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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet

halt in Amsterdam 1623 nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, blieb er hier
ansässig, bis er 1631 endgiltig nach der damals zu höchster Macht und Blüte
sich entfaltenden Stadt an der Amstel übersiedelte. Dieses Jahr bezeichnet
zwar einen wichtigen Einschnitt in seiner künstlerischen Entwicklung, doch müssen
wir die ersten Amsterdamer Jahre, etwa bis zum Jahre 1636, noch in seine
"Sturm- und Drangperiode" hineinziehen.

Mit Recht schließt sich auch die chronologische Gliederung der Berliner Aus¬
stellung derjenigen an, die seit Bodes Studien zur Geschichte der Holländischen
Malerei") Allgemeingut der Forschung geworden ist. Seit Bodes Untersuchungen
hat gerade auch das Bild, das wir von der Jugeudeutwicklung des Meisters hatten,
erst feste Umrisse und lebendige Farben bekommen, Und es ist wohl kein Zweifel,
daß sich Bode bei der Aufhellung der Jugendzeit Nembrnndts von den Ergebnissen
hat leiten lassen, die die chronologische Betrachtung der Radirungen zu Tage
gefördert hatte. Im Jahre 1877 wurde nämlich zum erstenmal im LnUinZton
MW Ollil" zu Loudon der Versuch gemacht, die Radirungen Rembrandts
nach ihrer Zeitfolge geordnet dem Publikum in einer Ausstellung vorzuführen,
während sie bekanntlich in den Sammlungsmappen nach der Nummerfolge der
beschreibenden Verzeichnisse, d. h. nach den Gegenständen der Darstellungen
angeordnet sind. Wie fruchtbar diese erste und, soviel wir wissen, einzige
Vvrläuferin unsrer Berliner Ausstellung ans die Rembrandtlitteratur gewirkt
hat, weiß jeder, der die einschlägigen Veröffentlichungen Seymour Habens und
Middletous mit den ältern Arbeiten eines Wilson und Charles Blane ver¬
gleicht. Die vielen Streitpunkte, die auch heute noch namentlich in Betreff
der Echtheitsfrage einer großen Anzahl Rembrandtscher Radirungen bestehen,
können Nur an dieser Stelle begreiflicherweise nicht ins einzelne hinein ver¬
folgen; es genügt, um den Abstand der Parteien anzudeuten, die Angabe, daß
der französische Nadirer Legros von den 363 Blättern, die Dntnits großer
Katalog beschreibt, mit Sicherheit nur 71 als echt anerkennen will. Suchen wir
bei unsrer Betrachtung das Urteil von derartigen vertrauensseligen wie hyper¬
kritischen Neigungen möglichst fernzuhalten. Wie schon erwähnt, trägt die
älteste datirte Rndirnng Rembrandts die Jahreszahl 1628. Sie stellt der Tradition
nach die Mutter des Künstlers dar: einen runzeligen Frauenkopf mit ge¬
kniffenen Augen und Lippen und jener vornehmen Gelassenheit des Ausdrucks,
die das Ergebnis reicher Lebenserfahrung ist. Ob die Dargestellte wirklich
als die damals erst am Ende der fünfziger Jahre stehende Mutter des Künstlers
anzusehen ist, muß dahingestellt bleiben. Es ist begreiflich, daß man bei einem
Genie wie Rembrandt gewissermaßen die persönliche Bekanntschaft seiner Mutter
machen wollte: (AivroliM in, mors! Sehr viele unter sich übrigens verschiedne



*) Bode, Studien zur Geschichte der lMündischen Mnlerei. Brmmschweig, 1883.
Seite 857 ff.: Rembrandts künstlerischer Entwicklungsgang in seinen Gemälden.
Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet

halt in Amsterdam 1623 nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, blieb er hier
ansässig, bis er 1631 endgiltig nach der damals zu höchster Macht und Blüte
sich entfaltenden Stadt an der Amstel übersiedelte. Dieses Jahr bezeichnet
zwar einen wichtigen Einschnitt in seiner künstlerischen Entwicklung, doch müssen
wir die ersten Amsterdamer Jahre, etwa bis zum Jahre 1636, noch in seine
„Sturm- und Drangperiode" hineinziehen.

