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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Siebenbürgen

rung in allem, was sie thut, die übelsten Absichten unterschiebt, so hält er
auch fest ein dem Glauben, daß ihm alle Sachsen prinzipiell feindselig gesinnt
seien . . . Das gehört einmal zu seinem politischen Programm oder Glaubens¬
bekenntnis und kann nicht eliminirt werden. Nun habe ich mich aber eben
überzeugt, daß dieses angebliche feindselige Gefühl der Sachsen gegen die Un¬
garn gar nicht existirt. Wohl sind die Sachsen entschlossen, sich keiner Re¬
gierung, die ihren Sitz in Pest hat, unterzuordnen; allein fast ohne Ausnahme
sind sie doch alle von dem Wunsche beseelt, sich den Ungarn anzunähern, um
vereint mit ihnen das allgemeine Wohl fördern zu können u. s. w."

Diese Darstellung eines unparteiischen Beobachters könnte der Erzählung
"Ans dem Königsboten" als Einleitung vorangesetzt werden. In ihrem Mittel¬
punkt steht ein städtischer Beamter, der auch mit in Wien gewesen, auch ent¬
schlossen gewesen ist, sich keiner Pester Negierung unterzuordnen, endlich aber
zu der Überzeugung gekommen ist, es sei "Wahnsinn, sich nackt in das Schwert
des Gegners zu stürzen." Die Vorfahren Hütten sich so manchesmal geschickt
zwischen den streitenden Mächten durchgewunden, und nur so vermöge sich der
Schwache zu erhalten. Doch verdirbt er es mit seinem Verständigungsprv-
gramm auf beiden Seiten; den Deutschen ist er ein Abtrünniger, den Ma¬
gyaren -- ein Sachse. Verzweifelnd will er den Staub von den Füßen
schütteln, nach Deutschland auswandern: eine Krankheit, aus Nervenüberreizung
hervorgegangen, tritt dazwischen. Aus dem nachfolgenden dumpfen Hinbrüten
reißt ihn der Übermut und Hohn eines magyarischen Junkers empor. Als
der ihm zuruft, es gebe auf dem Boden nur uoch ein Volk und eine Sprache,
und mit einem Hoch auf Ungarn schließt, braust der Sachse auf: "Es lebe
Ungarn! aber der Boden hier, den man bis heute den Königsboten nannte,
diesen Boden verfluche ich, daß er euch wieder trage, was er trug, bevor eure
bedrängten Könige die deutschen Vettern zu ihrem Schutze und zur Aus-
besserung (!) ihres jämmerlich verarmten Säckels in dieses Land riefen: ödes
Schilfrohr und den Pesthauch der Sümpfe! Und die Horden der Petschenegen,
die einst drüben jenseits des Nilflusses staatsfeindlich in den Schluchten hausten,
mögen sie in Gottes Namen wiedererstehen, und ihr sie an unsrer Stelle in
die Schule eurer Kvmitatsregieruug nehmen und an ihnen die Kraft der
Vvlkeraufsaugung versuchen. Und wenn ihr unsern Ahnen, die einst hierher
einwanderten und die lehmige Scholle in weißes Brot verwandelten, so wenig
dank wißt, nun, beim Himmel! ich, der Enkel, danke es ihnen auch nicht!" Als
Ergänzung hierzu dient, daß, wie die beiden ein andermal handgemein werden,
der Meier, ein Walache, der anch ein Jahrzehnt lang in die Wahlagitationen
hineingezogen worden ist, seine Waldaxt bereit hält, um den Sieger, wer es
auch sei, niederzumachen, da die beiden Verfeindeten zusammen doch der Feind
seiner Nation seien. Indessen beruhigt er sich mit der Betrachtung: "Es ist
nicht nötig, mich selbst ins Zuchthaus zu bringen, sie brechen einander die


Geschichten aus Siebenbürgen

rung in allem, was sie thut, die übelsten Absichten unterschiebt, so hält er
auch fest ein dem Glauben, daß ihm alle Sachsen prinzipiell feindselig gesinnt
seien . . . Das gehört einmal zu seinem politischen Programm oder Glaubens¬
bekenntnis und kann nicht eliminirt werden. Nun habe ich mich aber eben
überzeugt, daß dieses angebliche feindselige Gefühl der Sachsen gegen die Un¬
garn gar nicht existirt. Wohl sind die Sachsen entschlossen, sich keiner Re¬
gierung, die ihren Sitz in Pest hat, unterzuordnen; allein fast ohne Ausnahme
sind sie doch alle von dem Wunsche beseelt, sich den Ungarn anzunähern, um
vereint mit ihnen das allgemeine Wohl fördern zu können u. s. w."

