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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zur Erhöhung der Gfsiziersgehalte

Erwerb, d. h. auf die Aneignung oder Vermehrung eines Vermögens, sie ist
überhaupt nicht auf die eignen Angelegenheiten, sondern auf die des Staates,
des Gemeinwohls gerichtet. Öffentliche Interessen bilden für diesen Teil der
Staatsbürger den ausschließlichen Gegenstand ihrer berufsmäßigen Beschäfti¬
gung, ihres Nachdenkens, ihrer Entschließungen, ihrer Arbeit. Ist dies aber
wahr, so ist ohne weiteres klar, daß die Angehörigen der genannten beiden
Berufsstände, soweit sie kein Vermögen besitzen, mich keins erwerben, soweit sie aber
ursprünglich ein Vermögen besaßen, es nicht vermehren, folglich es vermindern
werden. Sie alle also cirbeiteu uicht bloß in dem eigentlichen, sondern auch
in dem ironischen Sinne des französischen Sprichwortes nour 1o roi as ?ruf8ö.
Sie wissen freilich, daß diese Arbeit, wenn sie ihnen auch keine Reichtümer
einträgt, doch nicht umsonst gethan wird. An den Werten, die sie schafft,
nehmen sie wie alle Teil; darüber hinaus aber verdanken sie ihr die ans das
Ganze gerichtete Sinnesart und eine Ausbildung des Pflichtgefühls, die durch
keine Reichtümer erkauft oder ersetzt werden kaun.

Ziehen wir aus dem Gesagten die Nutzanwendung, so gelangen wir zu
folgendem Ergebnis. 1. Die geschichtliche Entwicklung des preußischen Staates
hat in den Kreisen, in denen sich die Arbeit in seinem Dienste vorzugsweise
forterbte, eine unmittelbare, d. h. von der Stärke des persönlichen Pflicht¬
bewußtseins mehr oder weniger unabhängige Empfindung für den unbedingten
Vorrang aller Staatszwecke gegenüber allen persönlichen Zwecken großgezogen.
2. Diese instinktive, weil angeerbte Unterscheidung zwischen der öffentlichen
und der Privatsphüre bildet in ihrer Anwendung auf den militärischen Dienst
gegenwärtig für den Offiziersstand die sicherste Schutzwehr gegen die zersetzenden
Einflüsse einer dein Wohlleben immer mehr sich zuwendenden Zeitrichtung. Das
Schwinden dieser Unterscheidung würde mit dem Hereinbrechen eines unauf-
haltsamen Verfalls des Standes zusammentreffen. Die bekannte, noch
während der jüngsten Reichstagsverhandlungen vom Kriegsminister rückhaltslos
ausgesprochene Neigung der Militärverwaltung, dem Heere einen aus alten
Soldaten- und Beamtenfnmilien sich ergänzenden Stamm von Offizieren so
lange wie möglich zu erhalten, bedeutet deshalb keine willkürliche und unzu¬
lässige Standesbevorzugnng; sie entspringt nicht aus einer weibischen Vorliebe
der Regierung für die Abkömmlinge jener Familien, sondern sie entspricht einem
unleugbaren Staatsinteresse. 4. Dieselben Kreise nun, die ihrer althergebrachten
Verwendung in den verschiednen Zweigen des öffentlichen Dienstes jenes ge¬
steigerte Unterscheidungsvermögen verdanken, siud um der gleichen Ursache
willen mehr und mehr aus der Klasse der Besitzenden ausgeschieden. Sie
gehören schon heute überwiegend der Klasse der Besitzlosen und der Wenig¬
besitzenden an; und die Richtung dieser Bewegung läßt, weil in der Natur
der Sache begründet, auch für die Zukunft keine Änderung erwarten. 5. Mit
den, Augenblicke aber, wo sich der gesetzgebenden Gewalten die Einsicht be-


Zur Erhöhung der Gfsiziersgehalte

Erwerb, d. h. auf die Aneignung oder Vermehrung eines Vermögens, sie ist
überhaupt nicht auf die eignen Angelegenheiten, sondern auf die des Staates,
des Gemeinwohls gerichtet. Öffentliche Interessen bilden für diesen Teil der
Staatsbürger den ausschließlichen Gegenstand ihrer berufsmäßigen Beschäfti¬
gung, ihres Nachdenkens, ihrer Entschließungen, ihrer Arbeit. Ist dies aber
wahr, so ist ohne weiteres klar, daß die Angehörigen der genannten beiden
Berufsstände, soweit sie kein Vermögen besitzen, mich keins erwerben, soweit sie aber
ursprünglich ein Vermögen besaßen, es nicht vermehren, folglich es vermindern
werden. Sie alle also cirbeiteu uicht bloß in dem eigentlichen, sondern auch
in dem ironischen Sinne des französischen Sprichwortes nour 1o roi as ?ruf8ö.
Sie wissen freilich, daß diese Arbeit, wenn sie ihnen auch keine Reichtümer
einträgt, doch nicht umsonst gethan wird. An den Werten, die sie schafft,
nehmen sie wie alle Teil; darüber hinaus aber verdanken sie ihr die ans das
Ganze gerichtete Sinnesart und eine Ausbildung des Pflichtgefühls, die durch
keine Reichtümer erkauft oder ersetzt werden kaun.

