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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Münsche des höhern Lehrerstandes in Preußen

größte Mann des Hellenenvolkes mit dem Bekenntnis vor die Öffentlichkeit
tritt: Ich weiß, daß ich nichts weiß, und nicht dieses war es, was ihm den
Giftbecher zuzog. Unsre Jugend in eine Gesellschaft einzuführen, wo jeder
jeden duzt, und wo weder das Leben noch die Sprache durch geschmacklose
Schnörkel verunstaltet wird, ist ein Hauptzweck der Klassikerlektüre. Es wäre
thöricht, in der Einimpfung dieses Humanitätsgeistes eine Gefahr für die
monarchische Gesinnung zu sehen. Die griechischen Umgangsformen sind in
der Zeit der Könige entstanden und haben sich durch die republikanische
Periode hindurch bis in das mazedonische Königtum hinein erhalten. Und
bei den Römern wurde auch Cüsnr nur "o Cäsar" angeredet, und zwar auch
vom Sklaven. Dein: selbst die Sklaverei hat die humanistische Auffassung
des Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch eher befestigt als erschüttert.
Als eine wirtschaftlich nicht zu entbehrende Einrichtung entstanden, brachte sie
ihren juristischem Begriff, nach dem der Sklave als Sache zu behandeln ist,
in seiner ganzen Härte eigentlich nur beim Besitzwechsel zur Geltung. Für
gewöhnlich stand, wenn wir von den Ausschreitungen des römischen Prvtzen-
tums absehen, der Sklave dem Freien menschlich nahe. Und ist etwa der
Tiroler seinem Kaiser weniger treu, weil er den "Franzi" duzt? Die echte
deutsche Art nämlich, die sich uur noch in einigen Hochgebirgen erhalten hat,
fällt in diesem Punkte mit der griechisch-römischen zusammen, es ist eben, wie
gesagt, die europäische im Gegensatz zur orientalischen.

Nach Europa, wurde das orientalische Prnnktitelwesen verpflanzt, als ins
römische Reich Barbaren einströmten, die zu roh waren, die Notwendigkeit
einer Staatsordnung zu begreisen, zu roh auch, den Wert höherer Bildung zu
schätzen, denen deshalb die Achtung vor den Vertretern des Staates und der
Bildung durch den Glanz von Gold und Edelgestein, durch Vermummung
und zwiebelartige Verschachtelung der herrschenden Personen in eine Unzahl
kostbarer Gewänder und durch die Zahl der Thronstufen begreiflich gemacht
werden mußte, auf denen sie zu den Würdenträgern emporzurutschen hatten.
Dazu kam, daß Geistesgröße bei den Herrschern von Byzanz selten wurde,
und daß sie daher auch den Gebildeten gegenüber künstlicher Hilfsmittel be¬
durften, um sich Geltung zu verschaffen. Die römische Kirche verpflanzte
diesen byzantinischen Apparat -- sehr im Widerspruch mit dem Geiste des
Evangeliums, der hierin dem Humanismus verwandt ist, aber allerdings dem
Bedürfnis barbarischer Völker entsprechend -- ins Abendland, auch weltliche
Fürsten -- nicht alle -- fanden es nützlich, davon Gebrauch zu machen, und
schließlich, nachdem die andern Völker ihn wieder abgeschüttelt haben, ist er
an uns Deutschen bürgen geblieben. Denn nicht echt- und urdeutsche Art ist
unser berüchtigtes Titelwesen, sondern durch den jahrhundertelangen Einfluß
des römischen Kirchenpomps und durch die eiteln Gewohnheiten der klein¬
staatlichen Höfe in der Zeit, wo bei uns die spanische und die französische


Die Münsche des höhern Lehrerstandes in Preußen

größte Mann des Hellenenvolkes mit dem Bekenntnis vor die Öffentlichkeit
tritt: Ich weiß, daß ich nichts weiß, und nicht dieses war es, was ihm den
Giftbecher zuzog. Unsre Jugend in eine Gesellschaft einzuführen, wo jeder
jeden duzt, und wo weder das Leben noch die Sprache durch geschmacklose
Schnörkel verunstaltet wird, ist ein Hauptzweck der Klassikerlektüre. Es wäre
thöricht, in der Einimpfung dieses Humanitätsgeistes eine Gefahr für die
monarchische Gesinnung zu sehen. Die griechischen Umgangsformen sind in
der Zeit der Könige entstanden und haben sich durch die republikanische
Periode hindurch bis in das mazedonische Königtum hinein erhalten. Und
bei den Römern wurde auch Cüsnr nur „o Cäsar" angeredet, und zwar auch
vom Sklaven. Dein: selbst die Sklaverei hat die humanistische Auffassung
des Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch eher befestigt als erschüttert.
Als eine wirtschaftlich nicht zu entbehrende Einrichtung entstanden, brachte sie
ihren juristischem Begriff, nach dem der Sklave als Sache zu behandeln ist,
in seiner ganzen Härte eigentlich nur beim Besitzwechsel zur Geltung. Für
gewöhnlich stand, wenn wir von den Ausschreitungen des römischen Prvtzen-
tums absehen, der Sklave dem Freien menschlich nahe. Und ist etwa der
Tiroler seinem Kaiser weniger treu, weil er den „Franzi" duzt? Die echte
deutsche Art nämlich, die sich uur noch in einigen Hochgebirgen erhalten hat,
fällt in diesem Punkte mit der griechisch-römischen zusammen, es ist eben, wie
gesagt, die europäische im Gegensatz zur orientalischen.

