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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden

eines KücheugartenS, dessen Kohlköpfe und Kürbisse mit derselben Liebe,
Sorgfalt und Umständlichkeit behandelt sind, wie die menschliche Figur (von
Orrin Pech, den Gang zur Taufe, den zwei Bäuerinnen mit dem Täufling
über eine Wiese hinweg zu der im Hintergründe zwischen Bäumen hervor¬
blickenden Kirche richten (von Harry Jochmus), eine Frau, die eine weidende
Kuh bewacht (von Viktor Weishcinpt), ein vor dem Eingange zu einem Kirch¬
hofe, auf dem ebeu eine Beerdigung stattfindet, ein Vaterunser betendes Mädchen
(von F. von Ende) und das wie blödsinnig vor sich hinstarrende, einen Stroh¬
halm zwischen den Lippen haltende kleine Mädchen auf der Wiese, dem sein
Schöpfer den Beinamen "Haideprinzeßchen" gegeben hat (von F. von Abbe).
Wenn diese Bilder sich auch in der malerischen Technik, in der Durchführung
der Einzelheiten und in der Charakteristik der Köpfe von einander unterscheiden,
so haben sie doch das gemeinsame Kennzeichen, daß sie einen möglichst treuen
Abdruck der Wirklichkeit in gleichem oder fast gleichgroßen Maßstabe zu geben
suchen, daß sie zu diesem Zweck die einfachsten Motive wählen und daß sie
allen Schulüberlieferungen aus dem Wege gehen, alle Erinnerungen an die
geschichtliche Entwicklung der Malerei und ihre Denkmäler zu vergessen streben.
In seiner Befehdung alles Hergebrachten, insbesondre der von Geschlecht zu
Geschlecht überlieferten Schönheitsbegriffe, war der moderne Naturalismus in
seinen Anfängen so weit gegangen, daß er Schönheit und Anmut geradezu
ausschloß, daß er die Wahrheit nur in der Häßlichkeit suchte, und daß er zu
ihrer Darstellung eine überaus struppige, rohe Malweise erfand, in deren An¬
wendung er den endgiltigen Sieg über den "Konventionalismus," wie er alles
nennt, was die Malerei aus ihrer Geschichte gelernt hat, erfochten zu haben
glaubte. Diese schroffe Einseitigkeit hat unter den Bekennern des Naturalismus
uicht lauge ihre Herrschaft behauptet, vielleicht uuter dem Drucke von rein
praktischen Erwägungen, weil die naturalistischen Maler in ihrer Mehrzahl
ebenso sehr auf den Verkauf ihrer Bilder angewiesen sind, wie die Vertreter
der ältern Richtung, und das Verständnis des laufenden Publikums für die
"neue Kunst," wie sie von ihren litterarischen Wortführern mit allzu voreiligen
Pathos genannt wird, unerwartet lange ausbleibt. Es mögen verschiedne
Gründe sür diese dauernd ablehnende Haltung des deutschen Publikums gegen
den Naturalismus vorhanden sein. Einmal fehlt es in Deutschland an reichen,
opferwilligen Kunstfreunden, die eine künstlerische Richtung nur um des
Grundsatzes willen unterstützen. Es liegt ferner an den beschränkten Lebens¬
verhältnissen in Deutschland, daß selbst wohlhabende, über großen Grundbesitz
gebietende Leute sich scheuen, ihre Gesellschafts- und Wohnräume mit Bildern
auszustatten, die ganze Wände einnehmen, auch wenn sie gegen die dargestellten
Szenen keine ästhetischen Bedenken haben. Aber diese und andre Gründe sind
uicht ausschlaggebend genug. Man wird immer wieder auf den einen, nach
unsrer Meinung entscheidenden Punkt zurückkommen, daß die von Frankreich


