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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Iesuitenpetitionen

Oder wo genährt der Ultramontanismus Rechtsgleichheit, wenn er im¬
stande ist, sie zu verweigern? Es ist noch nicht lange her, da kämpften sie in
Tirol für die Glaubenseinheit, kerkerten in Spanien die Protestanten ein,
wollten ihnen in Österreich das Begräbnis in geweihter Erde versagen; ihren
Anspruch auf katholische Kindererziehung in gemischten Ehen haben sie nirgends
aufgegeben und würden die Glaubensfreiheit überall versagen, wenn sie könnten,
wie sie der Papst im Kirchenstaat versagte, so lange dort sein Regiment be¬
stand. Daß wir uns mit dieser jesuitischen Rechtsgleichheit noch heute bethören
lasse" sollen, ist in der That eine naive Forderung. Gingen wir darauf ein,
der Abgeordnete Gneist würde wieder mit Recht sagen können, wie am
14. Juni 1872 im Reichstag, daß wir Deutschen doch in religiösen Dingen ein
eigentümliches Volk wären, "Selbstquüler in religiösen und juristischen Bedenken,
auch gegenüber denen, die, wenn sie die Macht in Deutschland hätten, gegen
uns Nieder Rücksicht noch Gewissen haben würden." Ganz gewiß, es ist besser,
wir lassen die deutsche Eigentümlichkeit mit all ihren juristischen Bedenken fahren
und nehmen das Jesuitengcsetz als das, was es ist, ein Ausscheiden solcher
Elemente ans unserm Volkskörper, die nie etwas andres haben sein wollen,
als Unterthanen Roms.

Ebenso wie mit der Forderung im Namen der Rechtsgleichheit ist es auch
mit der "im Namen der Freiheit." "Wahrhaft ruchlos" nannte es in jener
Debatte am 14. Juni Gneist, "wenn die Jesuiten, die alle Freiheit andrer
totschlagen, sich auf die Freiheit berufen, um in deren Namen zu herrschen."
Wer wissen will, wie die Jesuiten die Freiheit verstehen, der lese die Geschichte
des Sonderbundkrieges und der ihm vorausgehenden Jesuitennmtriebe in der
Schweiz etwa vom Jahre 1839 um. Alle Forderungen der Ultrademokratie
wurden da vou ihnen unterstützt, weil sich diese dem religiösen Fanatismus leicht
an die Seite stellen ließ. "Durch die Verleitung des Volkes zum Ultrademvkratismus
-- sagt Velani in seinem Schriftchen über die Geschichte des JesuitentreibeuS
in der Schweiz, S. 41 -- wurde deu Massen durch Vorspiegelung einer un¬
beschränkten Volkssouveränität geschmeichelt und der Untergang der gebildeten
Repräsentativverfasfnngen bewirkt. Unter der Herrschaft roher, ungebildeter
Bolksmänner, die das Volk unter Einflößungen der Jesuiten an die Spitze der
Regierungen wählte, war es leicht, alle geistige Bildung im Volksschulwesen
wieder auszulöschen und römischen Obskurantismus zu fördern. Das Ergebnis
dieses ränkevollen Strebens der Jesuiten war Zurücksinken in geistige und
politische Barbarei, weshalb dieses Shstem sehr bezeichnend der "schwarze
Jakobinismus" genannt wurde." Wohin diese theokratisch-demokratische Freiheit
der Jesuiten führte, zeigte sich bei dem Pulses von Oberwallis, durch deu im
Mai 1844 die liberale Negierung gestürzt und der Kanton Wallis dem katho¬
lischen Bunde einverleibt wurde. Selbst der Hausgottesdienst der wenigen
Reformirten wurde unterdrückt, und der Bischof, ein Zögling des Jesuiten-


Die Iesuitenpetitionen

Oder wo genährt der Ultramontanismus Rechtsgleichheit, wenn er im¬
stande ist, sie zu verweigern? Es ist noch nicht lange her, da kämpften sie in
Tirol für die Glaubenseinheit, kerkerten in Spanien die Protestanten ein,
wollten ihnen in Österreich das Begräbnis in geweihter Erde versagen; ihren
Anspruch auf katholische Kindererziehung in gemischten Ehen haben sie nirgends
aufgegeben und würden die Glaubensfreiheit überall versagen, wenn sie könnten,
wie sie der Papst im Kirchenstaat versagte, so lange dort sein Regiment be¬
stand. Daß wir uns mit dieser jesuitischen Rechtsgleichheit noch heute bethören
lasse» sollen, ist in der That eine naive Forderung. Gingen wir darauf ein,
der Abgeordnete Gneist würde wieder mit Recht sagen können, wie am
14. Juni 1872 im Reichstag, daß wir Deutschen doch in religiösen Dingen ein
eigentümliches Volk wären, „Selbstquüler in religiösen und juristischen Bedenken,
auch gegenüber denen, die, wenn sie die Macht in Deutschland hätten, gegen
uns Nieder Rücksicht noch Gewissen haben würden." Ganz gewiß, es ist besser,
wir lassen die deutsche Eigentümlichkeit mit all ihren juristischen Bedenken fahren
und nehmen das Jesuitengcsetz als das, was es ist, ein Ausscheiden solcher
Elemente ans unserm Volkskörper, die nie etwas andres haben sein wollen,
als Unterthanen Roms.

