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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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erwähnt haben, wird wohl genug sein, nicht nur um die Entstehung des Je¬
suitengesetzes im Jahre 1872, sondern auch sein weiteres Fortbestehen zu
rechtfertigen.

Denn ist etwa der Wunsch des Papstes, daß sich das Steinchen loslösen
und dem deutschen Reiche den Fuß zerschmettern möge, nicht auch der der
Jesuiten? Und besteht er jetzt etwa nicht mehr? Müssen solche Äußerungen
für unsre Regierungen wie für uns alle nicht unvergessen bleiben als deut¬
liche Fingerzeige dafür, daß es sich in allen jesuitischen Bestrebungen nicht
handelt um die Religion, sondern um einen einheitlich geleiteten Kampf gegen
den Protestantismus, das deutsche Reich und Preußen? Ist etwa die Ansicht
der jesuitisch-päpstlichen Livillg. o-Molics. vom Oktober 1871, "das neue Reich
scheine bestimmt zu sein, wie ein leuchtender Meteor zu verschwinden," nicht
much heute noch wenigstens der Wunsch der jesuitischen Kreise? Man komme
uns doch nicht mit den Versicherungen, daß wir nur mit Hilfe der Jesuiten
über die sozialdemokratische Bewegung Herr werden würden; "wer vom Papste
ißt, der stirbt daran," sagt ein altes Wort, und sicher ist, daß die Schlinge
nicht lieblicher wird, wenn sie von den Jesuiten geworfen wird. Wir würden
nur, kämen die Jesuiten heute ins Land, zur roten Internationale die
schwarze haben.

Aber die Rechtsgleichheit und "das gleiche Recht für alle," von dem die
Jesuitenblätter versichern: "Wer es nicht ertragen kann, ist entweder feig oder
schlecht"? Nur schade, daß diese Rechtsgleichheit in unserm Staate, wie in
so manchem andern, z. B. in der freien Schweiz, früher auch nicht vorhanden
war. denn in Preußen sind die Jesuiten erst seit der Mitte der fünfziger Jahre
zugelassen; ja schade, daß v. Radowitz einst trotz der Grundrechte in der Pauls¬
kirche im Namen seiner katholischen Freunde, zu denen auch Reichensperger
gehörte, die Erklärung abgab, sie wünschten die Einführung des Jesuitenordens
in Deutschland nicht. Da muß es doch mit der Feigheit und Schlechtigkeit
derer nicht gar so schlimm sein, die sich gegen diese Einführung sträuben. Viel¬
mehr steht es mit dieser Forderung der Rechtsgleichheit ungefähr so, wie es stand
mit der Forderung Reicheuspergers in der Neichstagssitzung vom 1. April 1871
wegen Aufnahme der Grundrechte in die neue Reichsverfassung, also volle
Freiheit des religiösen Bekenntnisses, volle Selbstverwaltung der Kirchen ze.
Was damals Treitschke sagte, daß das keine Grundrechte für die deutsche
Nation seien, sondern daß sie nur Vorrechte der römischem Kirche in Deutsch¬
land im Sinne der Ultramontanen werden sollten, ganz dasselbe paßt auf
die ultramontane Forderung der Rechtsgleichheit. Sie soll der von Jesuiten
geleiteten Kirche nur eine unabhängige Position gegenüber dem deutschen
Staate gewähren. Denn die Ultramontanen nehmen diese Rechtsgleichheit in
der Weise für sich in Anspruch, wie die Preßfreiheit; sie fordern sie für sich,
für alle Nichtpäpstlichen lassen sie sie durch den Papst im Syllabus verdammen.


erwähnt haben, wird wohl genug sein, nicht nur um die Entstehung des Je¬
suitengesetzes im Jahre 1872, sondern auch sein weiteres Fortbestehen zu
rechtfertigen.

Denn ist etwa der Wunsch des Papstes, daß sich das Steinchen loslösen
und dem deutschen Reiche den Fuß zerschmettern möge, nicht auch der der
Jesuiten? Und besteht er jetzt etwa nicht mehr? Müssen solche Äußerungen
für unsre Regierungen wie für uns alle nicht unvergessen bleiben als deut¬
liche Fingerzeige dafür, daß es sich in allen jesuitischen Bestrebungen nicht
handelt um die Religion, sondern um einen einheitlich geleiteten Kampf gegen
den Protestantismus, das deutsche Reich und Preußen? Ist etwa die Ansicht
der jesuitisch-päpstlichen Livillg. o-Molics. vom Oktober 1871, „das neue Reich
scheine bestimmt zu sein, wie ein leuchtender Meteor zu verschwinden," nicht
much heute noch wenigstens der Wunsch der jesuitischen Kreise? Man komme
uns doch nicht mit den Versicherungen, daß wir nur mit Hilfe der Jesuiten
über die sozialdemokratische Bewegung Herr werden würden; „wer vom Papste
ißt, der stirbt daran," sagt ein altes Wort, und sicher ist, daß die Schlinge
nicht lieblicher wird, wenn sie von den Jesuiten geworfen wird. Wir würden
nur, kämen die Jesuiten heute ins Land, zur roten Internationale die
schwarze haben.

