Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

So standen die Sachen, als eines Tages auf dem Augustnsplatze ein
Freund mir begegnete, der mit wichtigem Blick mich fragte, ob ich eine
Neuigkeit wissen wollte. Weißt du denn, daß Jammerdegens Fides heiratet?

Soll ich das Chaos von Schrecken, Schmerz, Wahnsinn noch einmal
fühlen, indem ich dir erzähle, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward?
Der Freund schien meinen Zustand nicht zu bemerken und fuhr fort: Alle Welt
wundert sich, daß das schöne, reiche Mädchen solch einen verlebten, kranken
Häßlichen heiraten will. Aber die Krankheit und die Häßlichkeit des Patrons
ist es eben, was sie ihm gewonnen hat. Weil sie so ganz anders ist wie die
andern, ist sie allen ein Rätsel. Können sie doch schon nicht begreifen, wie sie,
die nicht etwa eine Kopfhäugerin oder ein überzartes Leipziger Wesen, sondern
ein lebenskräftiges und gesundes Mädchen ist, nicht an Bällen und dergleichen
Vergnügen findet und sich nur wohl befindet, wo sie helfen kann, unter Arme"
und Kranke" -- von denen auch du einer bist. Dazu kommt noch, daß der
unermeßlich reiche Bräutigam ihr eine sehr bedeutende Summe jährlich zur
Disposition zu stellen versprochen hat, wenn sie ihn heirate, mit deren Hilfe
sie ihren Trieb zum Wohlthun leichter befriedigen kann.

Der Freund verließ mich. Ein Frost schüttelte mich, ich fühlte den Tod
in allen meinen Gliedern. Ich wußte, daß, was der Freund mir erzählt hatte,
nur ein lügenhaftes Gerücht sei" konnte; dennoch wurde mir immer fieberischer.
So ging ich denn in die Walderichsche Restauration, die, wie du weißt, i"
der Dresdner Straße, der Post gegenüber, liegt, um Zerstreuung und Er¬
wärmung in einem Glase Punsch zu suchen, eine Hoffnung, die k"rz vor mir
drei junge Männer hereingeführt hatte, die, wie dn bald hören wirst, an dem¬
selben Übel litten wie ich.

Ich kanns nicht begreifen, sagte Herr Walderich, wie man solche Dumm¬
heiten nachreden kann, die irgend ein loser Vogel ersonnen hat, einem Albernen
etwas aufzubinden. Zweierlei kann mich zum unbändigsten Zorn reizen, nämlich
wenn einer mir zeigt, daß er mich für schlecht, oder daß er mich für dumm hält.

Ich sage Ihnen, entgegnete einer von den Gästen, die ganze Stadt ist
voll von den drei Dingen. Erstlich einmal soll sich am letzten Freitag im
Februar auf dem Schneckenberg ein herrliches Schloß haben sehen lassen.

Ein langer Seufzer unierbrach den Sprechenden. Er kam von einem
Tische, an dem drei junge Männer saßen.

Zum zweiten, fuhr jener fort, logirt im Hotel de Bavisre gegenwärtig
eine Dame von unendlichen Reichtümern, die anstatt eines Kopfes, wie es bei
lebendige" Menschen üblich ist, einen Totenkopf auf dem Halse trägt.

Wieder erscholl von jenem Tische her ein Seufzer.

Die dritte Merkwürdigkeit endlich ist, daß aller acht Tage im Hürtelschen
Palais bei Nacht eine wundersam fremdartige Musik sich hören läßt, ohne
daß ein lebendiger Mensch drinnen sich aufhält.


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

So standen die Sachen, als eines Tages auf dem Augustnsplatze ein
Freund mir begegnete, der mit wichtigem Blick mich fragte, ob ich eine
Neuigkeit wissen wollte. Weißt du denn, daß Jammerdegens Fides heiratet?

Soll ich das Chaos von Schrecken, Schmerz, Wahnsinn noch einmal
fühlen, indem ich dir erzähle, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward?
Der Freund schien meinen Zustand nicht zu bemerken und fuhr fort: Alle Welt
wundert sich, daß das schöne, reiche Mädchen solch einen verlebten, kranken
Häßlichen heiraten will. Aber die Krankheit und die Häßlichkeit des Patrons
ist es eben, was sie ihm gewonnen hat. Weil sie so ganz anders ist wie die
andern, ist sie allen ein Rätsel. Können sie doch schon nicht begreifen, wie sie,
die nicht etwa eine Kopfhäugerin oder ein überzartes Leipziger Wesen, sondern
ein lebenskräftiges und gesundes Mädchen ist, nicht an Bällen und dergleichen
Vergnügen findet und sich nur wohl befindet, wo sie helfen kann, unter Arme»
und Kranke» — von denen auch du einer bist. Dazu kommt noch, daß der
unermeßlich reiche Bräutigam ihr eine sehr bedeutende Summe jährlich zur
Disposition zu stellen versprochen hat, wenn sie ihn heirate, mit deren Hilfe
sie ihren Trieb zum Wohlthun leichter befriedigen kann.

