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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Siebenbürgen

Hälse auch ohne mich." Doch geht die Sache nicht tragisch aus. Der sieben-
bürgische Junker kommt verstimmt von dem Pester Reichstage mit seinem
wüsten Parteitreiben zurück und beweist im Augenblicke der Not ein mensch¬
liches Herz und Hilfsbereitschaft. Der Sachse aber rettet sich aus schwerer
Prüfung den Mut, "die einst mit so vielen Opfern erkämpfte neue Heimat
immer wieder zu erobern durch die Waffen der Arbeit, der Rechtlichkeit, der
edeln Sitte und der wahren Freiheit, vor denen die politische Sophistik auch
unsrer Zeit schließlich doch zu Schanden werden muß."

Der Glaube ist also wieder lebendig geworden, daß die verschiedenen so
eng an und durch einander gedrängten Volksstämme verträglich leben können,
wie in der nicht fernen Zeit, aus der der Verfasser eine ohne Zweifel dem
Leben entnommene Anekdote berichtet. Ein Edelmann war gewohnt, in Augen¬
blicken der Geldverlegenheit bei dem benachbarten und befreundeten Pfarrer
anzuklopfen, und fand stets Gehör. Allein die Nückzahluugstermine verstrichen,
und die Zinsrückstände häuften sich an, während die Anlehen sich erneuerten.
Was utttzteu die Schuldscheine, da das Gesetz nicht gestattete, sich mit dem
Grundbesitz der Adlichen bezahlt zu machen? Nun luden sich beide Nach¬
barn öfter zu Gaste, und einmal bestand der Edelmann darauf, daß der
Pfarrer als Gast die Brust eines Haselhuhns allein verzehre. Im nächsten
Jahre legt der Pfarrer dem Edelmann das gleiche Stück vor und ent¬
schuldigt sich, so spät seine Schuld abzutragen. Der andre versteht den Wink,
schluckt den Ärger hinunter und meint nur: "Aber Geizhalse bleibt ihr Sachsen
doch immer," worauf der Pfarrer antwortet: "Und ihr sorgt dafür, daß wir
es noch immer mehr werden." Lachend stoßen sie an, der Edelmann tilgt
seine Schuld allmählich, und "die unbefangene Freundschaft beider Männer
war wiederhergestellt."

Die Erzählungslitteratur scheint sich, der Menge der Erscheinungen nach
zu urteilen, in Deutschland heutzutage eines guten Absatzes zu erfreuen. Möge
das auch diesem Buche zu gute kommen, aus dem mau, wie aus dein "Dorf-
notär" von Eötvös die Vergangenheit, so die Gegenwart besser und auf jeden
Fall müheloser kennen lernen kann, als ans manchen ernsthaften Abhand¬
lungen. Sprachliche Eigenheiten muß der Leser allerdings mit in Kauf
nehmen. Wenn nur neben der Mehrzahl "Ziegeln," dem "ich verbiete (statt
verbitte) mir" oder "an mich verlangst du Opfer" nicht auch Blüten des
Zeitungsdeutsch vorkämen, wie "diesbezüglich," "ein vornehmer Eindruck"
u. dergl. in.!




Geschichten aus Siebenbürgen

Hälse auch ohne mich." Doch geht die Sache nicht tragisch aus. Der sieben-
bürgische Junker kommt verstimmt von dem Pester Reichstage mit seinem
wüsten Parteitreiben zurück und beweist im Augenblicke der Not ein mensch¬
liches Herz und Hilfsbereitschaft. Der Sachse aber rettet sich aus schwerer
Prüfung den Mut, „die einst mit so vielen Opfern erkämpfte neue Heimat
immer wieder zu erobern durch die Waffen der Arbeit, der Rechtlichkeit, der
edeln Sitte und der wahren Freiheit, vor denen die politische Sophistik auch
unsrer Zeit schließlich doch zu Schanden werden muß."

Der Glaube ist also wieder lebendig geworden, daß die verschiedenen so
eng an und durch einander gedrängten Volksstämme verträglich leben können,
wie in der nicht fernen Zeit, aus der der Verfasser eine ohne Zweifel dem
Leben entnommene Anekdote berichtet. Ein Edelmann war gewohnt, in Augen¬
blicken der Geldverlegenheit bei dem benachbarten und befreundeten Pfarrer
anzuklopfen, und fand stets Gehör. Allein die Nückzahluugstermine verstrichen,
und die Zinsrückstände häuften sich an, während die Anlehen sich erneuerten.
Was utttzteu die Schuldscheine, da das Gesetz nicht gestattete, sich mit dem
Grundbesitz der Adlichen bezahlt zu machen? Nun luden sich beide Nach¬
barn öfter zu Gaste, und einmal bestand der Edelmann darauf, daß der
Pfarrer als Gast die Brust eines Haselhuhns allein verzehre. Im nächsten
Jahre legt der Pfarrer dem Edelmann das gleiche Stück vor und ent¬
schuldigt sich, so spät seine Schuld abzutragen. Der andre versteht den Wink,
schluckt den Ärger hinunter und meint nur: „Aber Geizhalse bleibt ihr Sachsen
doch immer," worauf der Pfarrer antwortet: „Und ihr sorgt dafür, daß wir
es noch immer mehr werden." Lachend stoßen sie an, der Edelmann tilgt
seine Schuld allmählich, und „die unbefangene Freundschaft beider Männer
war wiederhergestellt."