Ziehen wir aus dem Gesagten die Nutzanwendung, so gelangen wir zu
folgendem Ergebnis. 1. Die geschichtliche Entwicklung des preußischen Staates
hat in den Kreisen, in denen sich die Arbeit in seinem Dienste vorzugsweise
forterbte, eine unmittelbare, d. h. von der Stärke des persönlichen Pflicht¬
bewußtseins mehr oder weniger unabhängige Empfindung für den unbedingten
Vorrang aller Staatszwecke gegenüber allen persönlichen Zwecken großgezogen.
2. Diese instinktive, weil angeerbte Unterscheidung zwischen der öffentlichen
und der Privatsphüre bildet in ihrer Anwendung auf den militärischen Dienst
gegenwärtig für den Offiziersstand die sicherste Schutzwehr gegen die zersetzenden
Einflüsse einer dein Wohlleben immer mehr sich zuwendenden Zeitrichtung. Das
Schwinden dieser Unterscheidung würde mit dem Hereinbrechen eines unauf-
haltsamen Verfalls des Standes zusammentreffen. Die bekannte, noch
während der jüngsten Reichstagsverhandlungen vom Kriegsminister rückhaltslos
ausgesprochene Neigung der Militärverwaltung, dem Heere einen aus alten
Soldaten- und Beamtenfnmilien sich ergänzenden Stamm von Offizieren so
lange wie möglich zu erhalten, bedeutet deshalb keine willkürliche und unzu¬
lässige Standesbevorzugnng; sie entspringt nicht aus einer weibischen Vorliebe
der Regierung für die Abkömmlinge jener Familien, sondern sie entspricht einem
unleugbaren Staatsinteresse. 4. Dieselben Kreise nun, die ihrer althergebrachten
Verwendung in den verschiednen Zweigen des öffentlichen Dienstes jenes ge¬
steigerte Unterscheidungsvermögen verdanken, siud um der gleichen Ursache
willen mehr und mehr aus der Klasse der Besitzenden ausgeschieden. Sie
gehören schon heute überwiegend der Klasse der Besitzlosen und der Wenig¬
besitzenden an; und die Richtung dieser Bewegung läßt, weil in der Natur
der Sache begründet, auch für die Zukunft keine Änderung erwarten. 5. Mit
den, Augenblicke aber, wo sich der gesetzgebenden Gewalten die Einsicht be-


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[0022] Zur Erhöhung der Gfsiziersgehalte Erwerb, d. h. auf die Aneignung oder Vermehrung eines Vermögens, sie ist überhaupt nicht auf die eignen Angelegenheiten, sondern auf die des Staates, des Gemeinwohls gerichtet. Öffentliche Interessen bilden für diesen Teil der Staatsbürger den ausschließlichen Gegenstand ihrer berufsmäßigen Beschäfti¬ gung, ihres Nachdenkens, ihrer Entschließungen, ihrer Arbeit. Ist dies aber wahr, so ist ohne weiteres klar, daß die Angehörigen der genannten beiden Berufsstände, soweit sie kein Vermögen besitzen, mich keins erwerben, soweit sie aber ursprünglich ein Vermögen besaßen, es nicht vermehren, folglich es vermindern werden. Sie alle also cirbeiteu uicht bloß in dem eigentlichen, sondern auch in dem ironischen Sinne des französischen Sprichwortes nour 1o roi as ?ruf8ö. Sie wissen freilich, daß diese Arbeit, wenn sie ihnen auch keine Reichtümer einträgt, doch nicht umsonst gethan wird. An den Werten, die sie schafft, nehmen sie wie alle Teil; darüber hinaus aber verdanken sie ihr die ans das Ganze gerichtete Sinnesart und eine Ausbildung des Pflichtgefühls, die durch keine Reichtümer erkauft oder ersetzt werden kaun. Ziehen wir aus dem Gesagten die Nutzanwendung, so gelangen wir zu folgendem Ergebnis. 1. Die geschichtliche Entwicklung des preußischen Staates hat in den Kreisen, in denen sich die Arbeit in seinem Dienste vorzugsweise forterbte, eine unmittelbare, d. h. von der Stärke des persönlichen Pflicht¬ bewußtseins mehr oder weniger unabhängige Empfindung für den unbedingten Vorrang aller Staatszwecke gegenüber allen persönlichen Zwecken großgezogen. 2. Diese instinktive, weil angeerbte Unterscheidung zwischen der öffentlichen und der Privatsphüre bildet in ihrer Anwendung auf den militärischen Dienst gegenwärtig für den Offiziersstand die sicherste Schutzwehr gegen die zersetzenden Einflüsse einer dein Wohlleben immer mehr sich zuwendenden Zeitrichtung. Das Schwinden dieser Unterscheidung würde mit dem Hereinbrechen eines unauf- haltsamen Verfalls des Standes zusammentreffen. Die bekannte, noch während der jüngsten Reichstagsverhandlungen vom Kriegsminister rückhaltslos ausgesprochene Neigung der Militärverwaltung, dem Heere einen aus alten Soldaten- und Beamtenfnmilien sich ergänzenden Stamm von Offizieren so lange wie möglich zu erhalten, bedeutet deshalb keine willkürliche und unzu¬ lässige Standesbevorzugnng; sie entspringt nicht aus einer weibischen Vorliebe der Regierung für die Abkömmlinge jener Familien, sondern sie entspricht einem unleugbaren Staatsinteresse. 4. Dieselben Kreise nun, die ihrer althergebrachten Verwendung in den verschiednen Zweigen des öffentlichen Dienstes jenes ge¬ steigerte Unterscheidungsvermögen verdanken, siud um der gleichen Ursache willen mehr und mehr aus der Klasse der Besitzenden ausgeschieden. Sie gehören schon heute überwiegend der Klasse der Besitzlosen und der Wenig¬ besitzenden an; und die Richtung dieser Bewegung läßt, weil in der Natur der Sache begründet, auch für die Zukunft keine Änderung erwarten. 5. Mit den, Augenblicke aber, wo sich der gesetzgebenden Gewalten die Einsicht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/22>, abgerufen am 23.07.2024.