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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Etikette herrschten, ist es uns angedrillt worden, und dnrch unsre vielfältigen
Berührungen mit den Slawen, bei denen die knechtischen Höflichkeitsformen
des Orients herrschen, ward uns die Übung erleichtert. Von dieser verdor¬
benen, nicht von der alten und echten deutschen Art, gilt das, was Kant und
Hegel darüber sagen.

Kant schreibt im vierten Bande seiner Werke (Ausgabe von Rosenkranz
und Schubert, S. 453 ff.): "Die Empfindung für die Ehre ist am Franzosen
Eitelkeit, an dem Spanier Hochmut, an dem Engländer Stolz, an dem Deutschen
Hoffart und an dem Holländer Aufgeblasenheit. . . . Der Hoffürtige ist ein
stolzer, der zugleich eitel ist. Es ist nicht nötig, daß ein Hoffärtiger zugleich
hochmütig sei, d. i. sich eine übertriebene falsche Einbildung von seinen Vor¬
zügen mache, sondern er kann vielleicht sich nicht höher schätzen, als er wert
ist, er hat nur einen falschen Geschmack, diesen seinen Wert äußerlich geltend
zu machen. Der Beifall, den er bei andern sucht, besteht in Ehrenbezeigungen.
Daher schimmert er gern durch Titel, Ahuenregister und Gepränge. Der
Deutsche ist vornehmlich von dieser Schwäche angesteckt. Die Wörter: gnädig,
hochgeneigt, hoch- und wohlgebvren und dergleichen Bombast mehr macheu
seine Sprache steif und umgewandt und verhindern gar sehr die schöne Einfalt,
welche andre Völker ihrer Schreibweise geben können. Das Betragen eines
Hoffnrtigen im Umgang ist Zeremonie." Noch schärfer drückt sich Hegel aus
(Ausgabe vou Marheinecke n. a., Bd. 7, S. 80): "Der Deutschen gedenken
die Deutschen gewöhnlich zuletzt. . . . Obgleich ihr politischer Geist, ihre Vater¬
landsliebe meistenteils nicht sehr lebendig war, so sind sie doch seit früher p>
Zeit von einem außerordentlichen Verlangen nach der Ehre einer amtliche"
Stellung beseelt und der Meinung gewesen, das Amt und der Titel mache den
Mann, nach dem Unterschiede des Titels könne die Bedeutsamkeit der Personen
und die denselben schuldige Achtung fast in jedem Falle mit vollkommener
Sicherheit abgemessen werden, wodurch die Deutschen in eine Lächerlichkeit ver¬
fallen sind, die in Europa nur an der Sucht der Spanier nach einer langen
Liste von Namen eine Parallele findet."

Und wie nahe berührt diese Lächerlichkeit den innerste" Kern des sittlichen
Wesens! Von dem Augenblicke an, wo es Sitte wurde, jeden noch so schurkischen
Vornehmen ve-her-i noIÄiw8 und jeden noch so lüderlicheu Prälaten vastr^
Nrucztiws anzureden, war der europäischen Menschheit der Zwang zur Lüge
auferlegt. Und seitdem es Sitte geworden ist, Ämternamen als bloße Titel
zu verleihen, wird unser Volk angeleitet, den Schein über das Wesen zu setzen.
Luther konnte nur mit Mühe von seinen Freunden dazu gebracht werden, den
Kaiser in einem Briefe mit "gnädig" einzureden, da ihm ja, wie er sagte,
Karl V. sehr ungnädig gesinnt sei, er also mit dieser Anrede lügen würde.
Diese Wahrhaftigkeit Luthers ist mehr wert und hat mehr gewirkt als seiue
ganze theologische Gelehrsamkeit.


Grenzboten IV 1890 22

Etikette herrschten, ist es uns angedrillt worden, und dnrch unsre vielfältigen
Berührungen mit den Slawen, bei denen die knechtischen Höflichkeitsformen
des Orients herrschen, ward uns die Übung erleichtert. Von dieser verdor¬
benen, nicht von der alten und echten deutschen Art, gilt das, was Kant und
Hegel darüber sagen.

Kant schreibt im vierten Bande seiner Werke (Ausgabe von Rosenkranz
und Schubert, S. 453 ff.): „Die Empfindung für die Ehre ist am Franzosen
Eitelkeit, an dem Spanier Hochmut, an dem Engländer Stolz, an dem Deutschen
Hoffart und an dem Holländer Aufgeblasenheit. . . . Der Hoffürtige ist ein
stolzer, der zugleich eitel ist. Es ist nicht nötig, daß ein Hoffärtiger zugleich
hochmütig sei, d. i. sich eine übertriebene falsche Einbildung von seinen Vor¬
zügen mache, sondern er kann vielleicht sich nicht höher schätzen, als er wert
ist, er hat nur einen falschen Geschmack, diesen seinen Wert äußerlich geltend
zu machen. Der Beifall, den er bei andern sucht, besteht in Ehrenbezeigungen.
Daher schimmert er gern durch Titel, Ahuenregister und Gepränge. Der
Deutsche ist vornehmlich von dieser Schwäche angesteckt. Die Wörter: gnädig,
hochgeneigt, hoch- und wohlgebvren und dergleichen Bombast mehr macheu
seine Sprache steif und umgewandt und verhindern gar sehr die schöne Einfalt,
welche andre Völker ihrer Schreibweise geben können. Das Betragen eines
Hoffnrtigen im Umgang ist Zeremonie." Noch schärfer drückt sich Hegel aus
(Ausgabe vou Marheinecke n. a., Bd. 7, S. 80): „Der Deutschen gedenken
die Deutschen gewöhnlich zuletzt. . . . Obgleich ihr politischer Geist, ihre Vater¬
landsliebe meistenteils nicht sehr lebendig war, so sind sie doch seit früher p>
Zeit von einem außerordentlichen Verlangen nach der Ehre einer amtliche»
Stellung beseelt und der Meinung gewesen, das Amt und der Titel mache den
Mann, nach dem Unterschiede des Titels könne die Bedeutsamkeit der Personen
und die denselben schuldige Achtung fast in jedem Falle mit vollkommener
Sicherheit abgemessen werden, wodurch die Deutschen in eine Lächerlichkeit ver¬
fallen sind, die in Europa nur an der Sucht der Spanier nach einer langen
Liste von Namen eine Parallele findet."