Die Erzählungslitteratur scheint sich, der Menge der Erscheinungen nach
zu urteilen, in Deutschland heutzutage eines guten Absatzes zu erfreuen. Möge
das auch diesem Buche zu gute kommen, aus dem mau, wie aus dein „Dorf-
notär" von Eötvös die Vergangenheit, so die Gegenwart besser und auf jeden
Fall müheloser kennen lernen kann, als ans manchen ernsthaften Abhand¬
lungen. Sprachliche Eigenheiten muß der Leser allerdings mit in Kauf
nehmen. Wenn nur neben der Mehrzahl „Ziegeln," dem „ich verbiete (statt
verbitte) mir" oder „an mich verlangst du Opfer" nicht auch Blüten des
Zeitungsdeutsch vorkämen, wie „diesbezüglich," „ein vornehmer Eindruck"
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[0357] Geschichten aus Siebenbürgen Hälse auch ohne mich." Doch geht die Sache nicht tragisch aus. Der sieben- bürgische Junker kommt verstimmt von dem Pester Reichstage mit seinem wüsten Parteitreiben zurück und beweist im Augenblicke der Not ein mensch¬ liches Herz und Hilfsbereitschaft. Der Sachse aber rettet sich aus schwerer Prüfung den Mut, „die einst mit so vielen Opfern erkämpfte neue Heimat immer wieder zu erobern durch die Waffen der Arbeit, der Rechtlichkeit, der edeln Sitte und der wahren Freiheit, vor denen die politische Sophistik auch unsrer Zeit schließlich doch zu Schanden werden muß." Der Glaube ist also wieder lebendig geworden, daß die verschiedenen so eng an und durch einander gedrängten Volksstämme verträglich leben können, wie in der nicht fernen Zeit, aus der der Verfasser eine ohne Zweifel dem Leben entnommene Anekdote berichtet. Ein Edelmann war gewohnt, in Augen¬ blicken der Geldverlegenheit bei dem benachbarten und befreundeten Pfarrer anzuklopfen, und fand stets Gehör. Allein die Nückzahluugstermine verstrichen, und die Zinsrückstände häuften sich an, während die Anlehen sich erneuerten. Was utttzteu die Schuldscheine, da das Gesetz nicht gestattete, sich mit dem Grundbesitz der Adlichen bezahlt zu machen? Nun luden sich beide Nach¬ barn öfter zu Gaste, und einmal bestand der Edelmann darauf, daß der Pfarrer als Gast die Brust eines Haselhuhns allein verzehre. Im nächsten Jahre legt der Pfarrer dem Edelmann das gleiche Stück vor und ent¬ schuldigt sich, so spät seine Schuld abzutragen. Der andre versteht den Wink, schluckt den Ärger hinunter und meint nur: „Aber Geizhalse bleibt ihr Sachsen doch immer," worauf der Pfarrer antwortet: „Und ihr sorgt dafür, daß wir es noch immer mehr werden." Lachend stoßen sie an, der Edelmann tilgt seine Schuld allmählich, und „die unbefangene Freundschaft beider Männer war wiederhergestellt." Die Erzählungslitteratur scheint sich, der Menge der Erscheinungen nach zu urteilen, in Deutschland heutzutage eines guten Absatzes zu erfreuen. Möge das auch diesem Buche zu gute kommen, aus dem mau, wie aus dein „Dorf- notär" von Eötvös die Vergangenheit, so die Gegenwart besser und auf jeden Fall müheloser kennen lernen kann, als ans manchen ernsthaften Abhand¬ lungen. Sprachliche Eigenheiten muß der Leser allerdings mit in Kauf nehmen. Wenn nur neben der Mehrzahl „Ziegeln," dem „ich verbiete (statt verbitte) mir" oder „an mich verlangst du Opfer" nicht auch Blüten des Zeitungsdeutsch vorkämen, wie „diesbezüglich," „ein vornehmer Eindruck" u. dergl. in.!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/357>, abgerufen am 23.07.2024.