Der Freund verließ mich. Ein Frost schüttelte mich, ich fühlte den Tod
in allen meinen Gliedern. Ich wußte, daß, was der Freund mir erzählt hatte,
nur ein lügenhaftes Gerücht sei» konnte; dennoch wurde mir immer fieberischer.
So ging ich denn in die Walderichsche Restauration, die, wie du weißt, i»
der Dresdner Straße, der Post gegenüber, liegt, um Zerstreuung und Er¬
wärmung in einem Glase Punsch zu suchen, eine Hoffnung, die k»rz vor mir
drei junge Männer hereingeführt hatte, die, wie dn bald hören wirst, an dem¬
selben Übel litten wie ich.

Ich kanns nicht begreifen, sagte Herr Walderich, wie man solche Dumm¬
heiten nachreden kann, die irgend ein loser Vogel ersonnen hat, einem Albernen
etwas aufzubinden. Zweierlei kann mich zum unbändigsten Zorn reizen, nämlich
wenn einer mir zeigt, daß er mich für schlecht, oder daß er mich für dumm hält.

Ich sage Ihnen, entgegnete einer von den Gästen, die ganze Stadt ist
voll von den drei Dingen. Erstlich einmal soll sich am letzten Freitag im
Februar auf dem Schneckenberg ein herrliches Schloß haben sehen lassen.

Ein langer Seufzer unierbrach den Sprechenden. Er kam von einem
Tische, an dem drei junge Männer saßen.

Zum zweiten, fuhr jener fort, logirt im Hotel de Bavisre gegenwärtig
eine Dame von unendlichen Reichtümern, die anstatt eines Kopfes, wie es bei
lebendige» Menschen üblich ist, einen Totenkopf auf dem Halse trägt.

Wieder erscholl von jenem Tische her ein Seufzer.