Diese Darstellung eines unparteiischen Beobachters könnte der Erzählung
„Ans dem Königsboten" als Einleitung vorangesetzt werden. In ihrem Mittel¬
punkt steht ein städtischer Beamter, der auch mit in Wien gewesen, auch ent¬
schlossen gewesen ist, sich keiner Pester Negierung unterzuordnen, endlich aber
zu der Überzeugung gekommen ist, es sei „Wahnsinn, sich nackt in das Schwert
des Gegners zu stürzen." Die Vorfahren Hütten sich so manchesmal geschickt
zwischen den streitenden Mächten durchgewunden, und nur so vermöge sich der
Schwache zu erhalten. Doch verdirbt er es mit seinem Verständigungsprv-
gramm auf beiden Seiten; den Deutschen ist er ein Abtrünniger, den Ma¬
gyaren — ein Sachse. Verzweifelnd will er den Staub von den Füßen
schütteln, nach Deutschland auswandern: eine Krankheit, aus Nervenüberreizung
hervorgegangen, tritt dazwischen. Aus dem nachfolgenden dumpfen Hinbrüten
reißt ihn der Übermut und Hohn eines magyarischen Junkers empor. Als
der ihm zuruft, es gebe auf dem Boden nur uoch ein Volk und eine Sprache,
und mit einem Hoch auf Ungarn schließt, braust der Sachse auf: „Es lebe
Ungarn! aber der Boden hier, den man bis heute den Königsboten nannte,
diesen Boden verfluche ich, daß er euch wieder trage, was er trug, bevor eure
bedrängten Könige die deutschen Vettern zu ihrem Schutze und zur Aus-
besserung (!) ihres jämmerlich verarmten Säckels in dieses Land riefen: ödes
Schilfrohr und den Pesthauch der Sümpfe! Und die Horden der Petschenegen,
die einst drüben jenseits des Nilflusses staatsfeindlich in den Schluchten hausten,
mögen sie in Gottes Namen wiedererstehen, und ihr sie an unsrer Stelle in
die Schule eurer Kvmitatsregieruug nehmen und an ihnen die Kraft der
Vvlkeraufsaugung versuchen. Und wenn ihr unsern Ahnen, die einst hierher
einwanderten und die lehmige Scholle in weißes Brot verwandelten, so wenig
dank wißt, nun, beim Himmel! ich, der Enkel, danke es ihnen auch nicht!" Als
Ergänzung hierzu dient, daß, wie die beiden ein andermal handgemein werden,
der Meier, ein Walache, der anch ein Jahrzehnt lang in die Wahlagitationen
hineingezogen worden ist, seine Waldaxt bereit hält, um den Sieger, wer es
auch sei, niederzumachen, da die beiden Verfeindeten zusammen doch der Feind
seiner Nation seien. Indessen beruhigt er sich mit der Betrachtung: „Es ist
nicht nötig, mich selbst ins Zuchthaus zu bringen, sie brechen einander die


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[0356] Geschichten aus Siebenbürgen rung in allem, was sie thut, die übelsten Absichten unterschiebt, so hält er auch fest ein dem Glauben, daß ihm alle Sachsen prinzipiell feindselig gesinnt seien . . . Das gehört einmal zu seinem politischen Programm oder Glaubens¬ bekenntnis und kann nicht eliminirt werden. Nun habe ich mich aber eben überzeugt, daß dieses angebliche feindselige Gefühl der Sachsen gegen die Un¬ garn gar nicht existirt. Wohl sind die Sachsen entschlossen, sich keiner Re¬ gierung, die ihren Sitz in Pest hat, unterzuordnen; allein fast ohne Ausnahme sind sie doch alle von dem Wunsche beseelt, sich den Ungarn anzunähern, um vereint mit ihnen das allgemeine Wohl fördern zu können u. s. w." Diese Darstellung eines unparteiischen Beobachters könnte der Erzählung „Ans dem Königsboten" als Einleitung vorangesetzt werden. In ihrem Mittel¬ punkt steht ein städtischer Beamter, der auch mit in Wien gewesen, auch ent¬ schlossen gewesen ist, sich keiner Pester Negierung unterzuordnen, endlich aber zu der Überzeugung gekommen ist, es sei „Wahnsinn, sich nackt in das Schwert des Gegners zu stürzen." Die Vorfahren Hütten sich so manchesmal geschickt zwischen den streitenden Mächten durchgewunden, und nur so vermöge sich der Schwache zu erhalten. Doch verdirbt er es mit seinem Verständigungsprv- gramm auf beiden Seiten; den Deutschen ist er ein Abtrünniger, den Ma¬ gyaren — ein Sachse. Verzweifelnd will er den Staub von den Füßen schütteln, nach Deutschland auswandern: eine Krankheit, aus Nervenüberreizung hervorgegangen, tritt dazwischen. Aus dem nachfolgenden dumpfen Hinbrüten reißt ihn der Übermut und Hohn eines magyarischen Junkers empor. Als der ihm zuruft, es gebe auf dem Boden nur uoch ein Volk und eine Sprache, und mit einem Hoch auf Ungarn schließt, braust der Sachse auf: „Es lebe Ungarn! aber der Boden hier, den man bis heute den Königsboten nannte, diesen Boden verfluche ich, daß er euch wieder trage, was er trug, bevor eure bedrängten Könige die deutschen Vettern zu ihrem Schutze und zur Aus- besserung (!) ihres jämmerlich verarmten Säckels in dieses Land riefen: ödes Schilfrohr und den Pesthauch der Sümpfe! Und die Horden der Petschenegen, die einst drüben jenseits des Nilflusses staatsfeindlich in den Schluchten hausten, mögen sie in Gottes Namen wiedererstehen, und ihr sie an unsrer Stelle in die Schule eurer Kvmitatsregieruug nehmen und an ihnen die Kraft der Vvlkeraufsaugung versuchen. Und wenn ihr unsern Ahnen, die einst hierher einwanderten und die lehmige Scholle in weißes Brot verwandelten, so wenig dank wißt, nun, beim Himmel! ich, der Enkel, danke es ihnen auch nicht!" Als Ergänzung hierzu dient, daß, wie die beiden ein andermal handgemein werden, der Meier, ein Walache, der anch ein Jahrzehnt lang in die Wahlagitationen hineingezogen worden ist, seine Waldaxt bereit hält, um den Sieger, wer es auch sei, niederzumachen, da die beiden Verfeindeten zusammen doch der Feind seiner Nation seien. Indessen beruhigt er sich mit der Betrachtung: „Es ist nicht nötig, mich selbst ins Zuchthaus zu bringen, sie brechen einander die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/356>, abgerufen am 23.07.2024.