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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

diese so sunst schlummerte, blieben sie ruhig neben ihr liegen, dcimit sie sie nicht
weckten. Da sagte die älteste zu den beiden andern: Sehet doch, Geliebte,
welch seltsamer Hügel unter den dichten, schattenreichen Ästen des breiten
Jambu dort!

Es sind Zellen der weißen Ameise, sagte die zweite, und aus den Zelle"
ist Kusagras gewachsen und buntfarbiges Moos.

Was aber, sagte die erste wieder, mag den Glanz verursache", der aus
dem Hügel durch die beiden Öffnungen dringt, die rede" einander stehen wie
zwei Schwestersterne?

Gewiß, sagte die dritte, sind es zwei edle Steine; wollt ihr, so graben
wir so aus.

Da die jüngste eben erwachte, so begaben sie sich zu dem Hügel der
weißen Ameisen; jede der drei ältesten brach einen Kusahalm ab und fuhr
damit in eine der beiden Öffnungen. Kaum aber hatten sie die Halme ein¬
gesenkt, als Blut aus den Öffnungen drang. Da erschraken die Mädchen, daß
ihre Haut erstarrte und ihre Antilopenherzen zitterten.

Es war aber Chyavanci, der Sohn Brigas, des Sohnes Vrama, der ge¬
waltigste aller Weisen, der über himmlischen Dingen brütend, seinen Nabel
also tiefsinnend beschaute, daß ihn die weißen Ameisen mit ihre" Nestern über¬
baut hatten. Aus einige" der verwitterten Nester war Gras und Moos ge¬
wachsen. Urvasi, die eben daher kam, als ihre ältesten Töchter dem Weise"
mit Kusahalmcn in die Augen stachen, fürchtete die Rache des Gewaltigen und
bat Indra, er "kochte die drei in die entfernteste Weltgegend entrücken. Indra
gewährte ihr die Bitte "ut entrückte sie samt dem Haine von Gandhamadcma
in den fernsten Westen der Welt. Aber der weise Chyavana erhob sich und
schüttelte im Zorn seine Glieder, daß die Ameisen von seinen: Leibe weithin
in die Lüfte stoben. Seitdem findet man die Ameisen in aller Welt. Und
Chyavana fluchte den Mädchen und dem Lande, das sie aufnahm, und sprach:
So soll Flachheit Land und Volk strafen, wohin ihr flohe vor meinen: Zorn.
Einander nahe, seid ewig getrennt. Nur daun endet die Kraft "reines Fluches,
wenn ^ hier siel der erzürnte Weise i" eine fremde Sprache. Folgendes
sind die Worte, die er sprach, und die bis jetzt kein Brahmane enträtselt hat.
(Hier stehen, merkt der Übersetzer an, in Sanskritlettern folgende deutsche
Worte: Wenn, wo ihr lebt, ein reicher Buchhändler einst einen: unberühmter
Autor den Verlag eines seiner Werke und zugleich seine einzige Tochter selbst
zum Weibe anbietet.) Urvasi, so fährt das Manuskript fort, Urvasi, die das
Schreckliche vernommen hatte und Schrecklicheres noch befürchtete, siel ihn: zu
Füßen und richtete die unwiderstehlichen Blicke ihrer Lotosaugen bittend auf
ihn. Als die Nymphe so in dem ganzen verführerischen Glänze ihrer Reize
vor ihn: lag, begann sei" Mund zu stammeln, seine Augen gruben sich ein in
ihre Schönheit wie zwei liisterne Bienen ins Schattiginnerste der Mangvblume,


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

diese so sunst schlummerte, blieben sie ruhig neben ihr liegen, dcimit sie sie nicht
weckten. Da sagte die älteste zu den beiden andern: Sehet doch, Geliebte,
welch seltsamer Hügel unter den dichten, schattenreichen Ästen des breiten
Jambu dort!

Es sind Zellen der weißen Ameise, sagte die zweite, und aus den Zelle»
ist Kusagras gewachsen und buntfarbiges Moos.

Was aber, sagte die erste wieder, mag den Glanz verursache», der aus
dem Hügel durch die beiden Öffnungen dringt, die rede» einander stehen wie
zwei Schwestersterne?

Gewiß, sagte die dritte, sind es zwei edle Steine; wollt ihr, so graben
wir so aus.

Da die jüngste eben erwachte, so begaben sie sich zu dem Hügel der
weißen Ameisen; jede der drei ältesten brach einen Kusahalm ab und fuhr
damit in eine der beiden Öffnungen. Kaum aber hatten sie die Halme ein¬
gesenkt, als Blut aus den Öffnungen drang. Da erschraken die Mädchen, daß
ihre Haut erstarrte und ihre Antilopenherzen zitterten.