Die dritte Merkwürdigkeit endlich ist, daß aller acht Tage im Hürtelschen
Palais bei Nacht eine wundersam fremdartige Musik sich hören läßt, ohne
daß ein lebendiger Mensch drinnen sich aufhält.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209010"/>
          <fw type="header" place="top"> Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1242"> So standen die Sachen, als eines Tages auf dem Augustnsplatze ein<lb/>
Freund mir begegnete, der mit wichtigem Blick mich fragte, ob ich eine<lb/>
Neuigkeit wissen wollte. Weißt du denn, daß Jammerdegens Fides heiratet?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1243"> Soll ich das Chaos von Schrecken, Schmerz, Wahnsinn noch einmal<lb/>
fühlen, indem ich dir erzähle, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward?<lb/>
Der Freund schien meinen Zustand nicht zu bemerken und fuhr fort: Alle Welt<lb/>
wundert sich, daß das schöne, reiche Mädchen solch einen verlebten, kranken<lb/>
Häßlichen heiraten will. Aber die Krankheit und die Häßlichkeit des Patrons<lb/>
ist es eben, was sie ihm gewonnen hat. Weil sie so ganz anders ist wie die<lb/>
andern, ist sie allen ein Rätsel. Können sie doch schon nicht begreifen, wie sie,<lb/>
die nicht etwa eine Kopfhäugerin oder ein überzartes Leipziger Wesen, sondern<lb/>
ein lebenskräftiges und gesundes Mädchen ist, nicht an Bällen und dergleichen<lb/>
Vergnügen findet und sich nur wohl befindet, wo sie helfen kann, unter Arme»<lb/>
und Kranke» &#x2014; von denen auch du einer bist. Dazu kommt noch, daß der<lb/>
unermeßlich reiche Bräutigam ihr eine sehr bedeutende Summe jährlich zur<lb/>
Disposition zu stellen versprochen hat, wenn sie ihn heirate, mit deren Hilfe<lb/>
sie ihren Trieb zum Wohlthun leichter befriedigen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1244"> Der Freund verließ mich. Ein Frost schüttelte mich, ich fühlte den Tod<lb/>
in allen meinen Gliedern. Ich wußte, daß, was der Freund mir erzählt hatte,<lb/>
nur ein lügenhaftes Gerücht sei» konnte; dennoch wurde mir immer fieberischer.<lb/>
So ging ich denn in die Walderichsche Restauration, die, wie du weißt, i»<lb/>
der Dresdner Straße, der Post gegenüber, liegt, um Zerstreuung und Er¬<lb/>
wärmung in einem Glase Punsch zu suchen, eine Hoffnung, die k»rz vor mir<lb/>
drei junge Männer hereingeführt hatte, die, wie dn bald hören wirst, an dem¬<lb/>
selben Übel litten wie ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1245"> Ich kanns nicht begreifen, sagte Herr Walderich, wie man solche Dumm¬<lb/>
heiten nachreden kann, die irgend ein loser Vogel ersonnen hat, einem Albernen<lb/>
etwas aufzubinden. Zweierlei kann mich zum unbändigsten Zorn reizen, nämlich<lb/>
wenn einer mir zeigt, daß er mich für schlecht, oder daß er mich für dumm hält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246"> Ich sage Ihnen, entgegnete einer von den Gästen, die ganze Stadt ist<lb/>
voll von den drei Dingen. Erstlich einmal soll sich am letzten Freitag im<lb/>
Februar auf dem Schneckenberg ein herrliches Schloß haben sehen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247"> Ein langer Seufzer unierbrach den Sprechenden. Er kam von einem<lb/>
Tische, an dem drei junge Männer saßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1248"> Zum zweiten, fuhr jener fort, logirt im Hotel de Bavisre gegenwärtig<lb/>
eine Dame von unendlichen Reichtümern, die anstatt eines Kopfes, wie es bei<lb/>
lebendige» Menschen üblich ist, einen Totenkopf auf dem Halse trägt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1249"> Wieder erscholl von jenem Tische her ein Seufzer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1250"> Die dritte Merkwürdigkeit endlich ist, daß aller acht Tage im Hürtelschen<lb/>
Palais bei Nacht eine wundersam fremdartige Musik sich hören läßt, ohne<lb/>
daß ein lebendiger Mensch drinnen sich aufhält.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen So standen die Sachen, als eines Tages auf dem Augustnsplatze ein Freund mir begegnete, der mit wichtigem Blick mich fragte, ob ich eine Neuigkeit wissen wollte. Weißt du denn, daß Jammerdegens Fides heiratet? Soll ich das Chaos von Schrecken, Schmerz, Wahnsinn noch einmal fühlen, indem ich dir erzähle, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward? Der Freund schien meinen Zustand nicht zu bemerken und fuhr fort: Alle Welt wundert sich, daß das schöne, reiche Mädchen solch einen verlebten, kranken Häßlichen heiraten will. Aber die Krankheit und die Häßlichkeit des Patrons ist es eben, was sie ihm gewonnen hat. Weil sie so ganz anders ist wie die andern, ist sie allen ein Rätsel. Können sie doch schon nicht begreifen, wie sie, die nicht etwa eine Kopfhäugerin oder ein überzartes Leipziger Wesen, sondern ein lebenskräftiges und gesundes Mädchen ist, nicht an Bällen und dergleichen Vergnügen findet und sich nur wohl befindet, wo sie helfen kann, unter Arme» und Kranke» — von denen auch du einer bist. Dazu kommt noch, daß der unermeßlich reiche Bräutigam ihr eine sehr bedeutende Summe jährlich zur Disposition zu stellen versprochen hat, wenn sie ihn heirate, mit deren Hilfe sie ihren Trieb zum Wohlthun leichter befriedigen kann. Der Freund verließ mich. Ein Frost schüttelte mich, ich fühlte den Tod in allen meinen Gliedern. Ich wußte, daß, was der Freund mir erzählt hatte, nur ein lügenhaftes Gerücht sei» konnte; dennoch wurde mir immer fieberischer. So ging ich denn in die Walderichsche Restauration, die, wie du weißt, i» der Dresdner Straße, der Post gegenüber, liegt, um Zerstreuung und Er¬ wärmung in einem Glase Punsch zu suchen, eine Hoffnung, die k»rz vor mir drei junge Männer hereingeführt hatte, die, wie dn bald hören wirst, an dem¬ selben Übel litten wie ich. Ich kanns nicht begreifen, sagte Herr Walderich, wie man solche Dumm¬ heiten nachreden kann, die irgend ein loser Vogel ersonnen hat, einem Albernen etwas aufzubinden. Zweierlei kann mich zum unbändigsten Zorn reizen, nämlich wenn einer mir zeigt, daß er mich für schlecht, oder daß er mich für dumm hält. Ich sage Ihnen, entgegnete einer von den Gästen, die ganze Stadt ist voll von den drei Dingen. Erstlich einmal soll sich am letzten Freitag im Februar auf dem Schneckenberg ein herrliches Schloß haben sehen lassen. Ein langer Seufzer unierbrach den Sprechenden. Er kam von einem Tische, an dem drei junge Männer saßen. Zum zweiten, fuhr jener fort, logirt im Hotel de Bavisre gegenwärtig eine Dame von unendlichen Reichtümern, die anstatt eines Kopfes, wie es bei lebendige» Menschen üblich ist, einen Totenkopf auf dem Halse trägt. Wieder erscholl von jenem Tische her ein Seufzer. Die dritte Merkwürdigkeit endlich ist, daß aller acht Tage im Hürtelschen Palais bei Nacht eine wundersam fremdartige Musik sich hören läßt, ohne daß ein lebendiger Mensch drinnen sich aufhält.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/431>, abgerufen am 25.08.2024.