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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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erstenmale auf der vorjährigen Münchner Ausstellung durch eine Episode aus
dem letzten Leidensgange Christi "Die heiligen Frauen erwarten in einer
Felsennische den Zug mit dem kreuztragenden Heiland" Aufmerksamkeit erregt.
Er scheint erst am Beginn seiner Laufbahn zu steheu, hat aber bereits in jenem
Bilde eine vollkommen reife und sichere Fähigkeit gezeigt, die sich nun auf dem
Begräbnis Alarichs zu einer den schwierigsten Aufgaben gewachsenen Meister¬
schaft gesteigert hat.

Wir sind wohl berechtigt, den Tiroler Delug zu den Künstlern germanischer
Abstammung zu zählen und das, was er für eine kraftvolle Wiederbelebung
der Geschichtsmalerei gethan hat, der deutschen Kunst zu gute zu schreiben.
Im allgemeinen macht man aber die Beobachtung, daß der Sinn für Geschichts¬
malerei, besonders die Liebe für die eigne vaterländische Geschichte unter den
slawischen und magyarischen Künstlern viel stärker entwickelt ist als unter den
germanischen. Während in Ungarn, Böhmen und Polen Künstler, die Stosse
aus der vaterländischen Geschichte behandeln, gleichviel ob in patriotischem
Dithhrambenstil oder mit realistischer Wahrheitsliebe, hoch gepriesen und durch
Preise und Ankäufe ermuntert werden, wird in Deutschland der Sinn für diese
Art der Geschichtsmalerei von einem großen Teile der Presse systematisch ab¬
gestumpft. Was jedem Ungarn, Polen und Böhmen zum Ruhme angerechnet
wird, wird in Deutschland als unwürdiger Chauvinismus verrufen, und dank
dieser Leisetreterei, dieser beständigen Niederhaltung des Nationalitätsprinzips,
dieser sast an Kriecherei streifenden Rücksichtnahme auf andre Nationen, die
durchaus nicht gleiches mit gleichem vergelten, ist es dahin gekommen, daß
auf einer so großen Kunstausstellung wie der Münchner nicht ein einziges,
irgendwie aus der Masse hervorragendes Kunstwerk um den Krieg und seine
Helden erinnert, die vor zwanzig Jahren Deutschland einig, groß und gefürchtet
gemacht haben. Nur Arthur Kampfs "Nacht vom 13. zum 14. März 1888
im Dom zu Berlin" gemahnt daran, daß das Zeitalter Kaiser Wilhelms 1.
mit ihm zu Grabe gegangen ist.

Aber auch in diesem trüben Bilde sehlt es nicht an einem tröstlichen, er¬
hebenden Zuge, der uns mit dem Glauben an die unzerstörbare Gesundheit
unsrer Volkskraft erfüllt. Während der Naturalismus in Kunst und Litteratur
die Wurzeln des deutschen Geistes zu untergraben sucht, sind in München zwei
Künstler herangewachsen, die uns in ernsten, tief ergreifenden Bildern wieder
jene Zeit vor Augen führen, wo der deutsche Volksgeist seine höchste, bisher
noch nicht wieder übertroffene Kraftprobe gewagt und bestanden hat. Schon
seit mehreren Jahren haben sich der jetzt in Stuttgart lebende, aber vorzugs¬
weise in München gebildete Robert Haug und der noch gegenwärtig in München
thätige Carl Marr, ein Deutsch-Amerikaner und Schüler von G. Max und
Lindenschmit, der Darstellung von Episodien aus der Zeit der tiefsten Schmach
vor dem Befreiungskriege vou 1813 und aus diesem selbst zugewendet, und in


erstenmale auf der vorjährigen Münchner Ausstellung durch eine Episode aus
dem letzten Leidensgange Christi „Die heiligen Frauen erwarten in einer
Felsennische den Zug mit dem kreuztragenden Heiland" Aufmerksamkeit erregt.
Er scheint erst am Beginn seiner Laufbahn zu steheu, hat aber bereits in jenem
Bilde eine vollkommen reife und sichere Fähigkeit gezeigt, die sich nun auf dem
Begräbnis Alarichs zu einer den schwierigsten Aufgaben gewachsenen Meister¬
schaft gesteigert hat.

Wir sind wohl berechtigt, den Tiroler Delug zu den Künstlern germanischer
Abstammung zu zählen und das, was er für eine kraftvolle Wiederbelebung
der Geschichtsmalerei gethan hat, der deutschen Kunst zu gute zu schreiben.
Im allgemeinen macht man aber die Beobachtung, daß der Sinn für Geschichts¬
malerei, besonders die Liebe für die eigne vaterländische Geschichte unter den
slawischen und magyarischen Künstlern viel stärker entwickelt ist als unter den
germanischen. Während in Ungarn, Böhmen und Polen Künstler, die Stosse
aus der vaterländischen Geschichte behandeln, gleichviel ob in patriotischem
Dithhrambenstil oder mit realistischer Wahrheitsliebe, hoch gepriesen und durch
Preise und Ankäufe ermuntert werden, wird in Deutschland der Sinn für diese
Art der Geschichtsmalerei von einem großen Teile der Presse systematisch ab¬
gestumpft. Was jedem Ungarn, Polen und Böhmen zum Ruhme angerechnet
wird, wird in Deutschland als unwürdiger Chauvinismus verrufen, und dank
dieser Leisetreterei, dieser beständigen Niederhaltung des Nationalitätsprinzips,
dieser sast an Kriecherei streifenden Rücksichtnahme auf andre Nationen, die
durchaus nicht gleiches mit gleichem vergelten, ist es dahin gekommen, daß
auf einer so großen Kunstausstellung wie der Münchner nicht ein einziges,
irgendwie aus der Masse hervorragendes Kunstwerk um den Krieg und seine
Helden erinnert, die vor zwanzig Jahren Deutschland einig, groß und gefürchtet
gemacht haben. Nur Arthur Kampfs „Nacht vom 13. zum 14. März 1888
im Dom zu Berlin" gemahnt daran, daß das Zeitalter Kaiser Wilhelms 1.
mit ihm zu Grabe gegangen ist.

Aber auch in diesem trüben Bilde sehlt es nicht an einem tröstlichen, er¬
hebenden Zuge, der uns mit dem Glauben an die unzerstörbare Gesundheit
unsrer Volkskraft erfüllt. Während der Naturalismus in Kunst und Litteratur
die Wurzeln des deutschen Geistes zu untergraben sucht, sind in München zwei
Künstler herangewachsen, die uns in ernsten, tief ergreifenden Bildern wieder
jene Zeit vor Augen führen, wo der deutsche Volksgeist seine höchste, bisher
noch nicht wieder übertroffene Kraftprobe gewagt und bestanden hat. Schon
seit mehreren Jahren haben sich der jetzt in Stuttgart lebende, aber vorzugs¬
weise in München gebildete Robert Haug und der noch gegenwärtig in München
thätige Carl Marr, ein Deutsch-Amerikaner und Schüler von G. Max und
Lindenschmit, der Darstellung von Episodien aus der Zeit der tiefsten Schmach
vor dem Befreiungskriege vou 1813 und aus diesem selbst zugewendet, und in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/199>, abgerufen am 23.07.2024.