Ebenso wie mit der Forderung im Namen der Rechtsgleichheit ist es auch
mit der „im Namen der Freiheit." „Wahrhaft ruchlos" nannte es in jener
Debatte am 14. Juni Gneist, „wenn die Jesuiten, die alle Freiheit andrer
totschlagen, sich auf die Freiheit berufen, um in deren Namen zu herrschen."
Wer wissen will, wie die Jesuiten die Freiheit verstehen, der lese die Geschichte
des Sonderbundkrieges und der ihm vorausgehenden Jesuitennmtriebe in der
Schweiz etwa vom Jahre 1839 um. Alle Forderungen der Ultrademokratie
wurden da vou ihnen unterstützt, weil sich diese dem religiösen Fanatismus leicht
an die Seite stellen ließ. „Durch die Verleitung des Volkes zum Ultrademvkratismus
— sagt Velani in seinem Schriftchen über die Geschichte des JesuitentreibeuS
in der Schweiz, S. 41 — wurde deu Massen durch Vorspiegelung einer un¬
beschränkten Volkssouveränität geschmeichelt und der Untergang der gebildeten
Repräsentativverfasfnngen bewirkt. Unter der Herrschaft roher, ungebildeter
Bolksmänner, die das Volk unter Einflößungen der Jesuiten an die Spitze der
Regierungen wählte, war es leicht, alle geistige Bildung im Volksschulwesen
wieder auszulöschen und römischen Obskurantismus zu fördern. Das Ergebnis
dieses ränkevollen Strebens der Jesuiten war Zurücksinken in geistige und
politische Barbarei, weshalb dieses Shstem sehr bezeichnend der »schwarze
Jakobinismus« genannt wurde." Wohin diese theokratisch-demokratische Freiheit
der Jesuiten führte, zeigte sich bei dem Pulses von Oberwallis, durch deu im
Mai 1844 die liberale Negierung gestürzt und der Kanton Wallis dem katho¬
lischen Bunde einverleibt wurde. Selbst der Hausgottesdienst der wenigen
Reformirten wurde unterdrückt, und der Bischof, ein Zögling des Jesuiten-


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[0411] Die Iesuitenpetitionen Oder wo genährt der Ultramontanismus Rechtsgleichheit, wenn er im¬ stande ist, sie zu verweigern? Es ist noch nicht lange her, da kämpften sie in Tirol für die Glaubenseinheit, kerkerten in Spanien die Protestanten ein, wollten ihnen in Österreich das Begräbnis in geweihter Erde versagen; ihren Anspruch auf katholische Kindererziehung in gemischten Ehen haben sie nirgends aufgegeben und würden die Glaubensfreiheit überall versagen, wenn sie könnten, wie sie der Papst im Kirchenstaat versagte, so lange dort sein Regiment be¬ stand. Daß wir uns mit dieser jesuitischen Rechtsgleichheit noch heute bethören lasse» sollen, ist in der That eine naive Forderung. Gingen wir darauf ein, der Abgeordnete Gneist würde wieder mit Recht sagen können, wie am 14. Juni 1872 im Reichstag, daß wir Deutschen doch in religiösen Dingen ein eigentümliches Volk wären, „Selbstquüler in religiösen und juristischen Bedenken, auch gegenüber denen, die, wenn sie die Macht in Deutschland hätten, gegen uns Nieder Rücksicht noch Gewissen haben würden." Ganz gewiß, es ist besser, wir lassen die deutsche Eigentümlichkeit mit all ihren juristischen Bedenken fahren und nehmen das Jesuitengcsetz als das, was es ist, ein Ausscheiden solcher Elemente ans unserm Volkskörper, die nie etwas andres haben sein wollen, als Unterthanen Roms. Ebenso wie mit der Forderung im Namen der Rechtsgleichheit ist es auch mit der „im Namen der Freiheit." „Wahrhaft ruchlos" nannte es in jener Debatte am 14. Juni Gneist, „wenn die Jesuiten, die alle Freiheit andrer totschlagen, sich auf die Freiheit berufen, um in deren Namen zu herrschen." Wer wissen will, wie die Jesuiten die Freiheit verstehen, der lese die Geschichte des Sonderbundkrieges und der ihm vorausgehenden Jesuitennmtriebe in der Schweiz etwa vom Jahre 1839 um. Alle Forderungen der Ultrademokratie wurden da vou ihnen unterstützt, weil sich diese dem religiösen Fanatismus leicht an die Seite stellen ließ. „Durch die Verleitung des Volkes zum Ultrademvkratismus — sagt Velani in seinem Schriftchen über die Geschichte des JesuitentreibeuS in der Schweiz, S. 41 — wurde deu Massen durch Vorspiegelung einer un¬ beschränkten Volkssouveränität geschmeichelt und der Untergang der gebildeten Repräsentativverfasfnngen bewirkt. Unter der Herrschaft roher, ungebildeter Bolksmänner, die das Volk unter Einflößungen der Jesuiten an die Spitze der Regierungen wählte, war es leicht, alle geistige Bildung im Volksschulwesen wieder auszulöschen und römischen Obskurantismus zu fördern. Das Ergebnis dieses ränkevollen Strebens der Jesuiten war Zurücksinken in geistige und politische Barbarei, weshalb dieses Shstem sehr bezeichnend der »schwarze Jakobinismus« genannt wurde." Wohin diese theokratisch-demokratische Freiheit der Jesuiten führte, zeigte sich bei dem Pulses von Oberwallis, durch deu im Mai 1844 die liberale Negierung gestürzt und der Kanton Wallis dem katho¬ lischen Bunde einverleibt wurde. Selbst der Hausgottesdienst der wenigen Reformirten wurde unterdrückt, und der Bischof, ein Zögling des Jesuiten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/411>, abgerufen am 23.07.2024.