Und wie nahe berührt diese Lächerlichkeit den innerste« Kern des sittlichen
Wesens! Von dem Augenblicke an, wo es Sitte wurde, jeden noch so schurkischen
Vornehmen ve-her-i noIÄiw8 und jeden noch so lüderlicheu Prälaten vastr^
Nrucztiws anzureden, war der europäischen Menschheit der Zwang zur Lüge
auferlegt. Und seitdem es Sitte geworden ist, Ämternamen als bloße Titel
zu verleihen, wird unser Volk angeleitet, den Schein über das Wesen zu setzen.
Luther konnte nur mit Mühe von seinen Freunden dazu gebracht werden, den
Kaiser in einem Briefe mit „gnädig" einzureden, da ihm ja, wie er sagte,
Karl V. sehr ungnädig gesinnt sei, er also mit dieser Anrede lügen würde.
Diese Wahrhaftigkeit Luthers ist mehr wert und hat mehr gewirkt als seiue
ganze theologische Gelehrsamkeit.


Grenzboten IV 1890 22
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[0177] Etikette herrschten, ist es uns angedrillt worden, und dnrch unsre vielfältigen Berührungen mit den Slawen, bei denen die knechtischen Höflichkeitsformen des Orients herrschen, ward uns die Übung erleichtert. Von dieser verdor¬ benen, nicht von der alten und echten deutschen Art, gilt das, was Kant und Hegel darüber sagen. Kant schreibt im vierten Bande seiner Werke (Ausgabe von Rosenkranz und Schubert, S. 453 ff.): „Die Empfindung für die Ehre ist am Franzosen Eitelkeit, an dem Spanier Hochmut, an dem Engländer Stolz, an dem Deutschen Hoffart und an dem Holländer Aufgeblasenheit. . . . Der Hoffürtige ist ein stolzer, der zugleich eitel ist. Es ist nicht nötig, daß ein Hoffärtiger zugleich hochmütig sei, d. i. sich eine übertriebene falsche Einbildung von seinen Vor¬ zügen mache, sondern er kann vielleicht sich nicht höher schätzen, als er wert ist, er hat nur einen falschen Geschmack, diesen seinen Wert äußerlich geltend zu machen. Der Beifall, den er bei andern sucht, besteht in Ehrenbezeigungen. Daher schimmert er gern durch Titel, Ahuenregister und Gepränge. Der Deutsche ist vornehmlich von dieser Schwäche angesteckt. Die Wörter: gnädig, hochgeneigt, hoch- und wohlgebvren und dergleichen Bombast mehr macheu seine Sprache steif und umgewandt und verhindern gar sehr die schöne Einfalt, welche andre Völker ihrer Schreibweise geben können. Das Betragen eines Hoffnrtigen im Umgang ist Zeremonie." Noch schärfer drückt sich Hegel aus (Ausgabe vou Marheinecke n. a., Bd. 7, S. 80): „Der Deutschen gedenken die Deutschen gewöhnlich zuletzt. . . . Obgleich ihr politischer Geist, ihre Vater¬ landsliebe meistenteils nicht sehr lebendig war, so sind sie doch seit früher p> Zeit von einem außerordentlichen Verlangen nach der Ehre einer amtliche» Stellung beseelt und der Meinung gewesen, das Amt und der Titel mache den Mann, nach dem Unterschiede des Titels könne die Bedeutsamkeit der Personen und die denselben schuldige Achtung fast in jedem Falle mit vollkommener Sicherheit abgemessen werden, wodurch die Deutschen in eine Lächerlichkeit ver¬ fallen sind, die in Europa nur an der Sucht der Spanier nach einer langen Liste von Namen eine Parallele findet." Und wie nahe berührt diese Lächerlichkeit den innerste« Kern des sittlichen Wesens! Von dem Augenblicke an, wo es Sitte wurde, jeden noch so schurkischen Vornehmen ve-her-i noIÄiw8 und jeden noch so lüderlicheu Prälaten vastr^ Nrucztiws anzureden, war der europäischen Menschheit der Zwang zur Lüge auferlegt. Und seitdem es Sitte geworden ist, Ämternamen als bloße Titel zu verleihen, wird unser Volk angeleitet, den Schein über das Wesen zu setzen. Luther konnte nur mit Mühe von seinen Freunden dazu gebracht werden, den Kaiser in einem Briefe mit „gnädig" einzureden, da ihm ja, wie er sagte, Karl V. sehr ungnädig gesinnt sei, er also mit dieser Anrede lügen würde. Diese Wahrhaftigkeit Luthers ist mehr wert und hat mehr gewirkt als seiue ganze theologische Gelehrsamkeit. Grenzboten IV 1890 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/177>, abgerufen am 23.07.2024.