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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

da, nur in den Purpur schamhafter Errötens gekleidet. Und Narayana mußte
lächeln zum erstenmale in seinem Leben, und Kama und Vascmta mußten lächeln,
und mit ihnen die Nymphen trotz ihres Schmerzes, denn solche Schönheit kann
kein Auge schauen, ohne zu lächeln. Von jeder Regung der schönen Glieder
zitterte die entzündete Luft und seufzte melodisch auf; was der Blick ihrer Augen
traf, loderte ans in farbigem Glanz. Wie sie nun in sich gebogen dahin schritt,
tönten die Seufzer zu süßen Harmonien zusammen, und lohte es vor ihr her,
wie wenn tausend ausgebreitete Pfauenschweife den abendglühenden Himmel
fächeln. Narayana nannte das Weib Urvasi, von Um (der Schenkel), weil
sie auf seinem Schenkel stehend von ihm erschaffen worden war, und übergab
sie Kama und Vascmta und den Nymphen, sie Indra zu überbringen. Dazu
gebot er ihnen: Saget Indra, an diesem Geschenke möge er sehen, daß Narayana
der Gesellschaft der Schönheit nicht bedarf. Indra aber schenkte sie später dem
Galava.

Damit endete das erste Blatt. Wie ich zu dem zweiten greifen wollte,
schien er sich wieder erholt zu haben. Er fuhr nun fort in der Geschichte:
Zu stille Liebe, wie folgt:

Das Schicksal hatte mich Glücklichen ausersehen, jenes süßeste Leben einer
Todesgefahr zu entreißen. Sein vornehmstes Werkzeug dabei war der wohl¬
berühmte Schneidermeister Heidermann. Dieses, zum Ideal des nobeln mit
Gewalt anstrebende Gemüt hatte die Äußerung einiger Mitgüste einer benach¬
barten Dorfschenke, daß Lords und Barone in London bei Nacht nie anders
ritten als mit einer Laterne an jedem Knie, zur Nachahmung solcher Sitte
begeistert, diese Sitte aber hinwiederum die hoffnungsvolle Jugend der Stadt
zu jubelnder Nachfolge. Das Roß, das sich nicht so leicht in die vornehme
Weise fand als sein Herr, scheute plötzlich und rannte wütend mit ihm daher,
der sich kaum noch im Sattel hielt. Das Geschrei und verunglückte Versuche,
es aufzufangen, machten es nur wütender. Noch einige Schritte war es hinter
mir, als ich vor mir in dem Fenster einer Sänfte das lieblichste Antlitz ge¬
wahre. Sie öffnet ängstlich die Thüre; der eine Träger strauchelt, da er,
hinter sich sehend, das nahende Ungetüm gewahrt. Die Sänfte will eben
umfallen; mit einem Sprunge stehe ich zwischen Sänfte und Pferd und fange
die Dame auf. Das wütende Pferd wirft mich mit dem Kopf gegen die Sänfte,
ich raffe mich auf und uur die Angst um das lieblichste Wesen erhält mir
eben so lange die Besinnung, bis ich die Ohnmächtige einem Fiaker übergeben
und ihn angewiesen habe, wohin er sie bringen soll. --

Sehen Sie doch, werteste Madame Müller, sagte der Magister Kauderer
-- und dieß waren die ersten Worte, die ich, aus der Ohnmacht erwachend,
vernahm --, sehen Sie doch, werteste Madame Müller, der Iuvenis macht
Anstalt, wieder zu sich zu kommen, und so empfehle ich mich Ihnen, um in
meinen Spielet zurückzukehren, ehe geschlossen wird.


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

da, nur in den Purpur schamhafter Errötens gekleidet. Und Narayana mußte
lächeln zum erstenmale in seinem Leben, und Kama und Vascmta mußten lächeln,
und mit ihnen die Nymphen trotz ihres Schmerzes, denn solche Schönheit kann
kein Auge schauen, ohne zu lächeln. Von jeder Regung der schönen Glieder
zitterte die entzündete Luft und seufzte melodisch auf; was der Blick ihrer Augen
traf, loderte ans in farbigem Glanz. Wie sie nun in sich gebogen dahin schritt,
tönten die Seufzer zu süßen Harmonien zusammen, und lohte es vor ihr her,
wie wenn tausend ausgebreitete Pfauenschweife den abendglühenden Himmel
fächeln. Narayana nannte das Weib Urvasi, von Um (der Schenkel), weil
sie auf seinem Schenkel stehend von ihm erschaffen worden war, und übergab
sie Kama und Vascmta und den Nymphen, sie Indra zu überbringen. Dazu
gebot er ihnen: Saget Indra, an diesem Geschenke möge er sehen, daß Narayana
der Gesellschaft der Schönheit nicht bedarf. Indra aber schenkte sie später dem
Galava.