Nach Europa, wurde das orientalische Prnnktitelwesen verpflanzt, als ins
römische Reich Barbaren einströmten, die zu roh waren, die Notwendigkeit
einer Staatsordnung zu begreisen, zu roh auch, den Wert höherer Bildung zu
schätzen, denen deshalb die Achtung vor den Vertretern des Staates und der
Bildung durch den Glanz von Gold und Edelgestein, durch Vermummung
und zwiebelartige Verschachtelung der herrschenden Personen in eine Unzahl
kostbarer Gewänder und durch die Zahl der Thronstufen begreiflich gemacht
werden mußte, auf denen sie zu den Würdenträgern emporzurutschen hatten.
Dazu kam, daß Geistesgröße bei den Herrschern von Byzanz selten wurde,
und daß sie daher auch den Gebildeten gegenüber künstlicher Hilfsmittel be¬
durften, um sich Geltung zu verschaffen. Die römische Kirche verpflanzte
diesen byzantinischen Apparat — sehr im Widerspruch mit dem Geiste des
Evangeliums, der hierin dem Humanismus verwandt ist, aber allerdings dem
Bedürfnis barbarischer Völker entsprechend — ins Abendland, auch weltliche
Fürsten — nicht alle — fanden es nützlich, davon Gebrauch zu machen, und
schließlich, nachdem die andern Völker ihn wieder abgeschüttelt haben, ist er
an uns Deutschen bürgen geblieben. Denn nicht echt- und urdeutsche Art ist
unser berüchtigtes Titelwesen, sondern durch den jahrhundertelangen Einfluß
des römischen Kirchenpomps und durch die eiteln Gewohnheiten der klein¬
staatlichen Höfe in der Zeit, wo bei uns die spanische und die französische


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[0176] Die Münsche des höhern Lehrerstandes in Preußen größte Mann des Hellenenvolkes mit dem Bekenntnis vor die Öffentlichkeit tritt: Ich weiß, daß ich nichts weiß, und nicht dieses war es, was ihm den Giftbecher zuzog. Unsre Jugend in eine Gesellschaft einzuführen, wo jeder jeden duzt, und wo weder das Leben noch die Sprache durch geschmacklose Schnörkel verunstaltet wird, ist ein Hauptzweck der Klassikerlektüre. Es wäre thöricht, in der Einimpfung dieses Humanitätsgeistes eine Gefahr für die monarchische Gesinnung zu sehen. Die griechischen Umgangsformen sind in der Zeit der Könige entstanden und haben sich durch die republikanische Periode hindurch bis in das mazedonische Königtum hinein erhalten. Und bei den Römern wurde auch Cüsnr nur „o Cäsar" angeredet, und zwar auch vom Sklaven. Dein: selbst die Sklaverei hat die humanistische Auffassung des Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch eher befestigt als erschüttert. Als eine wirtschaftlich nicht zu entbehrende Einrichtung entstanden, brachte sie ihren juristischem Begriff, nach dem der Sklave als Sache zu behandeln ist, in seiner ganzen Härte eigentlich nur beim Besitzwechsel zur Geltung. Für gewöhnlich stand, wenn wir von den Ausschreitungen des römischen Prvtzen- tums absehen, der Sklave dem Freien menschlich nahe. Und ist etwa der Tiroler seinem Kaiser weniger treu, weil er den „Franzi" duzt? Die echte deutsche Art nämlich, die sich uur noch in einigen Hochgebirgen erhalten hat, fällt in diesem Punkte mit der griechisch-römischen zusammen, es ist eben, wie gesagt, die europäische im Gegensatz zur orientalischen. Nach Europa, wurde das orientalische Prnnktitelwesen verpflanzt, als ins römische Reich Barbaren einströmten, die zu roh waren, die Notwendigkeit einer Staatsordnung zu begreisen, zu roh auch, den Wert höherer Bildung zu schätzen, denen deshalb die Achtung vor den Vertretern des Staates und der Bildung durch den Glanz von Gold und Edelgestein, durch Vermummung und zwiebelartige Verschachtelung der herrschenden Personen in eine Unzahl kostbarer Gewänder und durch die Zahl der Thronstufen begreiflich gemacht werden mußte, auf denen sie zu den Würdenträgern emporzurutschen hatten. Dazu kam, daß Geistesgröße bei den Herrschern von Byzanz selten wurde, und daß sie daher auch den Gebildeten gegenüber künstlicher Hilfsmittel be¬ durften, um sich Geltung zu verschaffen. Die römische Kirche verpflanzte diesen byzantinischen Apparat — sehr im Widerspruch mit dem Geiste des Evangeliums, der hierin dem Humanismus verwandt ist, aber allerdings dem Bedürfnis barbarischer Völker entsprechend — ins Abendland, auch weltliche Fürsten — nicht alle — fanden es nützlich, davon Gebrauch zu machen, und schließlich, nachdem die andern Völker ihn wieder abgeschüttelt haben, ist er an uns Deutschen bürgen geblieben. Denn nicht echt- und urdeutsche Art ist unser berüchtigtes Titelwesen, sondern durch den jahrhundertelangen Einfluß des römischen Kirchenpomps und durch die eiteln Gewohnheiten der klein¬ staatlichen Höfe in der Zeit, wo bei uns die spanische und die französische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/176>, abgerufen am 25.08.2024.