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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten in>s Siebenbüigen

Eigensinn und Rechthaberei, die den Sachsen von ihren magyarischen Nach¬
barn vorgeworfen werden, treten uns leibhaftig entgegen, der Bauer ist der
richtige hart- und dickköpfige, argwöhnische, den Geldbeutel festhaltende Bauer;
auch die Frauen sind nicht idealisirt, aber einigen hat der Verfasser Züge
geliehn, die an Martin Salmiders Frau erinnern -- und das ist kein geringer
Ruhm. Was am meisten auffällt, ist die -- in den Verhältnissen begründete --
Stellung, die der Pfarrer noch einnimmt. Es ist bekannt, daß den Geistlichen,
die meistens deutsche Hochschulen besucht haben, in erster Reihe das Verdienst
zukommt, unter allen Fährlichkeiten den nationalen Geist ansteche erhalten zu
haben; aber wir sind in protestantischen Ländern nicht mehr gewohnt, den
Geistlichen noch so allgemein als Hirten seiner Gemeinde wirksam und aner¬
kannt zu sehen. Wohl wird ihm das Leben recht sauer gemacht, wem? sein
frommer Eifer die Oberhand über die Klugheit gewinnt, wie in der "Dorf¬
schule," doch geht die Suche besser ans, als in einer der unerquicklichen Er¬
zählungen Kjellands. In welchem Ansehen auch der Schulmeister steht, ist
uns aus den von Haltrich gesammelten Märchen erinnerlich: da ist er immer
noch Pfiffiger als der Teufel.

Mitten in den Nationalitätenstreit versetzt uns die im Jahre 1880 ge¬
schriebene Geschichte "Aus dem Königsboten." Um sie zu verstehen, muß man
sich erinnern, daß die Sachsen in den zwei Jahrhunderten der österreichischen
Herrschaft stets kaiserlich gesinnt gewesen sind, in den Tagen Rakoczhs
wie 1848 und 1849, daß sie sich dadurch den Ungarn verhaßt machten,
vollends als sie 1863 dem Rufe i" den österreichischen Reichsrat folgten,
wofür sie 186i> durch Auslieferung an die Magyaren belohnt wurden. In
dieser Zeit schrieb Charles Boner sein prächtiges Buch über Siebenbürgen,
dein wir einige Sätze entlehnen wollen. "Das Gefühl von Bitterkeit -- heißt
es Seite 586 der deutschen Ausgabe --, das sich bei den Ungarn gegen die
deutsche Bevölkerung findet, ist so stark, daß es in allem, was das deutsche
Element betrifft, das Urteil des Ungarn absolut blendet, ja es ihm sozusagen
unmöglich macht, ein richtiges Urteil zu fällen. Ich weiß nichts, das ich
diesem Gefühl an die Seite stellen könnte, als die fanatische Antipathie der
Protestanten gegen die Katholiken, wie sie noch vor etlichen Jahren in Eng¬
land existirte und alles, was sich auf Glaubenssachen bezog, entstellte. Allem,
was die Sachsen thun, legen die Ungarn die schlechtesten und feindseligsten
Motive unter; nie wird man einen Ungarn hören, der sich über einen poli¬
tischen Gegner günstig ausspräche; er äußert sich über ihn stets auf die weg¬
werfendste Art. In jedem andern Punkte folgt er dem Jmpulse der edelsten
Gefühle; aber so sehr er sich über Charakterlosigkeit oder jede wahre oder
angebliche Ungerechtigkeit andrer ereifert, so schwer dürfte es sein, in der Politik
einen ungerechter und mit mehr Voreingenommenheit urteilenden zu finden
als ihn. Wie er immer und bei jeder Gelegenheit voll Argwohn der Regie-


Geschichten in>s Siebenbüigen

Eigensinn und Rechthaberei, die den Sachsen von ihren magyarischen Nach¬
barn vorgeworfen werden, treten uns leibhaftig entgegen, der Bauer ist der
richtige hart- und dickköpfige, argwöhnische, den Geldbeutel festhaltende Bauer;
auch die Frauen sind nicht idealisirt, aber einigen hat der Verfasser Züge
geliehn, die an Martin Salmiders Frau erinnern — und das ist kein geringer
Ruhm. Was am meisten auffällt, ist die — in den Verhältnissen begründete —
Stellung, die der Pfarrer noch einnimmt. Es ist bekannt, daß den Geistlichen,
die meistens deutsche Hochschulen besucht haben, in erster Reihe das Verdienst
zukommt, unter allen Fährlichkeiten den nationalen Geist ansteche erhalten zu
haben; aber wir sind in protestantischen Ländern nicht mehr gewohnt, den
Geistlichen noch so allgemein als Hirten seiner Gemeinde wirksam und aner¬
kannt zu sehen. Wohl wird ihm das Leben recht sauer gemacht, wem? sein
frommer Eifer die Oberhand über die Klugheit gewinnt, wie in der „Dorf¬
schule," doch geht die Suche besser ans, als in einer der unerquicklichen Er¬
zählungen Kjellands. In welchem Ansehen auch der Schulmeister steht, ist
uns aus den von Haltrich gesammelten Märchen erinnerlich: da ist er immer
noch Pfiffiger als der Teufel.