Damit endete das erste Blatt. Wie ich zu dem zweiten greifen wollte,
schien er sich wieder erholt zu haben. Er fuhr nun fort in der Geschichte:
Zu stille Liebe, wie folgt:

Das Schicksal hatte mich Glücklichen ausersehen, jenes süßeste Leben einer
Todesgefahr zu entreißen. Sein vornehmstes Werkzeug dabei war der wohl¬
berühmte Schneidermeister Heidermann. Dieses, zum Ideal des nobeln mit
Gewalt anstrebende Gemüt hatte die Äußerung einiger Mitgüste einer benach¬
barten Dorfschenke, daß Lords und Barone in London bei Nacht nie anders
ritten als mit einer Laterne an jedem Knie, zur Nachahmung solcher Sitte
begeistert, diese Sitte aber hinwiederum die hoffnungsvolle Jugend der Stadt
zu jubelnder Nachfolge. Das Roß, das sich nicht so leicht in die vornehme
Weise fand als sein Herr, scheute plötzlich und rannte wütend mit ihm daher,
der sich kaum noch im Sattel hielt. Das Geschrei und verunglückte Versuche,
es aufzufangen, machten es nur wütender. Noch einige Schritte war es hinter
mir, als ich vor mir in dem Fenster einer Sänfte das lieblichste Antlitz ge¬
wahre. Sie öffnet ängstlich die Thüre; der eine Träger strauchelt, da er,
hinter sich sehend, das nahende Ungetüm gewahrt. Die Sänfte will eben
umfallen; mit einem Sprunge stehe ich zwischen Sänfte und Pferd und fange
die Dame auf. Das wütende Pferd wirft mich mit dem Kopf gegen die Sänfte,
ich raffe mich auf und uur die Angst um das lieblichste Wesen erhält mir
eben so lange die Besinnung, bis ich die Ohnmächtige einem Fiaker übergeben
und ihn angewiesen habe, wohin er sie bringen soll. —

Sehen Sie doch, werteste Madame Müller, sagte der Magister Kauderer
— und dieß waren die ersten Worte, die ich, aus der Ohnmacht erwachend,
vernahm —, sehen Sie doch, werteste Madame Müller, der Iuvenis macht
Anstalt, wieder zu sich zu kommen, und so empfehle ich mich Ihnen, um in
meinen Spielet zurückzukehren, ehe geschlossen wird.


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[0391] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen da, nur in den Purpur schamhafter Errötens gekleidet. Und Narayana mußte lächeln zum erstenmale in seinem Leben, und Kama und Vascmta mußten lächeln, und mit ihnen die Nymphen trotz ihres Schmerzes, denn solche Schönheit kann kein Auge schauen, ohne zu lächeln. Von jeder Regung der schönen Glieder zitterte die entzündete Luft und seufzte melodisch auf; was der Blick ihrer Augen traf, loderte ans in farbigem Glanz. Wie sie nun in sich gebogen dahin schritt, tönten die Seufzer zu süßen Harmonien zusammen, und lohte es vor ihr her, wie wenn tausend ausgebreitete Pfauenschweife den abendglühenden Himmel fächeln. Narayana nannte das Weib Urvasi, von Um (der Schenkel), weil sie auf seinem Schenkel stehend von ihm erschaffen worden war, und übergab sie Kama und Vascmta und den Nymphen, sie Indra zu überbringen. Dazu gebot er ihnen: Saget Indra, an diesem Geschenke möge er sehen, daß Narayana der Gesellschaft der Schönheit nicht bedarf. Indra aber schenkte sie später dem Galava. Damit endete das erste Blatt. Wie ich zu dem zweiten greifen wollte, schien er sich wieder erholt zu haben. Er fuhr nun fort in der Geschichte: Zu stille Liebe, wie folgt: Das Schicksal hatte mich Glücklichen ausersehen, jenes süßeste Leben einer Todesgefahr zu entreißen. Sein vornehmstes Werkzeug dabei war der wohl¬ berühmte Schneidermeister Heidermann. Dieses, zum Ideal des nobeln mit Gewalt anstrebende Gemüt hatte die Äußerung einiger Mitgüste einer benach¬ barten Dorfschenke, daß Lords und Barone in London bei Nacht nie anders ritten als mit einer Laterne an jedem Knie, zur Nachahmung solcher Sitte begeistert, diese Sitte aber hinwiederum die hoffnungsvolle Jugend der Stadt zu jubelnder Nachfolge. Das Roß, das sich nicht so leicht in die vornehme Weise fand als sein Herr, scheute plötzlich und rannte wütend mit ihm daher, der sich kaum noch im Sattel hielt. Das Geschrei und verunglückte Versuche, es aufzufangen, machten es nur wütender. Noch einige Schritte war es hinter mir, als ich vor mir in dem Fenster einer Sänfte das lieblichste Antlitz ge¬ wahre. Sie öffnet ängstlich die Thüre; der eine Träger strauchelt, da er, hinter sich sehend, das nahende Ungetüm gewahrt. Die Sänfte will eben umfallen; mit einem Sprunge stehe ich zwischen Sänfte und Pferd und fange die Dame auf. Das wütende Pferd wirft mich mit dem Kopf gegen die Sänfte, ich raffe mich auf und uur die Angst um das lieblichste Wesen erhält mir eben so lange die Besinnung, bis ich die Ohnmächtige einem Fiaker übergeben und ihn angewiesen habe, wohin er sie bringen soll. — Sehen Sie doch, werteste Madame Müller, sagte der Magister Kauderer — und dieß waren die ersten Worte, die ich, aus der Ohnmacht erwachend, vernahm —, sehen Sie doch, werteste Madame Müller, der Iuvenis macht Anstalt, wieder zu sich zu kommen, und so empfehle ich mich Ihnen, um in meinen Spielet zurückzukehren, ehe geschlossen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/391>, abgerufen am 25.08.2024.