Es war aber Chyavanci, der Sohn Brigas, des Sohnes Vrama, der ge¬
waltigste aller Weisen, der über himmlischen Dingen brütend, seinen Nabel
also tiefsinnend beschaute, daß ihn die weißen Ameisen mit ihre» Nestern über¬
baut hatten. Aus einige» der verwitterten Nester war Gras und Moos ge¬
wachsen. Urvasi, die eben daher kam, als ihre ältesten Töchter dem Weise»
mit Kusahalmcn in die Augen stachen, fürchtete die Rache des Gewaltigen und
bat Indra, er »kochte die drei in die entfernteste Weltgegend entrücken. Indra
gewährte ihr die Bitte »ut entrückte sie samt dem Haine von Gandhamadcma
in den fernsten Westen der Welt. Aber der weise Chyavana erhob sich und
schüttelte im Zorn seine Glieder, daß die Ameisen von seinen: Leibe weithin
in die Lüfte stoben. Seitdem findet man die Ameisen in aller Welt. Und
Chyavana fluchte den Mädchen und dem Lande, das sie aufnahm, und sprach:
So soll Flachheit Land und Volk strafen, wohin ihr flohe vor meinen: Zorn.
Einander nahe, seid ewig getrennt. Nur daun endet die Kraft »reines Fluches,
wenn ^ hier siel der erzürnte Weise i» eine fremde Sprache. Folgendes
sind die Worte, die er sprach, und die bis jetzt kein Brahmane enträtselt hat.
(Hier stehen, merkt der Übersetzer an, in Sanskritlettern folgende deutsche
Worte: Wenn, wo ihr lebt, ein reicher Buchhändler einst einen: unberühmter
Autor den Verlag eines seiner Werke und zugleich seine einzige Tochter selbst
zum Weibe anbietet.) Urvasi, so fährt das Manuskript fort, Urvasi, die das
Schreckliche vernommen hatte und Schrecklicheres noch befürchtete, siel ihn: zu
Füßen und richtete die unwiderstehlichen Blicke ihrer Lotosaugen bittend auf
ihn. Als die Nymphe so in dem ganzen verführerischen Glänze ihrer Reize
vor ihn: lag, begann sei» Mund zu stammeln, seine Augen gruben sich ein in
ihre Schönheit wie zwei liisterne Bienen ins Schattiginnerste der Mangvblume,


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[0429] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen diese so sunst schlummerte, blieben sie ruhig neben ihr liegen, dcimit sie sie nicht weckten. Da sagte die älteste zu den beiden andern: Sehet doch, Geliebte, welch seltsamer Hügel unter den dichten, schattenreichen Ästen des breiten Jambu dort! Es sind Zellen der weißen Ameise, sagte die zweite, und aus den Zelle» ist Kusagras gewachsen und buntfarbiges Moos. Was aber, sagte die erste wieder, mag den Glanz verursache», der aus dem Hügel durch die beiden Öffnungen dringt, die rede» einander stehen wie zwei Schwestersterne? Gewiß, sagte die dritte, sind es zwei edle Steine; wollt ihr, so graben wir so aus. Da die jüngste eben erwachte, so begaben sie sich zu dem Hügel der weißen Ameisen; jede der drei ältesten brach einen Kusahalm ab und fuhr damit in eine der beiden Öffnungen. Kaum aber hatten sie die Halme ein¬ gesenkt, als Blut aus den Öffnungen drang. Da erschraken die Mädchen, daß ihre Haut erstarrte und ihre Antilopenherzen zitterten. Es war aber Chyavanci, der Sohn Brigas, des Sohnes Vrama, der ge¬ waltigste aller Weisen, der über himmlischen Dingen brütend, seinen Nabel also tiefsinnend beschaute, daß ihn die weißen Ameisen mit ihre» Nestern über¬ baut hatten. Aus einige» der verwitterten Nester war Gras und Moos ge¬ wachsen. Urvasi, die eben daher kam, als ihre ältesten Töchter dem Weise» mit Kusahalmcn in die Augen stachen, fürchtete die Rache des Gewaltigen und bat Indra, er »kochte die drei in die entfernteste Weltgegend entrücken. Indra gewährte ihr die Bitte »ut entrückte sie samt dem Haine von Gandhamadcma in den fernsten Westen der Welt. Aber der weise Chyavana erhob sich und schüttelte im Zorn seine Glieder, daß die Ameisen von seinen: Leibe weithin in die Lüfte stoben. Seitdem findet man die Ameisen in aller Welt. Und Chyavana fluchte den Mädchen und dem Lande, das sie aufnahm, und sprach: So soll Flachheit Land und Volk strafen, wohin ihr flohe vor meinen: Zorn. Einander nahe, seid ewig getrennt. Nur daun endet die Kraft »reines Fluches, wenn ^ hier siel der erzürnte Weise i» eine fremde Sprache. Folgendes sind die Worte, die er sprach, und die bis jetzt kein Brahmane enträtselt hat. (Hier stehen, merkt der Übersetzer an, in Sanskritlettern folgende deutsche Worte: Wenn, wo ihr lebt, ein reicher Buchhändler einst einen: unberühmter Autor den Verlag eines seiner Werke und zugleich seine einzige Tochter selbst zum Weibe anbietet.) Urvasi, so fährt das Manuskript fort, Urvasi, die das Schreckliche vernommen hatte und Schrecklicheres noch befürchtete, siel ihn: zu Füßen und richtete die unwiderstehlichen Blicke ihrer Lotosaugen bittend auf ihn. Als die Nymphe so in dem ganzen verführerischen Glänze ihrer Reize vor ihn: lag, begann sei» Mund zu stammeln, seine Augen gruben sich ein in ihre Schönheit wie zwei liisterne Bienen ins Schattiginnerste der Mangvblume,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/429>, abgerufen am 23.07.2024.