Die Kunstausstellungen in München und Dresden

eines KücheugartenS, dessen Kohlköpfe und Kürbisse mit derselben Liebe,
Sorgfalt und Umständlichkeit behandelt sind, wie die menschliche Figur (von
Orrin Pech, den Gang zur Taufe, den zwei Bäuerinnen mit dem Täufling
über eine Wiese hinweg zu der im Hintergründe zwischen Bäumen hervor¬
blickenden Kirche richten (von Harry Jochmus), eine Frau, die eine weidende
Kuh bewacht (von Viktor Weishcinpt), ein vor dem Eingange zu einem Kirch¬
hofe, auf dem ebeu eine Beerdigung stattfindet, ein Vaterunser betendes Mädchen
(von F. von Ende) und das wie blödsinnig vor sich hinstarrende, einen Stroh¬
halm zwischen den Lippen haltende kleine Mädchen auf der Wiese, dem sein
Schöpfer den Beinamen „Haideprinzeßchen" gegeben hat (von F. von Abbe).
Wenn diese Bilder sich auch in der malerischen Technik, in der Durchführung
der Einzelheiten und in der Charakteristik der Köpfe von einander unterscheiden,
so haben sie doch das gemeinsame Kennzeichen, daß sie einen möglichst treuen
Abdruck der Wirklichkeit in gleichem oder fast gleichgroßen Maßstabe zu geben
suchen, daß sie zu diesem Zweck die einfachsten Motive wählen und daß sie
allen Schulüberlieferungen aus dem Wege gehen, alle Erinnerungen an die
geschichtliche Entwicklung der Malerei und ihre Denkmäler zu vergessen streben.
In seiner Befehdung alles Hergebrachten, insbesondre der von Geschlecht zu
Geschlecht überlieferten Schönheitsbegriffe, war der moderne Naturalismus in
seinen Anfängen so weit gegangen, daß er Schönheit und Anmut geradezu
ausschloß, daß er die Wahrheit nur in der Häßlichkeit suchte, und daß er zu
ihrer Darstellung eine überaus struppige, rohe Malweise erfand, in deren An¬
wendung er den endgiltigen Sieg über den „Konventionalismus," wie er alles
nennt, was die Malerei aus ihrer Geschichte gelernt hat, erfochten zu haben
glaubte. Diese schroffe Einseitigkeit hat unter den Bekennern des Naturalismus
uicht lauge ihre Herrschaft behauptet, vielleicht uuter dem Drucke von rein
praktischen Erwägungen, weil die naturalistischen Maler in ihrer Mehrzahl
ebenso sehr auf den Verkauf ihrer Bilder angewiesen sind, wie die Vertreter
der ältern Richtung, und das Verständnis des laufenden Publikums für die
„neue Kunst," wie sie von ihren litterarischen Wortführern mit allzu voreiligen
Pathos genannt wird, unerwartet lange ausbleibt. Es mögen verschiedne
Gründe sür diese dauernd ablehnende Haltung des deutschen Publikums gegen
den Naturalismus vorhanden sein. Einmal fehlt es in Deutschland an reichen,
opferwilligen Kunstfreunden, die eine künstlerische Richtung nur um des
Grundsatzes willen unterstützen. Es liegt ferner an den beschränkten Lebens¬
verhältnissen in Deutschland, daß selbst wohlhabende, über großen Grundbesitz
gebietende Leute sich scheuen, ihre Gesellschafts- und Wohnräume mit Bildern
auszustatten, die ganze Wände einnehmen, auch wenn sie gegen die dargestellten
Szenen keine ästhetischen Bedenken haben. Aber diese und andre Gründe sind
uicht ausschlaggebend genug. Man wird immer wieder auf den einen, nach
unsrer Meinung entscheidenden Punkt zurückkommen, daß die von Frankreich


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[0034] Die Kunstausstellungen in München und Dresden eines KücheugartenS, dessen Kohlköpfe und Kürbisse mit derselben Liebe, Sorgfalt und Umständlichkeit behandelt sind, wie die menschliche Figur (von Orrin Pech, den Gang zur Taufe, den zwei Bäuerinnen mit dem Täufling über eine Wiese hinweg zu der im Hintergründe zwischen Bäumen hervor¬ blickenden Kirche richten (von Harry Jochmus), eine Frau, die eine weidende Kuh bewacht (von Viktor Weishcinpt), ein vor dem Eingange zu einem Kirch¬ hofe, auf dem ebeu eine Beerdigung stattfindet, ein Vaterunser betendes Mädchen (von F. von Ende) und das wie blödsinnig vor sich hinstarrende, einen Stroh¬ halm zwischen den Lippen haltende kleine Mädchen auf der Wiese, dem sein Schöpfer den Beinamen „Haideprinzeßchen" gegeben hat (von F. von Abbe). Wenn diese Bilder sich auch in der malerischen Technik, in der Durchführung der Einzelheiten und in der Charakteristik der Köpfe von einander unterscheiden, so haben sie doch das gemeinsame Kennzeichen, daß sie einen möglichst treuen Abdruck der Wirklichkeit in gleichem oder fast gleichgroßen Maßstabe zu geben suchen, daß sie zu diesem Zweck die einfachsten Motive wählen und daß sie allen Schulüberlieferungen aus dem Wege gehen, alle Erinnerungen an die geschichtliche Entwicklung der Malerei und ihre Denkmäler zu vergessen streben. In seiner Befehdung alles Hergebrachten, insbesondre der von Geschlecht zu Geschlecht überlieferten Schönheitsbegriffe, war der moderne Naturalismus in seinen Anfängen so weit gegangen, daß er Schönheit und Anmut geradezu ausschloß, daß er die Wahrheit nur in der Häßlichkeit suchte, und daß er zu ihrer Darstellung eine überaus struppige, rohe Malweise erfand, in deren An¬ wendung er den endgiltigen Sieg über den „Konventionalismus," wie er alles nennt, was die Malerei aus ihrer Geschichte gelernt hat, erfochten zu haben glaubte. Diese schroffe Einseitigkeit hat unter den Bekennern des Naturalismus uicht lauge ihre Herrschaft behauptet, vielleicht uuter dem Drucke von rein praktischen Erwägungen, weil die naturalistischen Maler in ihrer Mehrzahl ebenso sehr auf den Verkauf ihrer Bilder angewiesen sind, wie die Vertreter der ältern Richtung, und das Verständnis des laufenden Publikums für die „neue Kunst," wie sie von ihren litterarischen Wortführern mit allzu voreiligen Pathos genannt wird, unerwartet lange ausbleibt. Es mögen verschiedne Gründe sür diese dauernd ablehnende Haltung des deutschen Publikums gegen den Naturalismus vorhanden sein. Einmal fehlt es in Deutschland an reichen, opferwilligen Kunstfreunden, die eine künstlerische Richtung nur um des Grundsatzes willen unterstützen. Es liegt ferner an den beschränkten Lebens¬ verhältnissen in Deutschland, daß selbst wohlhabende, über großen Grundbesitz gebietende Leute sich scheuen, ihre Gesellschafts- und Wohnräume mit Bildern auszustatten, die ganze Wände einnehmen, auch wenn sie gegen die dargestellten Szenen keine ästhetischen Bedenken haben. Aber diese und andre Gründe sind uicht ausschlaggebend genug. Man wird immer wieder auf den einen, nach unsrer Meinung entscheidenden Punkt zurückkommen, daß die von Frankreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/34>, abgerufen am 25.08.2024.