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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Es sind in erster Linie zwei große, figurenreiche Gemälde, die meine
Beobachtungen und Hoffnungen unterstützen: die Demütigung Heinrichs IV.
vor Gregor im Schloßhofe zu Cmwssn von Otto Friedrich und Alarichs Be¬
gräbnis im Bette des Vusento von dem in der Münchner Schule gebildeten
Tiroler Alois Delug. Friedrich hat einen Stoff behandelt, der bei den Ge¬
schichtsmalern der ältern Düsseldorfer Schule besonders beliebt war. Aber der
Münchner Künstler hat ebensowenig von dem hohlen theatralischen Pathos der
Düsseldorfer angenommen, wie er etwas von dem leeren Prunk zur Schau
stellt, den Piloty und seine Schiller bei solchen Gelegenheiten zu entfalten
liebten. Bei absichtlicher Einfachheit des malerischen Bortrags, der sich nirgends
aufdringlich macht oder für sich allein zu wirken sucht, hat er den Nachdruck
auf die Charakteristik der Hauptfiguren gelegt. Aus dem Antlitz des siegreichen
Papstes leuchtet dämonische Freude; aber die Befriedigung ist doch noch nicht
so groß, daß sie den unauslöschlichen Haß unterdrücken könnte, der in den
Mienen Gregors bei dem Anblick des gedemütigten Gegners neben jener Grund¬
stimmung gewaltsam hervorbricht. Und der rothaarige, steifnackige Germane,
der im härenem Gewände barhäuptig und mit bloßen Füßen unten im Schnee
steht, ist ebenso stark im Hassen. Hier lag die Versuchung zu dem empfind¬
samen Pathos der Bühne sehr nahe. Aber der Künstler ist ihr aus dem Wege
gegangen. Ein Gefühl der Rührung oder des Mitleids bleibt dem Beschauer
fremd; er gewinnt die Überzeugung, daß dieser Mann nur dem Drucke augen¬
blicklicher Notwendigkeit gehorcht, daß sein Stolz und seine Widerstandskraft
nicht gebrochen sind, und daß er sein Hnnpt, das auch jetzt nur leicht gesenkt
ist, wieder trotzigen Mutes erheben wird, sobald er sich dem Arme des mächtigen
Feindes entzogen hat.

Das Begräbnis Alarichs imponirt ebenso sehr durch die Kühnheit der
Erfindung wie durch die großartige Energie der Darstellung. Die phantastische
Beleuchtung durch grellen Fackelschein und die Romantik des Vorgangs brachten
auch hier die Gefahr eines opernhaften Effekts, eines lebenden Bildes bei
elektrischem Lichte mit sich. Aber alles auf diesem Bilde ist von Leben und
Wahrheit durchdrungen, nichts ist konventionell, gemacht und ausgeklügelt.
Man sieht die Helden eines barbarischen Zeitalters, die vor keinem noch so
gigantischen Unternehmen zurückschreckten, leibhaftig vor sich, die Trabanten des
Größten unter ihnen, dein sie ein Grab gerüstet haben, das eben seinen Be¬
wohner empfängt. Hünenhafte Gestalten zerren mit vollem Kraftaufwande das
sich heftig sträubende, mit Todesangst dem Abgrund cntgcgenstarrende Roß,
auf dem der Leichnam des Gothenkönigs festgebunden ist, in die geheimnisvolle,
von roter Fackelglut unheimlich beleuchtete Tiefe. Aus der Grabeskluft strecken
sich Hände dem Rosse entgegen, um es vollends hinabzuziehen, und hinter ihm
folgen Krieger mit Bannern und Feldzeichen und langbärtige Barden, um dem
toten Führer das letzte Geleit zu geben. Der Maler des Bildes hat zum


T>>e A»nswiisstell»ngen in München und Dresden

Es sind in erster Linie zwei große, figurenreiche Gemälde, die meine
Beobachtungen und Hoffnungen unterstützen: die Demütigung Heinrichs IV.
vor Gregor im Schloßhofe zu Cmwssn von Otto Friedrich und Alarichs Be¬
gräbnis im Bette des Vusento von dem in der Münchner Schule gebildeten
Tiroler Alois Delug. Friedrich hat einen Stoff behandelt, der bei den Ge¬
schichtsmalern der ältern Düsseldorfer Schule besonders beliebt war. Aber der
Münchner Künstler hat ebensowenig von dem hohlen theatralischen Pathos der
Düsseldorfer angenommen, wie er etwas von dem leeren Prunk zur Schau
stellt, den Piloty und seine Schiller bei solchen Gelegenheiten zu entfalten
liebten. Bei absichtlicher Einfachheit des malerischen Bortrags, der sich nirgends
aufdringlich macht oder für sich allein zu wirken sucht, hat er den Nachdruck
auf die Charakteristik der Hauptfiguren gelegt. Aus dem Antlitz des siegreichen
Papstes leuchtet dämonische Freude; aber die Befriedigung ist doch noch nicht
so groß, daß sie den unauslöschlichen Haß unterdrücken könnte, der in den
Mienen Gregors bei dem Anblick des gedemütigten Gegners neben jener Grund¬
stimmung gewaltsam hervorbricht. Und der rothaarige, steifnackige Germane,
der im härenem Gewände barhäuptig und mit bloßen Füßen unten im Schnee
steht, ist ebenso stark im Hassen. Hier lag die Versuchung zu dem empfind¬
samen Pathos der Bühne sehr nahe. Aber der Künstler ist ihr aus dem Wege
gegangen. Ein Gefühl der Rührung oder des Mitleids bleibt dem Beschauer
fremd; er gewinnt die Überzeugung, daß dieser Mann nur dem Drucke augen¬
blicklicher Notwendigkeit gehorcht, daß sein Stolz und seine Widerstandskraft
nicht gebrochen sind, und daß er sein Hnnpt, das auch jetzt nur leicht gesenkt
ist, wieder trotzigen Mutes erheben wird, sobald er sich dem Arme des mächtigen
Feindes entzogen hat.

Das Begräbnis Alarichs imponirt ebenso sehr durch die Kühnheit der
Erfindung wie durch die großartige Energie der Darstellung. Die phantastische
Beleuchtung durch grellen Fackelschein und die Romantik des Vorgangs brachten
auch hier die Gefahr eines opernhaften Effekts, eines lebenden Bildes bei
elektrischem Lichte mit sich. Aber alles auf diesem Bilde ist von Leben und
Wahrheit durchdrungen, nichts ist konventionell, gemacht und ausgeklügelt.
Man sieht die Helden eines barbarischen Zeitalters, die vor keinem noch so
gigantischen Unternehmen zurückschreckten, leibhaftig vor sich, die Trabanten des
Größten unter ihnen, dein sie ein Grab gerüstet haben, das eben seinen Be¬
wohner empfängt. Hünenhafte Gestalten zerren mit vollem Kraftaufwande das
sich heftig sträubende, mit Todesangst dem Abgrund cntgcgenstarrende Roß,
auf dem der Leichnam des Gothenkönigs festgebunden ist, in die geheimnisvolle,
von roter Fackelglut unheimlich beleuchtete Tiefe. Aus der Grabeskluft strecken
sich Hände dem Rosse entgegen, um es vollends hinabzuziehen, und hinter ihm
folgen Krieger mit Bannern und Feldzeichen und langbärtige Barden, um dem
toten Führer das letzte Geleit zu geben. Der Maler des Bildes hat zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/198>, abgerufen am 23.07.2024.