Mit Recht schließt sich auch die chronologische Gliederung der Berliner Aus¬
stellung derjenigen an, die seit Bodes Studien zur Geschichte der Holländischen
Malerei") Allgemeingut der Forschung geworden ist. Seit Bodes Untersuchungen
hat gerade auch das Bild, das wir von der Jugeudeutwicklung des Meisters hatten,
erst feste Umrisse und lebendige Farben bekommen, Und es ist wohl kein Zweifel,
daß sich Bode bei der Aufhellung der Jugendzeit Nembrnndts von den Ergebnissen
hat leiten lassen, die die chronologische Betrachtung der Radirungen zu Tage
gefördert hatte. Im Jahre 1877 wurde nämlich zum erstenmal im LnUinZton
MW Ollil» zu Loudon der Versuch gemacht, die Radirungen Rembrandts
nach ihrer Zeitfolge geordnet dem Publikum in einer Ausstellung vorzuführen,
während sie bekanntlich in den Sammlungsmappen nach der Nummerfolge der
beschreibenden Verzeichnisse, d. h. nach den Gegenständen der Darstellungen
angeordnet sind. Wie fruchtbar diese erste und, soviel wir wissen, einzige
Vvrläuferin unsrer Berliner Ausstellung ans die Rembrandtlitteratur gewirkt
hat, weiß jeder, der die einschlägigen Veröffentlichungen Seymour Habens und
Middletous mit den ältern Arbeiten eines Wilson und Charles Blane ver¬
gleicht. Die vielen Streitpunkte, die auch heute noch namentlich in Betreff
der Echtheitsfrage einer großen Anzahl Rembrandtscher Radirungen bestehen,
können Nur an dieser Stelle begreiflicherweise nicht ins einzelne hinein ver¬
folgen; es genügt, um den Abstand der Parteien anzudeuten, die Angabe, daß
der französische Nadirer Legros von den 363 Blättern, die Dntnits großer
Katalog beschreibt, mit Sicherheit nur 71 als echt anerkennen will. Suchen wir
bei unsrer Betrachtung das Urteil von derartigen vertrauensseligen wie hyper¬
kritischen Neigungen möglichst fernzuhalten. Wie schon erwähnt, trägt die
älteste datirte Rndirnng Rembrandts die Jahreszahl 1628. Sie stellt der Tradition
nach die Mutter des Künstlers dar: einen runzeligen Frauenkopf mit ge¬
kniffenen Augen und Lippen und jener vornehmen Gelassenheit des Ausdrucks,
die das Ergebnis reicher Lebenserfahrung ist. Ob die Dargestellte wirklich
als die damals erst am Ende der fünfziger Jahre stehende Mutter des Künstlers
anzusehen ist, muß dahingestellt bleiben. Es ist begreiflich, daß man bei einem
Genie wie Rembrandt gewissermaßen die persönliche Bekanntschaft seiner Mutter
machen wollte: (AivroliM in, mors! Sehr viele unter sich übrigens verschiedne



*) Bode, Studien zur Geschichte der lMündischen Mnlerei. Brmmschweig, 1883.
Seite 857 ff.: Rembrandts künstlerischer Entwicklungsgang in seinen Gemälden.
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[0243] Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet halt in Amsterdam 1623 nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, blieb er hier ansässig, bis er 1631 endgiltig nach der damals zu höchster Macht und Blüte sich entfaltenden Stadt an der Amstel übersiedelte. Dieses Jahr bezeichnet zwar einen wichtigen Einschnitt in seiner künstlerischen Entwicklung, doch müssen wir die ersten Amsterdamer Jahre, etwa bis zum Jahre 1636, noch in seine „Sturm- und Drangperiode" hineinziehen. Mit Recht schließt sich auch die chronologische Gliederung der Berliner Aus¬ stellung derjenigen an, die seit Bodes Studien zur Geschichte der Holländischen Malerei") Allgemeingut der Forschung geworden ist. Seit Bodes Untersuchungen hat gerade auch das Bild, das wir von der Jugeudeutwicklung des Meisters hatten, erst feste Umrisse und lebendige Farben bekommen, Und es ist wohl kein Zweifel, daß sich Bode bei der Aufhellung der Jugendzeit Nembrnndts von den Ergebnissen hat leiten lassen, die die chronologische Betrachtung der Radirungen zu Tage gefördert hatte. Im Jahre 1877 wurde nämlich zum erstenmal im LnUinZton MW Ollil» zu Loudon der Versuch gemacht, die Radirungen Rembrandts nach ihrer Zeitfolge geordnet dem Publikum in einer Ausstellung vorzuführen, während sie bekanntlich in den Sammlungsmappen nach der Nummerfolge der beschreibenden Verzeichnisse, d. h. nach den Gegenständen der Darstellungen angeordnet sind. Wie fruchtbar diese erste und, soviel wir wissen, einzige Vvrläuferin unsrer Berliner Ausstellung ans die Rembrandtlitteratur gewirkt hat, weiß jeder, der die einschlägigen Veröffentlichungen Seymour Habens und Middletous mit den ältern Arbeiten eines Wilson und Charles Blane ver¬ gleicht. Die vielen Streitpunkte, die auch heute noch namentlich in Betreff der Echtheitsfrage einer großen Anzahl Rembrandtscher Radirungen bestehen, können Nur an dieser Stelle begreiflicherweise nicht ins einzelne hinein ver¬ folgen; es genügt, um den Abstand der Parteien anzudeuten, die Angabe, daß der französische Nadirer Legros von den 363 Blättern, die Dntnits großer Katalog beschreibt, mit Sicherheit nur 71 als echt anerkennen will. Suchen wir bei unsrer Betrachtung das Urteil von derartigen vertrauensseligen wie hyper¬ kritischen Neigungen möglichst fernzuhalten. Wie schon erwähnt, trägt die älteste datirte Rndirnng Rembrandts die Jahreszahl 1628. Sie stellt der Tradition nach die Mutter des Künstlers dar: einen runzeligen Frauenkopf mit ge¬ kniffenen Augen und Lippen und jener vornehmen Gelassenheit des Ausdrucks, die das Ergebnis reicher Lebenserfahrung ist. Ob die Dargestellte wirklich als die damals erst am Ende der fünfziger Jahre stehende Mutter des Künstlers anzusehen ist, muß dahingestellt bleiben. Es ist begreiflich, daß man bei einem Genie wie Rembrandt gewissermaßen die persönliche Bekanntschaft seiner Mutter machen wollte: (AivroliM in, mors! Sehr viele unter sich übrigens verschiedne *) Bode, Studien zur Geschichte der lMündischen Mnlerei. Brmmschweig, 1883. Seite 857 ff.: Rembrandts künstlerischer Entwicklungsgang in seinen Gemälden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/243>, abgerufen am 23.07.2024.