Aber die Rechtsgleichheit und „das gleiche Recht für alle," von dem die
Jesuitenblätter versichern: „Wer es nicht ertragen kann, ist entweder feig oder
schlecht"? Nur schade, daß diese Rechtsgleichheit in unserm Staate, wie in
so manchem andern, z. B. in der freien Schweiz, früher auch nicht vorhanden
war. denn in Preußen sind die Jesuiten erst seit der Mitte der fünfziger Jahre
zugelassen; ja schade, daß v. Radowitz einst trotz der Grundrechte in der Pauls¬
kirche im Namen seiner katholischen Freunde, zu denen auch Reichensperger
gehörte, die Erklärung abgab, sie wünschten die Einführung des Jesuitenordens
in Deutschland nicht. Da muß es doch mit der Feigheit und Schlechtigkeit
derer nicht gar so schlimm sein, die sich gegen diese Einführung sträuben. Viel¬
mehr steht es mit dieser Forderung der Rechtsgleichheit ungefähr so, wie es stand
mit der Forderung Reicheuspergers in der Neichstagssitzung vom 1. April 1871
wegen Aufnahme der Grundrechte in die neue Reichsverfassung, also volle
Freiheit des religiösen Bekenntnisses, volle Selbstverwaltung der Kirchen ze.
Was damals Treitschke sagte, daß das keine Grundrechte für die deutsche
Nation seien, sondern daß sie nur Vorrechte der römischem Kirche in Deutsch¬
land im Sinne der Ultramontanen werden sollten, ganz dasselbe paßt auf
die ultramontane Forderung der Rechtsgleichheit. Sie soll der von Jesuiten
geleiteten Kirche nur eine unabhängige Position gegenüber dem deutschen
Staate gewähren. Denn die Ultramontanen nehmen diese Rechtsgleichheit in
der Weise für sich in Anspruch, wie die Preßfreiheit; sie fordern sie für sich,
für alle Nichtpäpstlichen lassen sie sie durch den Papst im Syllabus verdammen.


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[0410] erwähnt haben, wird wohl genug sein, nicht nur um die Entstehung des Je¬ suitengesetzes im Jahre 1872, sondern auch sein weiteres Fortbestehen zu rechtfertigen. Denn ist etwa der Wunsch des Papstes, daß sich das Steinchen loslösen und dem deutschen Reiche den Fuß zerschmettern möge, nicht auch der der Jesuiten? Und besteht er jetzt etwa nicht mehr? Müssen solche Äußerungen für unsre Regierungen wie für uns alle nicht unvergessen bleiben als deut¬ liche Fingerzeige dafür, daß es sich in allen jesuitischen Bestrebungen nicht handelt um die Religion, sondern um einen einheitlich geleiteten Kampf gegen den Protestantismus, das deutsche Reich und Preußen? Ist etwa die Ansicht der jesuitisch-päpstlichen Livillg. o-Molics. vom Oktober 1871, „das neue Reich scheine bestimmt zu sein, wie ein leuchtender Meteor zu verschwinden," nicht much heute noch wenigstens der Wunsch der jesuitischen Kreise? Man komme uns doch nicht mit den Versicherungen, daß wir nur mit Hilfe der Jesuiten über die sozialdemokratische Bewegung Herr werden würden; „wer vom Papste ißt, der stirbt daran," sagt ein altes Wort, und sicher ist, daß die Schlinge nicht lieblicher wird, wenn sie von den Jesuiten geworfen wird. Wir würden nur, kämen die Jesuiten heute ins Land, zur roten Internationale die schwarze haben. Aber die Rechtsgleichheit und „das gleiche Recht für alle," von dem die Jesuitenblätter versichern: „Wer es nicht ertragen kann, ist entweder feig oder schlecht"? Nur schade, daß diese Rechtsgleichheit in unserm Staate, wie in so manchem andern, z. B. in der freien Schweiz, früher auch nicht vorhanden war. denn in Preußen sind die Jesuiten erst seit der Mitte der fünfziger Jahre zugelassen; ja schade, daß v. Radowitz einst trotz der Grundrechte in der Pauls¬ kirche im Namen seiner katholischen Freunde, zu denen auch Reichensperger gehörte, die Erklärung abgab, sie wünschten die Einführung des Jesuitenordens in Deutschland nicht. Da muß es doch mit der Feigheit und Schlechtigkeit derer nicht gar so schlimm sein, die sich gegen diese Einführung sträuben. Viel¬ mehr steht es mit dieser Forderung der Rechtsgleichheit ungefähr so, wie es stand mit der Forderung Reicheuspergers in der Neichstagssitzung vom 1. April 1871 wegen Aufnahme der Grundrechte in die neue Reichsverfassung, also volle Freiheit des religiösen Bekenntnisses, volle Selbstverwaltung der Kirchen ze. Was damals Treitschke sagte, daß das keine Grundrechte für die deutsche Nation seien, sondern daß sie nur Vorrechte der römischem Kirche in Deutsch¬ land im Sinne der Ultramontanen werden sollten, ganz dasselbe paßt auf die ultramontane Forderung der Rechtsgleichheit. Sie soll der von Jesuiten geleiteten Kirche nur eine unabhängige Position gegenüber dem deutschen Staate gewähren. Denn die Ultramontanen nehmen diese Rechtsgleichheit in der Weise für sich in Anspruch, wie die Preßfreiheit; sie fordern sie für sich, für alle Nichtpäpstlichen lassen sie sie durch den Papst im Syllabus verdammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/410>, abgerufen am 23.07.2024.