Mitten in den Nationalitätenstreit versetzt uns die im Jahre 1880 ge¬
schriebene Geschichte „Aus dem Königsboten." Um sie zu verstehen, muß man
sich erinnern, daß die Sachsen in den zwei Jahrhunderten der österreichischen
Herrschaft stets kaiserlich gesinnt gewesen sind, in den Tagen Rakoczhs
wie 1848 und 1849, daß sie sich dadurch den Ungarn verhaßt machten,
vollends als sie 1863 dem Rufe i» den österreichischen Reichsrat folgten,
wofür sie 186i> durch Auslieferung an die Magyaren belohnt wurden. In
dieser Zeit schrieb Charles Boner sein prächtiges Buch über Siebenbürgen,
dein wir einige Sätze entlehnen wollen. „Das Gefühl von Bitterkeit — heißt
es Seite 586 der deutschen Ausgabe —, das sich bei den Ungarn gegen die
deutsche Bevölkerung findet, ist so stark, daß es in allem, was das deutsche
Element betrifft, das Urteil des Ungarn absolut blendet, ja es ihm sozusagen
unmöglich macht, ein richtiges Urteil zu fällen. Ich weiß nichts, das ich
diesem Gefühl an die Seite stellen könnte, als die fanatische Antipathie der
Protestanten gegen die Katholiken, wie sie noch vor etlichen Jahren in Eng¬
land existirte und alles, was sich auf Glaubenssachen bezog, entstellte. Allem,
was die Sachsen thun, legen die Ungarn die schlechtesten und feindseligsten
Motive unter; nie wird man einen Ungarn hören, der sich über einen poli¬
tischen Gegner günstig ausspräche; er äußert sich über ihn stets auf die weg¬
werfendste Art. In jedem andern Punkte folgt er dem Jmpulse der edelsten
Gefühle; aber so sehr er sich über Charakterlosigkeit oder jede wahre oder
angebliche Ungerechtigkeit andrer ereifert, so schwer dürfte es sein, in der Politik
einen ungerechter und mit mehr Voreingenommenheit urteilenden zu finden
als ihn. Wie er immer und bei jeder Gelegenheit voll Argwohn der Regie-


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[0355] Geschichten in>s Siebenbüigen Eigensinn und Rechthaberei, die den Sachsen von ihren magyarischen Nach¬ barn vorgeworfen werden, treten uns leibhaftig entgegen, der Bauer ist der richtige hart- und dickköpfige, argwöhnische, den Geldbeutel festhaltende Bauer; auch die Frauen sind nicht idealisirt, aber einigen hat der Verfasser Züge geliehn, die an Martin Salmiders Frau erinnern — und das ist kein geringer Ruhm. Was am meisten auffällt, ist die — in den Verhältnissen begründete — Stellung, die der Pfarrer noch einnimmt. Es ist bekannt, daß den Geistlichen, die meistens deutsche Hochschulen besucht haben, in erster Reihe das Verdienst zukommt, unter allen Fährlichkeiten den nationalen Geist ansteche erhalten zu haben; aber wir sind in protestantischen Ländern nicht mehr gewohnt, den Geistlichen noch so allgemein als Hirten seiner Gemeinde wirksam und aner¬ kannt zu sehen. Wohl wird ihm das Leben recht sauer gemacht, wem? sein frommer Eifer die Oberhand über die Klugheit gewinnt, wie in der „Dorf¬ schule," doch geht die Suche besser ans, als in einer der unerquicklichen Er¬ zählungen Kjellands. In welchem Ansehen auch der Schulmeister steht, ist uns aus den von Haltrich gesammelten Märchen erinnerlich: da ist er immer noch Pfiffiger als der Teufel. Mitten in den Nationalitätenstreit versetzt uns die im Jahre 1880 ge¬ schriebene Geschichte „Aus dem Königsboten." Um sie zu verstehen, muß man sich erinnern, daß die Sachsen in den zwei Jahrhunderten der österreichischen Herrschaft stets kaiserlich gesinnt gewesen sind, in den Tagen Rakoczhs wie 1848 und 1849, daß sie sich dadurch den Ungarn verhaßt machten, vollends als sie 1863 dem Rufe i» den österreichischen Reichsrat folgten, wofür sie 186i> durch Auslieferung an die Magyaren belohnt wurden. In dieser Zeit schrieb Charles Boner sein prächtiges Buch über Siebenbürgen, dein wir einige Sätze entlehnen wollen. „Das Gefühl von Bitterkeit — heißt es Seite 586 der deutschen Ausgabe —, das sich bei den Ungarn gegen die deutsche Bevölkerung findet, ist so stark, daß es in allem, was das deutsche Element betrifft, das Urteil des Ungarn absolut blendet, ja es ihm sozusagen unmöglich macht, ein richtiges Urteil zu fällen. Ich weiß nichts, das ich diesem Gefühl an die Seite stellen könnte, als die fanatische Antipathie der Protestanten gegen die Katholiken, wie sie noch vor etlichen Jahren in Eng¬ land existirte und alles, was sich auf Glaubenssachen bezog, entstellte. Allem, was die Sachsen thun, legen die Ungarn die schlechtesten und feindseligsten Motive unter; nie wird man einen Ungarn hören, der sich über einen poli¬ tischen Gegner günstig ausspräche; er äußert sich über ihn stets auf die weg¬ werfendste Art. In jedem andern Punkte folgt er dem Jmpulse der edelsten Gefühle; aber so sehr er sich über Charakterlosigkeit oder jede wahre oder angebliche Ungerechtigkeit andrer ereifert, so schwer dürfte es sein, in der Politik einen ungerechter und mit mehr Voreingenommenheit urteilenden zu finden als ihn. Wie er immer und bei jeder Gelegenheit voll Argwohn der Regie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/355>, abgerufen am 23.07.2024.