch viel zu sprechen,
aber er murmelte, schon wieder in die Betrachtung seines Nabels sich ver¬
tiefend, so leise, daß der Bart die Worte verschlang, und das Ohr der Welt¬
geschichte vergeblich lauschte. —

Das war es, was auf den drei Blättern stand; mithin war ich am Ende
der Geschichte von der Erschaffung der Nymphe Urvasi, von den sechshundert
weißen Pferden, jedes mit einem schwarzen Ohr, und von dem Fluche des
heiligen Weisen Chyavana. —

Er fuhr fort in der Erzählung der Liebesgeschichte: Z» stille Liebe. Was
soll ich zu meinem Schmerze jedes Wort wiederholen, das wir wechselten,
während Herr Jammcrdegen in tiefer Beschaulichkeit den untersten der fünf
goldnen Knöpfe betrachtete; was soll ich die Schneide meiner Sehnsucht
schärfen durch die Aufzählung und Schilderung der Blicke, die bald Boten
wurden eines süßen Verständnisses! Dir genügt zu wissen, daß wir uns öfter
sahen, daß wir beide wußten, daß wir uns liebten, ohne daß ein Wort dies
Verhältnis je berührt hätte. Das Kind eines Buchhalters von Herrn Jammer¬
degen, ein wunderschöner Knabe, den Fides stets um sich hatte, war das
Mittelwesen, in dein nur uns körperlich berührten. Es starb. Ein Lied,
wenn man einen solchen kunstlosen Erguß Lied nennen mag, das ich zu jener
Zeit aufschrieb, mag die Sache erklären. Späterhin hab ich ihm den Namen
gegeben:

Zu stille Liebe
El» Dämmerlied
Zwei liebten sich und wolltens sich nicht saqen.
Sie küßten sich auf eines Kindes Munde,
Beschauten sich nur durch des Kindes Augen
Und sprachen sich nur durch den Mund des Kindes.
Da starb das Kind. Sinn konnten sie nicht sprechen,
Nicht sehen mehr und auch nicht mehr sich küssen.
Da haben sie sich ganz in sich gezogen,
Und immer fremder sind sie sich geworden,
Und haben immer heißer sich geliebet,
Nach Kuß und Blick gesehnt und süßer Rede
Und sind am End vor Sehnsucht gar gestorben.

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[0430] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Miiiischen und er vermochte nicht, ihnen zu wehren. Da floh er in eine Einsiedelei, und es währte hundert Jahre der Selbstbeschauung und Buße, bis seine Brust wieder so ruhig atmete, daß er die Worte seines Fluches fortsprechen konnte. Aber von seinem Feuer glimmten nun auch nur die Kohlen noch. Und er sprach: Barmherzigkeit will ich üben um deiner Schönheit willen, wo ich das Schwert des Rechtes gezückt in meinen Händen führe. Euch sei das Süßeste, was Menschen und Götter kennen, die der Beschaulichkeit nicht leben, euch sei die Lieblichkeit der Liebe ein Trost. Doch jede von euch soll dem, den sie erkiest, eine Bedingung auflegen, die — der Weise schien noch viel zu sprechen, aber er murmelte, schon wieder in die Betrachtung seines Nabels sich ver¬ tiefend, so leise, daß der Bart die Worte verschlang, und das Ohr der Welt¬ geschichte vergeblich lauschte. — Das war es, was auf den drei Blättern stand; mithin war ich am Ende der Geschichte von der Erschaffung der Nymphe Urvasi, von den sechshundert weißen Pferden, jedes mit einem schwarzen Ohr, und von dem Fluche des heiligen Weisen Chyavana. — Er fuhr fort in der Erzählung der Liebesgeschichte: Z» stille Liebe. Was soll ich zu meinem Schmerze jedes Wort wiederholen, das wir wechselten, während Herr Jammcrdegen in tiefer Beschaulichkeit den untersten der fünf goldnen Knöpfe betrachtete; was soll ich die Schneide meiner Sehnsucht schärfen durch die Aufzählung und Schilderung der Blicke, die bald Boten wurden eines süßen Verständnisses! Dir genügt zu wissen, daß wir uns öfter sahen, daß wir beide wußten, daß wir uns liebten, ohne daß ein Wort dies Verhältnis je berührt hätte. Das Kind eines Buchhalters von Herrn Jammer¬ degen, ein wunderschöner Knabe, den Fides stets um sich hatte, war das Mittelwesen, in dein nur uns körperlich berührten. Es starb. Ein Lied, wenn man einen solchen kunstlosen Erguß Lied nennen mag, das ich zu jener Zeit aufschrieb, mag die Sache erklären. Späterhin hab ich ihm den Namen gegeben: Zu stille Liebe El» Dämmerlied Zwei liebten sich und wolltens sich nicht saqen. Sie küßten sich auf eines Kindes Munde, Beschauten sich nur durch des Kindes Augen Und sprachen sich nur durch den Mund des Kindes. Da starb das Kind. Sinn konnten sie nicht sprechen, Nicht sehen mehr und auch nicht mehr sich küssen. Da haben sie sich ganz in sich gezogen, Und immer fremder sind sie sich geworden, Und haben immer heißer sich geliebet, Nach Kuß und Blick gesehnt und süßer Rede Und sind am End vor Sehnsucht gar gestorben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/430>, abgerufen am 23.07.2024.